"Da könnte echt was gehen"
Deutschland geht als klarer Favorit in die Erstrunden-Partie des Davis-Cup-Wettbewerbs 2017 gegen Belgien (ab Freitag, 14 Uhr, live auf DAZN). Dennoch gibt es einige Fragen, die das Tennis-Panel in Bezug auf den traditionsreichsten Mannschafts-Wettkampf bei den Herren zu beantworten trachtet. Diesmal haben wir Andrej Antic (Chefredakteur tennisMAGAZIN), Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN), Jörg Allmeroth (tennisnet), Uwe Semrau (DAZN), Florian Regelmann (SPOX), Marcel Meinert (SKY) und Jens Huiber (sportradio360/DAZN) befragt.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
01.02.2017, 14:15 Uhr
Die letzte Erinnerung an den Davis Cup war das unglaubliche Finale in Zagreb. Jetzt, in Runde eins, fehlen mit Ausnahme von Novak Djokovic die ganz großen Stars. Warum ist es der Davis Cup dennoch immer wert, ganz genau verfolgt zu werden?
Jörg Allmeroth (tennisnet): Weil er für das jeweils nationale Tennis weiter Bedeutung hat. Weil er eine Plattform für das nationale Tennis darstellt, weil er eine Bühne für Spieler sein kann, die im Wanderzirkus nicht mehr herausgehoben in Erscheinung treten können.
Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Atmosphäre, Brisanz, "Eine Frage der Ehre", Tradition, letztlich auch eine Präsentations-Plattform, etwa für Spieler aus der zweiten Reihe und Doppel-Spezialisten.
Marcel Meinert (SKY): Neben den Grand Slam-Turnieren ist der Davis Cup der einzige Wettbewerb, in dem noch im "Best-of- Five-Modus" ausgespielt. Für mich hat das Format nichts an seinem Reiz und seiner Dramatik eingebüßt - natürlich wäre aber die Teilnahme der Top-Spieler der jeweiligen Nationen für jede einzelne Begegnung noch die Kirsche auf der Torte und wären sowohl für den Ticketverkauf, als auch für die TV-Präsenz Gold wert.
Florian Regelmann (SPOX): Ich habe viel von Zagreb gesehen, ich habe viel von Glasgow gesehen im Halbfinale. Das war mit das beste und emotionalste, was ich 2016 überhaupt gesehen habe. Einfach großartig und der Beweis, dass der Davis Cup grundsätzlich sehr wohl noch lebt. Klar fehlen in Runde eins jetzt viele Stars, was schade ist, aber Schwartzman vs. Fognini in Buenos Aires beim Davis Cup ist zum Beispiel trotzdem lässiger als viele Matches, die wir in Melbourne gesehen haben.
Seit vergangenem Jahr wird auch im Davis Cup der fünfte Satz im Tie-Break entschieden. Sollten es die ITF bei dieser Regeländerung auch belassen - oder noch weitere Schritte setzen?
Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Ehrlich gesagt, geht mir sogar diese Änderung schon zu weit. Ich kann die Spieler zwar verstehen, die dann ab Montag wieder Turniere spielen müssen. Aber da bin ich Traditionalist.
Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Genau. Schon die Einführung eines Tie-Breaks im fünften Satz war für mich ein Rückschritt. Sollte es aber jemals zu einer "Best of Three"-Regel kommen, dann hoffe ich, dass dann wenigstens der dritte Satz ohne Tie-Break gespielt wird.
Uwe Semrau (DAZN): Das sehe ich komplett anders: Jede weitere Verkürzung der Spielzeit und Dauer ist legitim, wenn es die Stars auf den Platz bringt!
Jörg Allmeroth (tennisnet): Man kann sich den Realitäten nicht verschließen. In der durchkommerzialisierten Tenniswelt kann der Davis Cup, kann die ITF nicht so tun, als gäbe man noch allein den Ton an. Man muss über Best-of-Three-Entscheidungen nachdenken, zumindest bis zum Finale. Das sollte weiter im gewohnten Modus ausgetragen werden. Am Heimrecht darf nicht gerüttelt werden, man sollte grundsätzlich dem Gast die Wahl des Bodenbelags zugestehen - als Balance of Powers.
Florian Regelmann (SPOX): Und bitte: Bloß kein Final Four auf neutralem Boden, dann raste ich aus.
Den Davis Cup Deutschland gegen Belgien live und exklusiv auf DAZN erleben
Das deutsche Team trifft auf Belgien. Ohne David Goffin. Wie schätzt Ihr die Chancen von Alexander Zverev und Co. nicht nur für dieses Match, sondern für den gesamten Davis-Cup-Wettbewerb 2017 ein?
Jens Huiber (sportradio360/DAZN): Das deutsche Team ist womöglich ausgeglichener als die beiden Sieger-Teams der vergangenen Jahr mit Großbritannien und Argentinien. Da haben natürlich andererseits Andy Murray und Juan Martin del Potro die Hauptlast getragen, die gut auf Alexander Zverev und Philipp Kohlschreiber verteilt werden kann. Wichtig für eine erfolgreiche Davis-Cup-Saison wird vor allem auch ein funktionierendes Doppel werden.
Marcel Meinert (SKY): Wenn sich die Mannschaft begreift, was sie für eine Chance hat, wenn alle an einem Strang ziehen, ist auch mehr drin. Und: Wahrscheinlich werden wir in der nächsten Jahren wohl nur selten eine in der Breite besser aufgestellte deutsche Davis Cup-Mannschaft sehen. Wenn sich tatsächlich die Chance eröffnet, weit zu kommen, sollten alle diese Gelegenheit nutzen wollen.
Florian Regelmann (SPOX): Es hängt natürlich immer sehr viel davon ab, wer am Ende wirklich spielt, aber wenn ich das Draw anschaue, könnte ich mir dieses Jahr mit einem total committeten Alex Zverev sogar ein Finale vorstellen. Es überrascht mich selbst, das zu sagen, aber da könnte echt was gehen.
Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Na gut, dann will ich mal wild den möglichen Weg zum Titel tippen: Zweite Runde wäre gegen Italien (tippe auf einen italienischen Sieg in Argentinien). Im Halbfinale dann auswärts gegen Australien (tippe auf zwei Siege der Australier: erst gegen die Tschechische Republik, dann in den USA) - das wäre sehr schwer! Das Finale wäre dann allerdings ein Auswärtsspiel - meiner Einschätzung nach gegen den Sieger aus Großbritannien gegen Spanien.
Michael Kohlmann steht ein klein wenig vor der Qual der Wahl: Mischa Zverev hat die Nummer eins der Welt besiegt, Philipp Kohlschreiber über Jahre Deutschlands Farben prächtig vertreten. Wie ist dieses Dilemma zu lösen?
Oliver Faßnacht (Eurosport): "Fight fire with fire"? Dann wäre das ein Auftrag für Mischa Zverev. Meine Tendenz geht aber zur Davis Cup-Erfahrung und Solidität von Philipp Kohlschreiber.
Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Der Kapitän wollte dazu ja erst einmal die Trainingseindrücke abwarten. Ich gehe aber auch davon aus, dass er die beiden bestplatzierten deutschen Spieler für die Einzel nominiert.
Jörg Allmeroth (tennisnet): Es ist kein Dilemma. Es war fast immer gute Sitte, streng nach Rangliste auszustellen. Dagegen kann sich niemand wehren oder laut protestieren. Und Kohlschreiber hat, by the way, selten enttäuscht im Davis Cup.
Uwe Semrau (DAZN): Luxusproblem! Endlich. Ich denke, die Fülle der Variationen macht die Stärke aus. Das dürfte jedem klar sein - auch wenn er nicht spielt!
Alexander Zverev tritt zum zweiten Mal für Deutschland an. Hat Zverev jetzt schon das Potenzial und die Aura, um sein Team anzuführen wie etwa Marin Cilic dies mit den Kroaten gemacht hat oder Juan Martin del Potro mit den Argentiniern?
Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Das war natürlich interessant zu beobachten bei der Pressekonferenz des Teams am Dienstag: Da haben wir einen selbstbewussten Alexander Zverev gesehen, der aber in erster Linie den Team-Gedanken betont hat.
Uwe Semrau (DAZN): Nein, so weit ist er noch nicht! Eine klare Hierarchie gibt es eben derzeit noch nicht. Ein Problem muss das aber auch nicht sein.
Jörg Allmeroth (tennisnet): Man sollte ihn nicht in diese Rolle des Leaders hineinstoßen. Er hat, ganz allgemein, genug damit zu tun, die Erwartungen im Davis Cup und darüber hinaus zu erfüllen.
Florian Regelmann (SPOX): Das Potenzial besteht auf jeden Fall, die Aura muss er erst noch bekommen, indem er im Davis Cup ein paar große Matches gewinnt. Ich traue es ihm auf jeden Fall zu. Ich hoffe einfach sehr, dass er erkennt, wie wichtig der Davis Cup für sein Standing sein kann und dass er wirklich da auch den Fokus drauflegt.
Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Weder del Potro noch Cilic waren mit 19 Jahren Leader ihrer Teams. "Delpo" wurde in seinen ersten Jahren noch von Nalbandian geführt, hatte auch danach im Team lange keine exponierte Stellung als "der" Leader. Zudem gab es immer wieder Unstimmigkeiten mit dem Verband. Cilic entwickelte sich anfangs an der Seite von Karlovic und Ancic. Beim ersten Einsatz spielte sogar noch Ivan Ljubicic.
Im Doppel ist jede Konstellation vielversprechend. Wie sollte der Kapitän Eurer Meinung nach vorgehen?
Jörg Allmeroth (tennisnet): Es macht Sinn, alle Spieler eines recht ausgeglichenen Teams spielen zu lassen. Also im Doppel dann Mischa Zverev und Struff. Allerdings ist das Doppel situativ aufzustellen. Heißt: je nach Lage nach den Freitagseinzeln.
Uwe Semrau (DAZN): Auf jeden Fall die Einzel abwarten. Es gibt so viele Kombinationen. Wohl dem, der seine Einzelspieler am Samstag schonen kann!
Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Zverev/Zverev! Jan Lennard Struff hat einmal mit Kohlschreiber gespielt - in Doha. Die Brüder konnten dagegen bei ein paar Turnieren 2016 zusammen antreten. Damit wäre Struff ausgeruht für ein Einzel am dritten Tag, Kohlschreiber hätte einen Tag Pause - und Mischa Zverev müsste nicht gleich am ersten Tag ran. Denn: Unabhängig davon, dass er sicher große Lust auf einen Einsatz am Freitag hätte - die Drucksituation, für sein Land anzutreten, ist speziell am ersten Tag nicht zu unterschätzen.
Marcel Meinert (SKY): Struffi ist auf dem Papier der beste deutsche Doppelspieler - liegt aber auch daran, dass er viel häufiger spielt als die Kollegen. Abgesehen davon hätte sich Struff auch durch sein Engagement gegen Polen diesen Einsatz auch verdient. Natürlich hat auch die Kombination Zverev/Zverev viel Charmantes, dass Sascha aber an drei Tagen drei Matches bestreiten wird, halte ich für ausgeschlossen. Auch deshalb spricht einiges für M.Zverev/Struff. Auch Kohlschreiber wäre jederzeit einsetzbar, aber ich denke, dass er sich auf die Einzel konzentrieren wird.
Ein Blick noch zur Schweiz: Ohne Federer und Wawrinka geht es in die USA. Die Rollen sind klar verteilt, zu Ungunsten der Eidgenossen. Welche positiven Aspekte könnte die Partie dennoch für die Schweizer bringen?
Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Das amerikanische Team gefällt mir gut. Es ist halt leider keine Partie auf Augenhöhe.
Jens Huiber (sportradio360/DAZN): Das sicher nicht. Vielleicht lässt Severin Lüthi wieder den jungen Antoine Bellier ran, der hat die Schweiz immerhin in der Weltgruppe gehalten. Könnte ein Perspektivspieler sein.
Marcel Meinert (SKY): Für die Youngster, auf denen in Zukunft die Hoffnungen ruhen, gilt es unbezahlbare Erfahrungen mitzunehmen. Laaksonen hat für die Schweiz zum Beispiel im Davis Cup noch nie in Übersee und schon gar nicht vor so einer Kulisse gespielt. Auch auf der Tour kennt er die großen Courts häufig nur vom Spielplan oder dem Training. Er ist einer derjenigen, der im Davis Cup perspektivisch in die großen Fußstapfen von Federer und Wawrinka treten muss.
Jörg Allmeroth (tennisnet): Ich sehe da leider wenig Licht.
Florian Regelmann (SPOX): Eben. Ich fühle mit Severin Lüthi, mit der Truppe in die USA fliegen zu müssen. Es war schon eine große Leistung, mit Laaksonen und Bellier irgendwie auswärts Kasachstan zu schlagen, ein Sieg in den USA ist aber völlig unmöglich. Ich würde mir ja so wünschen, dass Rog und Stan ein Jahr noch mal gemeinsam Davis Cup spielen.
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