Stricker-Coach Dieter Kindlmann: „Vergleiche mit Federer und Wawrinka sind Wahnsinn“
Dominic Stricker hat es durch die Qualifikation in Wimbledon geschafft und trifft in der ersten Runde auf Alexei Popyrin. Coach Dieter Kindlmann gibt im Interview Auskunft über die Ziele und Stärken seines Schützlings.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
04.07.2023, 09:56 Uhr
tennisnet: Herr Kindlmann, Sie sind als Coach von Dominic Stricker hier in Wimbledon. Dominic hat sich qualifiziert, was bei der Dichte im Männertennis nicht selbstverständlich ist.
Dieter Kindlmann: Es gibt so viele gute Leute. Ich habe mit Dominic am 1. April begonnen und war mit ihm auf vielen, auch kleinen, Challenger-Turniere. Und was man da schon in der Quali sieht - wie die Jungs aufschlagen, wie sie sich bewegen - da ist die Dichte von Platz 40 bis 300 sehr groß. Das zeigt ja auch ein Fabian Maroszan, der in Rom gegen Carlos Alcaraz gewonnen hat. So etwas wäre vor einem Jahrzehnt nicht möglich gewesen. Auch hier in der Qualifikation habe ich sehr, sehr gute Tennisspiele gesehen.
tennisnet: Anfang April ist wahrscheinlich nicht der ideale Zeitpunkt, um eine Zusammenarbeit zu beginnen …
Kindlmann: Die ideale Zeit wäre sicherlich nach Ende einer Saison. Dann hat man sechs Wochen Zeit, miteinander zu arbeiten, sich kennenzulernen. Wenn man jemand während einer Saison übernimmt, geht man von einem Höhepunkt zum anderen. Man muss mehr improvisieren. Dazu kommt, dass ich Dominic mit einer Verletzung übernommen habe. Da gab es mal drei Wochen gar kein Tennis. Dann haben wir es in Prag versucht, wo er gleich gewonnen hat. Das war schon überraschend. Das Timing des Anfangs war also nicht optimal. Aber ich denke, wir haben das bis jetzt sehr gut gemacht.
"Dominic muss die Leichtigkeit beibehalten"
tennisnet: Was macht für Sie Dominic Stricker als Tennisspieler aus?
Kindlmann: Die großen Stärken sind sicherlich sein Aufschlag und seine Vorhand. Er ist nicht so groß, nur 1,81 Meter. Aber er serviert kontinuierlich mit über 210 km/h. Und er hat diesen Spielwitz, dieses Zockergen, das viele Spieler auch verlieren. Er ist also keine „Tennismaschine“. Diese Leichtigkeit muss er mit den Arbeitstugenden beibehalten. Dann hat er sehr viel Potenzial. Das Schöne ist aber auch: Wir können an seinen Schwächen noch arbeiten. Das Schlimmste für einen Trainer ist ja, wenn man einen Spieler übernimmt und nicht weiß, wo man ansetzen muss. Dominic hat sehr viel Potenzial und hört zu.
tennisnet: Was sind die nächsten Ziele für Sie?
Kindlmann: Man darf nicht vergessen: Dominic ist noch sehr jung. Und er kommt aus einem Land, wo man ihn nur mit Roger Federer und Stan Wawrinka vergleicht, was ein totaler Wahnsinn ist. Man kann nicht junge Spieler mit zwei Legenden vergleichen. Dominic ist ein Guter. Aber er braucht einfach noch Zeit. Das Ziel ist natürlich, dass wir uns mittelfristig in den Top 100 festsetzen.
Öfter Training mit Wawrinka?
tennisnet: Dominic war ja beim Davis Cup in Trier dabei, hat dort mit Wawrinka Doppel gespielt. Gibt es Kontakt zwischen den beiden?
Kindlmann: Stan hat uns im April zum Training eingeladen. Das ist schon eine Inspiration zu sehen, dass jemand in so einem Alter noch so motiviert ist, so professionell arbeitet. Man kann nur hoffen, dass Stan noch lange weiterspielt. Weil die jungen Schweizer zu ihm hochschauen können. Satn ist ein Klassetyp. Und ich hoffe, dass wir in Zukunft öfter miteinander trainieren können.
"Madison Keys hat alles, um ein Champion zu sein, aber ..."
tennisnet: Ein ehemaliger Schützling von Ihnen, Madison Keys nämlich, hat vor wenigen Tagen das WTA-Turnier in Eastbourne gewonnen. Wie passt das zusammen, dass eine derart hoch veranlagte Spielerin erst sieben Titel auf der Tour geholt hat?
Kindlmann: Madison hat alles, um ein Champion zu sen. Aber um große Titel zu gewinnen, braucht es auch Dinge wie Toughness, mentale Bereitschaft, alles dem Sport unterzuordnen. Da hat Maddie in ihrer Karriere sicherlich nicht alles richtig gemacht. Aber rein von ihren Schlägen her - super Aufschlag, starke Vorhand, bewegt sich gut, kann vollieren - ist es wirklich schade, dass sie mit ihren fast schon 30 Jahren so wenige Titel geholt hat.
tennisnet: Ein Sieg in Eastbourne ist keine Garantie für ein gutes Wimbledon-Turnier. Was trauen Sie Keys hier zu?
Kindlmann: Schwierig zu sagen. Sie fühlt sich auf Rasen sehr, sehr wohl. Wenn sie Selbstvertrauen hat, muss man sie immer auf dem Zettel haben. Aber es werden auch Matches kommen, in denen sie sich nicht so wohlfühlt. Und da zeigt sich dann auch, wie stark sie diesen Titel wirklich will. Weil in den sieben Matches wird es immer ein Match geben, in dem man mal fast aussichtslos hinten ist oder es gar nicht läuft.
Hier das Einzel-Tableau der Männer