tennisnet-Kinotipp: "King Richard"
King Richard ist für sechs Oscars nominiert, ab diesem Donnertag (24. Februar) läuft er in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Ist der Hype gerechtfertigt? tennisnet durfte den Film vorab schauen.
von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
22.02.2022, 20:13 Uhr
Die Story der Williams-Sisters, sie ist Tennisfans natürlich bekannt. Das Training in Compton, dem Gangster- und Drogenviertel von L.A., mit dem Einkaufswagen als Bällekorb. Dazu die frühen Ankündigungen von Richard Williams, seine Töchter würden irgendwann die Nummer 1 und 2 der Welt stellen und Serena noch erfolgreicher werden als Venus, die klangen wie die Worte eines völlig Verrückten.
Das letztlich tatsächlich Verrückte: Fast alles, was Richard vorausgesagt hatte, traf ein. Und nach mehreren Filmen und Dokus über die Schwestern war es ein schlauer Move, Richard nun in den Mittelpunkt zu stellen.
Es ist ja eine schwierige Sache mit Tennisfilmen. Der Kinofilm Wimbledon - Spiel, Satz und Liebe (2004) war sowohl storytechnisch als auch tennisspezifisch grausam; andere, wie Match Point (2005) von Woody Allen, sind inhaltlich toll, aber der Tennisprofi - oder hier: der Trainer - wird nicht glaubwürdig dargestellt. Licht ins Dunkel gebracht hatte zuletzt Battle of the Sexes (2017), in dem man Tennisszenen von Profis hat doublen lassen und eine feine Story mit tollen Schauspielern erzählt hat.
Dem steht King Richard in nichts nach.
"Hier, unsere Broschüre, Pete!"
Herrlich die Szene, als Richard einen Profitrainer sucht, bei Paul Cohen vorstellig wird und in ein Trainingsspiel zwischen Pete Sampras und einem wütend abdampfenden John McEnroe crasht. "Mac ist weg, Pete stört‘s nicht“, erklärt er. "Lassen Sie sie ein paar Bälle schlagen." Dem zuschauenden Sampras drückt er ein Faltblättchen über seine Töchter in die Hand, "Hier, unsere Broschüre, Pete. Werfen Sie‘n Blick rein. Autogramme gibt‘s später."
Cohen ist überzeugt, nimmt aber nur Venus auf. Und um deren Weg zum ersten Karrierematch dreht sich der Film größtenteils. Jugendturniere bricht Richard bald ab, weil er von anderen Eltern und potenziellen Sponsoren genervt ist - die Williams-Schwestern haben tatsächlich den Weg übers ITF-Jugendtennis gänzlich ausgelassen. Richard überzeugt schließlich Starcoach Rick Macci davon, Venus und Serena aufzunehmen, wenngleich er Maccis Vertrag ablehnt. „Das hier ist unsere Standard-Vereinbarung", erklärt er. "Wenn Sie die Mädchen nehmen, kriegen Sie uns alle, die ganze Familie.“
Natürlich mischt er sich auch bei Macci ständig selbst ins Training ein. Für Macci kann das erste Turnier auf der Tour nicht früh genug kommen, er schlägt Richard fast dazu breit, dann flimmern Bilder von der festgenommenen Jennifer Capriati über den Bildschirm. Richard zieht zurück und fährtmit den Mädels nach Disneyland. Tennis sei schön und gut, so sein Motto, er aber will seine Töchter breiter aufstellen, lässt sie Fremdsprachen lernen, legt Wert auf Bildung.
Vermarktungsprofi Macci ist großartig dargestellt von Jon Bernthal, er wirkt wie eine Mischung aus dem jungen Götz George und einem aufgedrehten Jörg Draeger, der einem zwingend zu Tor 3 mit dem Kleinwagen raten will, während Richard alle Zeit der Welt zu haben scheint und höher pokert. Am Ende feiert Venus ihr Debüt bei einem Turnier in Oakland, wo sie ein Match gewinnt und sich auch gegen Arantxa Sanchez Vicario gut schlägt, die Spanierin war damals die Nummer 2 der Welt.
Richard Williams lässt sich nicht reinreden
Richard Williams geht den gesamten Film lang seinen ganz eigenen Weg. Er verweist ständig auf seinen 78-seitigen Karriereplan, den er bereits aufgestellt hatte, bevor Venus und Serena gezeugt waren. Tennis hatte er sich ohnehin selbst beigebracht.
Ständig beharrt er auf dem "Open Stance", der offenen Fußstellung, die man in den 1980er- und 1990er-Jahren allenfalls bei der Vorhand gesehen hatte, die Williams-Schwestern brachten sie nun auch auf der Rückhandseite ins Profitum.
Venus und Serena sowie Halbschwester Isha Price hatten ihre Hand als "Executive Producers" bei King Richard im Spiel.
Wo ist die Story um die Anti-Baby-Pille?
Ausgelassen wird, worauf Williams immer großen Wert gelegt hat: Die Karriere seiner Töchter habe er aus eigenen Mitteln gestemmt, 810.000 US-Dollar habe auf der hohen Kante gehabt, nachdem er sich in Los Angeles nach oben gearbeitet hatte mit eigenen Firmen, schrieb er in seiner Autobiografie Black and White: The Way I See It (2014). Die Familie lebte damals in Long Beach, der Umzug nach Compton war Williams' Gedanken geschuldet, seine Töchter früh abhärten zu wollen. Auch wenn das hieß, dass er fast täglich verprügelt wurde auf den öffentlichen Courts, dem Drogenviertel der Gegend.
Auch auf die Geschichte um die Anti-Baby-Pille, die Richard angeblich versteckt hatte, was zur Zeugung von Venus geführt habe soll, müssen wir verzichten, ebenso um die Fortsetzung um Serenas Entstehung, als er Gattin Oracenes Handtasche angeblich von einem Kumpel habe klauen lassen und sie dann "beruhigt" habe, kommt nicht vor.
Die echte Jannifer Capriati könnte nicht echter wirken
Für Tennisfans sind die Details in King Richard ein großes Vergnügen. Pete Sampras sieht tatsächlich einigermaßen aus wie Pete Sampras und spielt dessen "Wilson Pro Staff", auch Venus und Serena haben anfangs ihre weißen Yonex-Rackets, Arantxa Sanchez Vicario hat ihre Ballhalterung am unteren Rücken angebracht. Tennisreporterlegende Bud Collins wandert mit seinen knallbunten Hosen durchs Bild. Und die junge Jennifer Capriati donnert in ihrer ersten Szene eine technisch fast exakte Vorhand ins Feld wie das Original, klemmt den Schläger dann zwischen Körper und Ellenbogen und blickt mit einer Hand an der Stirn gegen die Sonne. Die echte Jennifer Capriati hätte nicht echter wirken können.
Dass das Turnier in Oakland eigentlich ein kleineres Hallenturnier und kein gigantisches Freiluftevent war, dass Venus' erstes Match vom Spielverlauf und Ergebnis her nicht ganz so ablief, dass Sanchez Vicario keine unfaire Taktikerin war, wie im Film dargestellt: Wir lassen es der Dramaturgie wegen durchgehen.
Großteil von Richards Leben fehlt
Richards Hintergrund wird leider nur gestreift: Er war in ärmsten Verhältnissen in Louisiana groß geworden, kämpfte sein Leben lang gegen Rassismus und wurde zum Autodidakten. Früh im Film erklärt er Venus und Serena: „Niemand auf der Welt hatte je Respekt vor Richard Williams. Aber euch werden sie respektieren.“
Seine fünf Kinder aus einer früheren Beziehung (zu denen er keinen Kontakt mehr hatte) werden ebenfalls nur am Rande erwähnt, dem Hollywood-Märchen zuliebe. Tochter Sabrina erklärte nach dem Filmstart in den USA verbittert, der Titel "King Richard" sei blanker Hohn, ihre Familie habe keinerlei Unterstützung von ihm unterhalten, nachdem er eines Tages einfach verschwunden sei. Die Karrieren von Venus und Serena seien wohl nur so möglich geworden.
Ein Sonderlob gebührt freilich Will Smith: Er zeigt als Richard eine tolle Leistung, vermutlich ist der Film im englischen Original noch eine Spur besser. King Richard hat in den USA bereits diverse Preise abgeräumt. Smith unter anderem einen "Golden Globe" als bester männlicher Hauptdarsteller gewonnen, er ist zudem für einen Oscar nominiert. Zurecht!
King Richard läuft ab 24. Februar im Kino