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Sich selbst der Gegner: Negative Selbstgespräche im Wahnsinn eines Matches

Negative Selbstgespräche haben einen großen Einfluss auf die Leistung am Platz. Der Tennis-Insider erklärt, wie wir mit unseren Emotionen besser umgehen können.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 09.10.2025, 14:58 Uhr

Auch Novak Djokovic hadert ab und an mit seinem Spiel
© Getty Images
Auch Novak Djokovic hadert ab und an mit seinem Spiel

Die Phrasen wiederholten sich. Das Drehbuch war simpel, kurz und prägnant. Nach jedem vermeidbaren Fehler kam erst ein: “Ohhh man!”. Dann kam der nach Hilfe suchende Blick Richtung Publikum. Ohne Erfolg.

In diesem Sommer beobachtete ich ein Meisterschaftsspiel. Jens, ein sehr guter Vereinsspieler mit erstaunlich guter Technik, scheitert in diesen offiziellen Matches regelmäßig an sich selbst. Er ist amtierender Clubmeister darin, sich selbst aus dem Rhythmus zu bringen. Wie schafft er das? Jens redet sich in Rage. In einer Endlosschleife erzählt er sich und seinem Gegner, wie schlecht er heute wieder spielt, wie gut er eigentlich spielen könnte und selbst nach einem Vorhand-Hammer die Linie entlang sagt er: “Man ey, endlich mal ansatzweise Normalform!”.

In diesem Artikel sprechen wir über negative Selbstgespräche und wie diese einen fast schon größeren Einfluss auf deine Leistung nehmen können als dein Gegner.

Was sind negative Selbstgespräche?

Negative Selbstgespräche sind verbal kommunizierte oder auch gedachte Vorwürfe sich selbst gegenüber. Es ist der zwanghafte Versuch, sich selbst kleiner zu machen, als man in Wahrheit ist. Mit einer erstaunlich hohen Erfolgsquote. Negative Selbstgespräche treten häufig in Momenten von Druck oder Frustration auf. Kurz gesagt: im Turniermatch. Verrückterweise gibt es zu Beginn der negativen Selbstgespräche gar keinen Anlass, sich selbst schlechtzureden. Zwei Vorhandfehler haben noch nie einen Tennisspieler schlecht gemacht. Mit dem Matchverlauf ertrinkt der Spieler in seinen verbalen Ergüssen.

Spieler kritisieren sich dabei innerlich oder laut für Fehler, anstatt konstruktiv mit diesen umzugehen. Typische Beispiele sind Sätze wie „Wie konntest du diesen einfachen Ball verschlagen?“, „Du spielst heute wieder wie ein Anfänger!“, oder „Peinlich, gegen diesen Typen zu verlieren!“. Solche Gedanken verstärken Nervosität und führen oft zu weiteren Fehlern, schlechteren Schlagentscheidungen und weniger Rhythmus. Statt die Konzentration auf den nächsten Schlag zu richten, verfangen sich Spieler in Selbstvorwürfen, was ihre Leistungsfähigkeit und mentale Stabilität beeinträchtigt.

Wie entstehen negative Selbstgespräche im Verlauf des Matches?

Tennis ist verrückt. Du gehst mit großen Erwartungen ins Match, hast die Tage zuvor super trainiert und dein Matchplan steht. Du erwartest von dir nicht viel. Nur ein bisschen Perfektion. Im Einspielen feuerst du dich im Kopf nochmal an. Du kannst es kaum erwarten, die ersten Vorhand-Winner die Linie entlang zuspielen. Doch dann startet das Match. Die Nervosität kickt rein. Die ersten Vorhände sind keine brachialen Winner, die Linie entlang. Es sind stattdessen ängstliche Schläge ins T-Feld.

Die Realität kollidiert knallhart mit den großen Erwartungen. Dieser “Knall” im Kopf lässt die ersten Selbstgespräch-Funken im Kopf sprühen. Zum Beispiel: “Was ist denn hier los? Wo ist die Vorhand?” oder auch: “Na nu? So lief das in den letzten Trainingseinheiten aber nicht? Was soll der Quatsch?”. Training und Match sind zwei verschiedene Sportarten. Du kannst das Match nicht wie ein Training spielen. Wenn du das tust, dann wirst du schnell mit deinen Nerven kollidieren. Das Match verlangt von dir andere Fähigkeiten als ein Training. Das Match möchte von dir, dass du zunächst deine Nerven kontrollierst, ruhig bleibst und deinen Flow findest. 

Negative Selbstgespräche entstehen durch deine Erwartungshaltung. Das geschieht meist unbewusst. Man schreibt sich nicht in seinen Matchplan, dass man kurze Vorhände ins T-Feld spielt und reihenweise ängstliche Rückhände seitlich ins Aus. Jeder Tennisspieler ist vor einem wichtigen Match verunsichert, angespannt und fragt sich, was wohl im Match passieren wird. Diese Anspannung wird verstärkt, wenn es im Match nicht läuft wie geplant. Wer startet schon gerne mit einem 0:3 und acht leichten Fehlern in ein Match? Negative Selbstgespräche sind dann ein Ausdruck des tief schlummernden Frusts, der irgendwo ausgeladen werden muss. Das an sich wäre eine gute mentale Taktik. Frust und Emotionen wollen raus. Wer sie nicht auslebt, der staut sie an. Warum negative Selbstgespräche aber eine so zerstörerische Wirkung auf dein Spiel haben können, besprechen wir im nächsten Absatz.

Warum haben negative Selbstgespräche einen großen Einfluss auf die Leistung?

Es startet lautlos in deinen Gedanken. Die ersten Vorwürfe fliegen durch deinen Kopf. Nichts Wildes. Drei Fehler später wirst du aber lauter. Du redest dich so laut klein und schlecht, dass Zuschauer und dein Gegner gebannt deinen Ausführungen lauschen. Was passiert mit der Dynamik des Matches? Wird sie sich zu deinen Gunsten entwickeln? Dein Gegner hört, wie du dich pausenlos, im Stile eines Tenniskommentators, nach fast jedem Ballwechsel selbst herunterziehst. Da denkt sich dein Gegner: “Cool, ich muss nicht mehr viel machen. Der da drüben schlägt sich ja von alleine. Ich halte die Kugel im Spiel und warte, bis er den nächsten Fehler macht!”. Ein solcher Gedanke kann in deinem Gegner nur ein positives Gefühl verursachen. Dein Gegner kann sich nur besser im Match fühlen. Selbstbewusster, entspannter und cooler. 

In den letzten Jahren habe ich immer wieder beobachtet, wie sich Spieler in ihren negativen Selbstgesprächen verlieren. Einmal im Dialog mit sich selbst gab es kein Ende mehr. Das Match konnte auch nichts liefern, was die negativen Selbstgespräche unterbrochen hätte. Weder ein grandioser Ballwechsel, starke Aufschläge oder gelungene Spielzüge. Der Spieler konnte es sich selbst nicht recht machen. Hier liegt der größte Einfluss negativer Selbstgespräche auf dein Spiel. Du bist mehr mit deiner Negativität als mit dem Match, dem Gegner, dem nächsten Aufschlag, deiner Taktik oder dem Matchverlauf beschäftigt. Du verlierst dich in deinem eigenen Albtraum. Wenn das Match vorbei ist, weißt du nicht genau, wie die Ballwechsel verlaufen sind. Was uns zu der entscheidenden Frage führt.

Was hilft gegen negative Gedanken im Match?

Wir haben herausgefunden, dass negative Selbstgespräche ihren Ursprung in deiner Erwartungshaltung haben. Du nimmst dir zu viel vor. Viele Spieler packen sich fünf, sechs Ideen in ihren Matchplan. Sie wollen herausragend servieren, wenig Fehler machen, viele Winner schlagen, oft ans Netz gehen, Stopps einstreuen, immer ruhig bleiben, beim Seitenwechsel meditieren und einfach nur ein bisschen perfekt Tennis spielen. Das ist löblich, aber unrealistisch. Halte deinen Matchplan simpler. Packe dir zwei, drei Sachen in deinen Matchplan-Rucksack. Je mehr Sachen du in deinen Rucksack packst, desto schwerer wird dieser. Versuche nicht viele Dinge auf dem Platz zu machen. Versuche, wenige Dinge perfekt zu machen.

Im zweiten Schritt kannst du eine mentale Übung vor deinem Match nutzen. Nimm dir fünf Minuten Ruhe, setze dich entspannt hin und gehe gedanklich so detailliert wie möglich durch, wie du beim letzten Mal vor lauter negativen Selbstgesprächen das Match vom Schläger gegeben hast. Hole dir so viele Erinnerungen wie möglich zurück. Im nächsten Schritt entwickelst du Lösungen für diese Situation der negativen Selbstgespräche. Was würdest du dir sagen, wenn du dein Trainer wärst? Vermutlich würdest du dir nicht raten, dich nach jedem zweiten Ballwechsel selbst klein und schwach zu reden. Du würdest dir sagen: “Okay, reg dich ruhig kurz auf, das ist in Ordnung. Aber fokussiere dich nach deinem Ärger auf den nächsten Ballwechsel. Erst Ärger, dann nächster Punkt!”.

Mit mentalen Übungen trainierst du deine Denk- und Verhaltensmuster, wie das Training auf dem Court deine Vor- und Rückhand trainiert. Das Coole bei den mentalen Übungen ist, dass du dich nicht bewegen brauchst. Achte darauf, dir viele kleine Details vorzustellen. Gehe Situationen immer und immer wieder durch. Wenn du diese Übung einmal machst, wird nicht viel passieren. Wenn du sie aber zehnmal machst, werden sich deine Denk- und Verhaltensmuster im Match spürbar ändern. Das bedeutet nicht, dass aus dir direkt ein Tennis-Buddhist wird. Aber es ist ein Anfang, der dich zu einem mental stärkeren Spieler machen kann.

Kann man nicht einfach auf Knopfdruck positiv denken?

Stell dir vor, du müsstest morgen rückwärts mit deinem Auto zur Arbeit fahren. Würde dir das leicht fallen? Wahrscheinlich nicht. Ähnlich ist es mit deinen Denk- und Verhaltensmustern auf dem Tennisplatz. Negative Selbstgespräche sind festgefahrene Denkmuster, die durch Trigger im Match verstärkt werden. Wenn du eine Türklinke betätigst, öffnet sich die Tür. Wenn du aufs Gaspedal drückst, meldet sich der Motor. Fast alles, was während eines Matches mit dir passiert, besteht aus deinen festen Denk- und Verhaltensmustern. Deswegen funktioniert der kluge Spruch: “Denk doch einfach positiv!” - nicht. Wäre es so einfach, würde es jeder machen. Das mentale Spiel ist aber nicht einfach. Und deswegen spielt dieses Spiel nicht jeder.

Fazit

Lass uns zusammenfassen, was wir in diesem Artikel über negative Selbstgespräche lernen konnten. 

Wir haben gelernt:

- negative Selbstgespräche sind verbal ausgedrückte Gedanken oder innere Dialoge

- wer sich in seinen negativen Selbstgesprächen verliert, der verliert den Kontakt zum Match

- einmal den Kontakt zum Match verloren, ist es so gut wie unmöglich, diesen Kontakt wiederherzustellen

- negative Selbstgespräche entstehen durch falsche Erwartungen, die dann mit der Realität im Match kollidieren

- mentale Übungen können diese festen Denk- und Verhaltensmuster “lockern” und im Idealfall überschreiben. Das braucht aber Zeit, Geduld und Fleiß.

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von Marco Kühn

Donnerstag
09.10.2025, 18:56 Uhr
zuletzt bearbeitet: 09.10.2025, 14:58 Uhr