Schüttler-Kenner Hordorff über Kerber-Coach: "Rainer und Angie sprechen die gleiche Sprache"
Kaum ein Zweiter kennt den neuen Coach von Angelique Kerber so gut wie Dirk Hordorff. Der bestens vernetzte Bad Homburger hat Rainer Schüttler (42) während seiner gesamten Profikarriere betreut. Heute ist Hordorff der Patenonkel von Schüttlers zweijährigem Sohn Noah. Im tennisnet-Interview spricht der DTB-Vizepräsident über seinen ehemaligen Schützling - und einen besonderen Muskelkater-Streich.
von Ulrike Weinrich
zuletzt bearbeitet:
14.11.2018, 15:24 Uhr
Von Ulrike Weinrich
tennisnet: "Herr Hordorff, was glauben Sie, warum aus der Zusammenarbeit zwischen Angelique Kerber und Rainer Schüttler eine Erfolgsstory werden könnte?"
Dirk Hordorff: "Rainer ist mit Sicherheit einer der Tennisfachleute, die man sich nur wünschen kann, wenn man einen Trainer sucht. Er hat 20 Jahre selbst gespielt. Und er hat bei den Grand-Slam-Turnieren, also jenen Tournaments, bei denen Angie gerne gut spielen möchte, genug Erfahrungen gesammelt. Sie sprechen die gleiche Sprache."
"Ich glaube, sie passen auch menschlich gut zueinander"
tennisnet: "Für viele kam die Wahl von Kerber überraschend. Was denken Sie, was sprach für Schüttler?"
Dirk Hordorff: "Wenn es jemanden gibt, der Tennis in all seinen Facetten erlebt hat, dann ist es Rainer. Er hatte zur damaligen Zeit eine der längsten Laufbahnen im Herrenbereich. Ich glaube, dass sie auch menschlich gut zueinander passen. Es gibt bei mir eigentlich nur die positive Überzeugung, dass das klappen wird."
tennisnet: "Schüttler hat keine Erfahrung als Frauen-Coach. Ist das ein Manko - oder kann es auch eine Chance sein?"
Dirk Hordorff: "Der einzige, an den ich mich erinnere, der zuletzt eine Frau (Simona Halep/Anmerkg. d. Redaktion) trainiert hat und vorher noch keine Erfahrung auf der Damen-Tour hatte, war Darren Cahill. Er kam damals von Lleyton Hewitt und von Andre Agassi. Und er hat dann festgestellt, dass die Damen zwei Beine, zwei Arme haben und mit runden gelben Bällen Tennis spielen."
Für keine andere Spielerin wäre Schüttler auf die Damen-Tour gewechselt
tennisnet: "....also rechnen Sie nicht mit Anpassungsproblemen?"
Dirk Hordorff: "Nein, ich sehe seine fehlende Erfahrung im Damen-Bereich überhaupt nicht als Problem an. Rainer wird sehr schnell wissen, welche Spielerin im WTA-Circuit welche Stärken und Schwächen hat. Wenn er es nicht sogar jetzt schon weiß, denn er ist ein akribischer Arbeiter, der seine Hausaufgaben auch in der Vergangenheit immer gemacht hat."
tennisnet: "Es scheinen immer mehr Ex-Profis Traineraufgaben zu übernehmen..."
Dirk Hordorff: "Ich würde sagen, dass es in Sachen Rainer ein Coup von Aljoscha Thron (Kerber-Manager/Anmerkg. d. Redaktion) war, jemanden von der Herren- auf die Damen-Tour zu bringen. Ich glaube, es gibt keine andere Spielerin als Angie, die das bei Rainer geschafft hätte.
"Stillstand bedeutet immer Rückschritt"
tennisnet: "Angie Kerber urlaubt noch auf den Malediven. Ende November geht es dann mit der Vorbereitung los. Was wird am Anfang der Zusammenarbeit im Vordergrund stehen?"
Dirk Hordorff: "Die Beiden kennen sich ja. Es wird eine normale Saisonvorbereitung stattfinden, in der man viel Basisarbeit macht. Natürlich wird Rainer Ideen haben - und auch Angie. Das werden beide schon besprochen haben. Mit Sicherheit hat man ein paar Dinge im Auge, die man verbessern will, weil Stillstand ja immer Rückschritt bedeutet."
tennisnet: "Meinen Sie, es ist ein Vorteil, dass Schüttler und Kerber ähnlich Spielertypen sind - kämpferisch und mit einer überragenden Physis als Basis?"
Dirk Hordorff: "Es ist vielleicht hilfreich, aber nicht notwendig. Es ist als Trainer der größte Fehler, wenn man versucht, seinem Schützling das Tennis aufzudrücken, das man selbst gespielt hat. Das wird Rainer nicht machen. Er ist ja in allen Bereichen ein absoluter Fachmann, er hat Sport studiert und im letzten Jahr an der University seinen Master gemacht."
Handschrift? "Angie ist ein existierender Champion"
tennisnet: "Wann wird man die Handschrift von Schüttler im Spiel von Kerber erkennen können?"
Dirk Hordorff: "Von einer Handschrift wird man da nicht reden können. Angie ist ein existierender Champion. Das ist etwas anderes, als die Zusammenarbeit zwischen Rainer und mir. Damals war er 16 Jahre alt, da formt man einen Spieler. Als André Agassi 33 Jahre alt war und Brad Gilbert als Trainer verpflichtet hat, das hat mich fasziniert. Da hat er ihm zugehört, als ob er ein Jugendlicher ist, der erstmals einen Coach trifft. Hinterher hat er mir dann erzählt, dass er natürlich 99 Prozent von dem gewusst habe, was Gilbert ihm sagte. Aber wenn er nicht aufmerksam zugehört hätte, hätte er vielleicht das eine, entscheidende Prozent überhört."
tennisnet: "Sie selbst sind ja ein Trainer-Fuchs. Wo wird Schüttler bei der Wimbledonsiegerin ansetzen?"
Dirk Hordorff: "Angie wird von Rainer nicht das Tennisspielen erklärt bekommen. Es geht um Kleinigkeiten in diesem Sektor, aber natürlich ist es so, dass Rainer als Spieler eine eiserne Disziplin hatte in Sachen Arbeit, Fitness, Körper, Gesundheit, die der Einstellung von Angie nah kommt. Da können sie optimiert arbeiten. Aber selbstverständlich weiß Rainer auch, dass Angies Aufschlag nicht ihre größte Stärke ist. Mit Sicherheit wird man daran arbeiten."
Schüttler-Charakter hat bei der Wahl von Kerber eine Rolle gespielt
tennisnet: "Wir würden Sie Rainer Schüttler charakterisieren?"
Dirk Hordorff: "Ich habe selten einen so gut erzogenen, korrekten und ehrlichen Menschen wie Rainer erlebt. Es gibt wohl keinen, der ihn nicht mag. Das ist immer eine gute Basis, um das Vertrauen von demjenigen zu bekommen, mit dem man arbeitet. Diese Eigenschaften wird Angie sicher auch als wichtig ansehen und schätzen. Das hat bei ihr sicher auch eine wichtige Rolle bei der Entscheidung gespielt."
tennisnet: "Rainer konnte aber auch laut werden auf dem Platz. Dabei beschimpfte er sich meistens selbst..."
Dirk Hordorff: "Diese Selbstkritik hat Angie ja auch manchmal. Beide wissen auch, dass das nicht hilft. Wobei Angie noch positiver ist, als es Rainer auf dem Court war. Deshalb hat sie vielleicht auch mehr erreicht als er..."
tennisnet: "Sie haben mit Schüttler zusammen den Kanadier Vasek Pospisil gecoacht. Was für ein Trainertyp ist Rainer - Analytiker oder Bauchmensch?"
Dirk Hordorff: "Beides. Rainer hat natürlich ein Selbstverständnis für den Tennissport und große Erfahrung. Aber er ist auch sehr analytisch. Rainer ist jemand, der sich sehr sorgfältig vorbereitet und mit der Materie auseinandersetzt. Er versteht nach 20 Jahren auf der Tour den Tennissport natürlich."
French Open? "Wer drei Grand Slams gewinnt, kann auch vier gewinnen"
tennisnet: "Kerber möchte gerne ihren Karriere-Grand-Slam komplettieren. Dazu fehlt ihr noch der Titel in Paris. Ausgerechnet die French Open waren aber das schwächste Major des Hessen. Ein Problem?"
Dirk Hordorff: "Sand war nie Rainers Stärke. Ich habe immer gesagt, sein bester Belag ist Rasen. Ich habe unrecht gehabt, aber sein Halbfinal-Einzug in Wimbledon 2008 hat meine Argumentationsweise im Nachhinein noch ein bisschen gerettet. Rainer war immer schnell, aber das kann man auf Sand eben nicht ganz so ausnutzen."
tennisnet: "Heißt das, dass Schüttler Kerber nicht zum French-Open-Sieg coachen kann?"
Dirk Hordorff: "Er muss ja nicht selbst spielen. Als Rainer selbst noch spielte, hatte ich nie die Hoffnung, dass es bei ihm zu einem French-Open-Sieg reicht. Angie hingegen hat ja schon drei Grand-Slam-Turniere gewonnen, das ist schon beachtlich. Wer drei Grand Slams gewinnt, der kann auch vier gewinnen."
"Über Rainer gibt es ungefähr 50 Anekdoten"
tennisnet: "Schüttler ist auch Turnierdirektor beim ATP-Event in Genf. Wird es da Terminkollisionen geben?"
Dirk Hordorff: "Davon gehe ich nicht aus. Mit Sicherheit wird er Angie in der besagten Woche nicht auf einem Turnier betreuen."
tennisnet: "Sie kennen Rainer Schüttler wie kaum ein anderer Mensch. Können Sie uns zum Abschluss noch eine Anekdote erzählen...?"
Dirk Hordorff (lacht): "Über Rainer gibt es ungefähr 50 Anekdoten. Ich habe ihn kennengelernt, da war er 16 Jahre alt. Da kam er zu mir und fragte, was ich ihm für einen Ratschlag geben könne. Und da er in Sachen Balance auf dem Platz nicht perfekt war, habe ich ihm eine sehr anstrengende Übung empfohlen und gesagt: 'Die machst Du jeden zweiten Tag dreimal'. Dann habe ich Rainer einen Monat später getroffen und seine Balance war besser geworden. Da er sich aber weiter verbessern wollte, habe ich einfach aus Witz gesagt: 'Mach' die Übung halt zehnmal!'"
tennisnet: "...und was passierte?"
Dirk Hordorff: "Als ich ihn dann zwei Monate später sah, fragte Rainer, wie lange er die Übung noch weitermachen müsse? Und er hat erzählt, dass er die Treppe in der Schule in den letzten acht Wochen immer nur rückwärts herunterlaufen konnte, weil ihm alles weh getan hat. Diese Geschichte charakterisiert ihn ganz gut, so ist er..."