Thiem-Coach Nicolas Massu im Interview: "Dominic kann alles"
Nicolas Massu hat als neuer Touring-Coach von Dominic Thiem voll eingeschlagen. Bereits nach wenigen Wochen der Zusammenarbeit krönte sich Österreichs Nummer eins zum Sieger beim ATP Masters von Indian Wells und feierte den bis dato größten Titel seiner Karriere. Im Interview mit tennisnet erklärt Massu, woran er mit Thiem vor dem Turnier feilte, und warum sein Schützling das Zeug zur zukünftigen Nummer eins der Welt besitzt.
von Lukas Zahrer
zuletzt bearbeitet:
21.03.2019, 08:05 Uhr
tennisnet: Herr Massu, Gratulation zum Masters-Titel von Indian Wells. Was bedeutet Ihnen dieser Triumph nach so kurzer Zeit im Betreuerstab von Dominic Thiem?
Nicolas Massu: Zuallererst möchte ich mich für die Möglichkeit bedanken, im Team von Dominic arbeiten zu dürfen. Es macht mich glücklich, dass sie mir das Vertrauen schenken und an meine Fähigkeiten glauben. Wir sind so froh, es war ein traumhaftes Turnier. So schnell ein solch großes Turnier zu gewinnen ist unglaublich. In jedem Match spielte Dominic besser und besser. Für mich war es ein unfassbarer Moment.
tennisnet: Was macht Ihren neuen Schützling so besonders?
Massu: Als Tennis-Liebhaber und passiver Beobachter, der ich bis vor Kurzem war, muss ich sagen: Ich liebe die Art und Weise, wie Dominic Tennis spielt. Wenn ich ihn beobachtete, erkenne ich teilweise mich selbst wieder. Ich spielte etwas ähnlich wie er. Dominic hat alle Voraussetzungen: Das Tennis, die Physis, die mentale Stärke - er ist ein kompletter Spieler.
tennisnet: Inwiefern konnten Sie schon auf Thiems Spielweise Einfluss nehmen?
Massu: Zunächst versuchte ich, so viel wie möglich zu kommunizieren, damit wir uns jeden Tag besser kennenlernen. Beim ersten Turnier in Buenos Aires war ich mehr in einer Beobachterrolle, um herauszufinden, was ich sagen und tun muss, um Dominic am besten zu erreichen. Ich stieß zum Team hinzu, um Kleinigkeiten zu finden, die möglicherweise eine große Auswirkung haben. Er soll wissen, dass ich immer für ihn da und jederzeit für ein Gespräch zu haben bin.
tennisnet: Was haben die ersten Gespräche bewirkt?
Massu: Ich sah mir zunächst an, was er verbessern muss. Was sind seine Ziele, und was muss er dafür tun, um sie zu erreichen? Er sagte mir, viele sehen die unglaublichen Leistungen auf Sand, aber er müsse sein Spiel auf Hartplatz verbessern. Nur weil sich der Belag ändert, musst du aber nicht dein gesamtes Tennis umkrempeln. Du musst ganz kleine Anpassungen vornehmen, das kann schon den Ausschlag geben.
tennisnet: Wie sehen solche Anpassungen aus?
Massu: Auf Hartplatz sollte er etwas mehr Risiko nehmen. Vor allem gegen große Aufschläger könnte er beim zweiten Aufschlag eine Spur weiter im Feld stehen, wie etwa gegen Raonic oder Karlovic. Denn sonst setzen sie dich mit Serve and Volley unter Druck. Er fühlt sich beim Return wohl, wenn er von weit hinten spielt. Aber er muss es hin und wieder durchmischen mit Schlägen von weiter vorne.
tennisnet: Diese Kleinigkeiten führten zum Titel?
Massu: Nach der Partie gegen Gilles Simon fiel mir zum ersten Mal auf, dass er möglicherweise ganz Großes erreichen kann. Du musst ein kompletter Spieler sein: Ein flaches Service mit Kick-Aufschlägen mischen, mehr ans Netz gehen und dabei noch solide auf der Grundlinie sein. Das war der große Schlüssel, warum er in Indian Wells so gut spielte. Deshalb ist Roger Federer auch der Beste der Besten. Du weißt bei ihm ja nie, was du erwarten kannst, weil er einfach alles drauf hat.
Thiems Coach Massu: "Dominic kann alles"
tennisnet: War dieser Turniersieg so etwas wie Thiems Meisterprüfung?
Massu: Dominics Matches waren alle grundverschieden. Karlovic, Raonic, Federer – bei diesen Gegnern musste er stets anders agieren. Dominic hat demonstriert, dass er das alles drauf hat - auch auf Hartplatz. Er kann das alles. Wenn er das wieder zeigt, wird er ein gefährlicher Spieler auf allen Belägen sein.
tennisnet: Wie sah die Vorbereitung auf Indian Wells konkret aus?
Massu: Nach Rio wussten wir, dass wir ihn so schnell wie möglich zur Top-Form finden müssen. Als er nach Südamerika reiste, war er nicht in seiner besten Verfassung. Er war etwas krank und nicht so stark, wie wir ihn normalerweise von seinen Auftritten auf der Tour kennen. Bereits zwei Wochen vor Turnierstart reisten wir nach Indian Wells, so konnte er sich auf die Bedingungen bestens einstellen. Wir haben einen individuellen Trainingsplan erstellt. Die Intensität war enorm: Training auf dem Platz, dann eine Konditionseinheit, und wieder zurück auf den Platz.
tennisnet: Wie hat Thiem auf dieses Programm reagiert?
Massu: Wir haben ein gutes Verhältnis. Dominic ist nicht nur ein guter Spieler, sondern auch menschlich großartig. Er ist ein unglaublicher Arbeiter. In der gesamten Vorbereitung hat er meine Anweisungen immer sofort befolgt. Er ist immer positiv, will sich laufend verbessern und den einen zusätzlichen Schritt machen. Er hat eine unglaubliche mentale Einstellung. Er ist ein echter Champion. Wenn er Selbstvertrauen hat, ist alles möglich.
tennisnet: Hilft es Ihnen in Ihrer Arbeit als Touring-Coach, dass Sie viele Spieler noch aus Ihrer aktiven Zeit kennen?
Massu: Federer, Simon oder Karlovic sind Spieler, gegen die ich selbst noch angetreten bin. In der Vorbereitung kann ich mich in die Situation hineinversetzen und weiß, was einen gegen sie erwartet. Als Konsequenz ist es leichter, einen Matchplan zu erstellen und im Training darauf einzugehen.
Massu: Thiem darf nichts überstürzen
tennisnet: Glauben Sie, dass Dominic Thiem das Potenzial zur Nummer eins der Welt hat?
Massu: Da sind Sie nicht der erste, der mir diese Frage stellt (lacht). Dominic muss seinen Lebensstil weiter durchziehen, dieser harte Arbeiter bleiben und seinen Trainern vertrauen. Vor dem Turnier war er noch richtig angeschlagen, plötzlich ist er aber der Indian-Wells-Champion. Warum sollte er also nicht davon träumen, eines Tages einen Grand Slam zu gewinnen, oder die Nummer eins der Welt zu werden? Wir sprechen von einem Spieler, der das Potenzial und Talent hat, viele große Titel zu gewinnen. Er muss es sich selbst auch zutrauen.
tennisnet: Trauen Sie ihm gleich in Miami den nächsten großen Coup zu?
Massu: Nach einem Turniersieg ist man umso hungriger nach mehr Titeln. Nach einem Masters-Sieg will man ein Grand Slam gewinnen, und danach auch die Nummer eins der Welt werden. So ticken die Köpfe der Tennisspieler. Aber wir müssen das Schritt für Schritt angehen und dürfen nichts überstürzen – frei von jeglichem zeitlichen Zwang, kein Druck. Lasst uns hart arbeiten, diesen Moment genießen, denn sie sind nicht alltäglich. Mit dem Kopf ist er ohnehin schon beim Zweitrundenmatch von Miami. So eine Einstellung brauchst du im Tennis.
tennisnet: Wie viel Spaß bereitet es Ihnen, als Touring-Coach zu arbeiten?
Massu: Das Leben auf der ATP-Tour hat mich über viele Jahre geprägt. Ich habe hier viele Freunde, zudem reise ich gerne. Ich bin eine sehr intensive Person, die sich stark in ihre Aufgabe hineinlebt. Ich sitze hier und überlege mir hundert Möglichkeiten, wie Dominic seine Matches gewinnen kann. Ich bin sehr glücklich mit meiner neuen Rolle. Ich liebe den Wettkampf, das war schon mein ganzes Leben lang so. Und ich liebe diese Drucksituationen: die Nervosität vor einem Match, der Moment des Sieges, aber auch der Niederlage. Seitdem ich fünf Jahre alt war, spiele ich Tennis. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen.
Nicolas Massu: "Ich gebe mein Bestes für Dominic"
tennisnet: Welche Art von Trainer sind Sie?
Massu: Ich bin eine Person, die viel träumt, sehr positiv gestimmt ist und ich habe eine jede Menge Energie. Ich kann nur darauf hoffen, dass ich in der Zukunft gesund bleibe, um dem Tennis noch lange eng verbunden zu sein.
tennisnet: Aber wenn man Ihre Trainingseinheiten sieht, merkt man doch, dass Sie dieses Level noch locker halten können.
Massu: Natürlich, ich bin stärker als je zuvor! (lacht) Sehen Sie sich einen Karlovic an, der ist ein Jahr älter als ich und immer noch auf der Tour unterwegs. Ich versuche, in Form zu bleiben. Aber es geht nicht mehr um mich, sondern darum, Dominic zu seinem besten Tennis zu verhelfen. Dafür bin ich da. Mir ist wichtig, dass mir nach einer zweistündigen Einheit mit Dominic nicht die Luft wegbleibt. Außerdem spüre ich auf dem Schläger, wie Dominic seine Bälle spielt. So kann ich ihm viel besser und direkter erklären, woran er arbeiten muss.
tennisnet: Sie sind für Ihre energische Körpersprache bekannt. Woher nehmen Sie diese Energie?
Massu: So ist eben meine Persönlichkeit. Deinem Spieler Motivation zu vermitteln ist gut und schön, aber du musst auch ein Gefühl dafür haben, wann du in deinen Ansprachen mehr Gas geben musst, und wann du eher zurückhaltende Worte finden musst. Das macht die Rolle des Trainers so spannend. Man muss die Aufgabe mit Köpfchen angehen. Das ist das wichtigste, was ich über die Jahre von meinen eigenen Coaches auf der Tour oder im Davis Cup gelernt habe. Meine Passion hat mir zu jeder Karriere verholfen, die ich hatte. Manche Spieler sind mit viel Talent gesegnet. In meiner Karriere wusste ich, dass meine Persönlichkeit und positive Einstellung meine große Stärke ist. Es geht darum, die guten Momente zu genießen, aber in den schlechten Momenten den Mut zu haben, sich da wieder herauszuziehen. Du musst jeden Tag hart an dir arbeiten, um deine Träume zu erreichen. Ich gebe mein Bestes, damit es für Dominic nur in eine Richtung geht: Immer nach oben.