Haas: "Ich bin ein bisschen geschockt"
Tommy Haas hat sich bei seiner Abschiedstournee selbst das schönste Geschenk gemacht. Der 39-jährige Hamburger gewann das Kumpel-Duell gegen Roger Federer beim MercedesCup in Stuttgart.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
14.06.2017, 20:27 Uhr
Es sah nach einem netten Tennisnachmittag aus für Roger Federer beim Mercedes Cup, nach einer leichten Auftaktübung, nach dem perfekten Wiedereinstieg in das Tourgeschehen im ATP-Wanderzirkus. 22 Minuten lang zeigte Federer makelloses Tennis, er gewann dann auch den ersten Satz gegen seinen Freund Tommy Haas 6:2, aber danach war es komplett vorbei mit dem entspannten Auftritt auf dem Centre Court des Stuttgarter Weissenhof. Erst verlor Federer die Kontrolle über die Partie, dann die meisten der sogenannten Big Points, und schließlich verließ er sogar als 6:2,-6:7-(8:10),-4:6-Verlierer den Platz - ebenso verdient wie sensationell. Triumphiert hatte nicht der beste Rasenspieler aller Zeiten, sondern - jedenfalls schwarz auf weiß - die Nummer 302 der Weltrangliste.
Der unverwüstliche, ewige Tommy Haas, der sich bei seiner Abschiedstournee den besten Auftritt und süßesten Sieg ausgerechnet für das Kumpel-Duell gegen Federer aufgehoben hatte. "Um ehrlich zu sein", sagte Haas direkt nach dem verwandelten Matchball, "ich kann es selbst nicht fassen. Ich bin jetzt gerade ein bisschen geschockt hier." Kurios, aber wahr: Der letzte Haas-Sieg gegen einen Top 10-Spieler datiert aus dem Jahr 2014 in Rom gegen Stan Wawrinka. "Es ist blöd gelaufen. Ich konnte mich am Ende nicht mehr zurückfighten, auch nicht richtig aufputschen gegen Tommy", bekannte Federer.
"Zum Schluss war er immer der bessere Mann"
Es war ein rekordverdächtiger Moment auf allen Ebenen und an allen Fronten, dieser Haas-Coup gegen den siebenmaligen Wimbledon-Champion, gegen den Mann, der die ersten drei Monate dieses Jahres von Traumsieg zu Traumsieg geeilt war - erst in Melbourne, dann auch noch in Indian Wells und Miami. Lange, lange war es her, dass Federer ein derartiges Missgeschick passiert war, die letzte Auftaktniederlage auf Rasen hatte er im Jahr 2002 gegen den Kroaten Mario Ancic kassiert. Gegen einen ähnlich niedrig eingestuften Gegner wie den Dauerpatienten und Dauer-Comebacker Haas hatte er sogar nur 1999 verloren, damals handelte es sich auch um einen Deutschen, den Rheinländer Björn Phau, der auf Platz 407 der Tennis-Charts eingestuft war.
Auch Haas war nicht um eine besondere Note in den Annalen des Tennisbetriebs verlegen, er war nach dem ebenso überraschenden wie überwältigenden Erfolgserlebnis gegen Federer nun mit 39 Jahren der älteste Viertelfinalist seit einem gewissen Jimmy Connors (42 Jahre, 1995 in Halle). "Ich war mir immer des Risikos bewusst, dass ich gegen Tommy verlieren könnte", sagte Federer, "er hat das Potenzial, um immer für Unruhe zu sorgen. Er war zum Schluss immer der bessere Mann."
Doch Alter schützt vor Klasse nicht. Nicht beim 35-jährigen Federer, und auch nicht beim 39-jährigen Haas, der in den Sätzen zwei und drei das Drehbuch auf dem Centre Court komplett umschrieb - fortan begegneten sich die beiden Freunden auf Augenhöhe, in einem Duell, das an Klasse, Dramatik und Spannung gewann. "Ich habe den Ball richtig gut gespürt, es lief besser und besser", sagte Haas, "es ist schon ein sehr spezieller Tag für mich. Dieser Sieg gegen Roger, da weißt du, dass sich die vielen Stunden im Kraftraum, auf dem Trainingsplatz gelohnt haben."
Wird Wettkampfpause zum Boomerang?
Und Federer? Noch ist es zu früh, um von einer Fehlkalkulation des Maestro zu sprechen - mit der Entscheidung, fast zweieinhalb Monate keinen Schläger mehr anzurühren, die komplette Sandserie aus dem Programm zu streichen. Auch zu Jahresbeginn hatte Federer erstmal holprige Momente beim Hopman Cup, bevor er in Australien siegte. Sein Weg führt nun nächste Woche nach Halle, er wird darauf hoffen und setzen, dass er mehr Matches gewinnen, mehr Matchpraxis erlangen kann. Und dann für Wimbledon gerüstet ist. Die größte Schwäche des Maestros in Stuttgart, gegen einen bärenstarken Haas, es waren sicher die vielen ausgelassenen Chancen im zweiten Satz.
Federer vergab einen Breakvorsprung, er vergab auch viele weitere Breakbälle, und im Tiebreak konnte er dann einen Matchpunkt nicht nutzen. Gewöhnlich ist das Federers herausragende Qualität: Bei den Spielen auf Rasen die wenigen herausragend wichtigen Ballwechsel für sich zu entscheiden, dem Gegner den Nerv rauben, selbst Sicherheit und Zuversicht zu sammeln. So blieb nach diesem denkwürdigen Stuttgarter Tag auch eine denkwürdige Bilanz für Federers Wirken in 2017 zurück: 16 Spiele hatte er in dieser Saison gegen Top 100-Profis bestritten, und 16-mal gewann er die Partie auch. Zwei Mal schritt er gegen Profis jenseits der Top 100 auf den Court, beide Male verlor er. In Dubai gegen den Russen Donskoy, in Stuttgart gegen Haas. "Es ist ganz gut, einen Alarmruf zu bekommen. Man merkt erst wieder, was es bedeutet, Spiele und Turniere zu gewinnen. Erst recht, wenn man Wimbledon im Visier hat."
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