„Es hat was von Zurückkommen in die eigene Jugend“

Die Reporterlegende Ulli Potofski spricht im Interview mit tennisnet.com über seine Zeit und Erlebnisse in Wimbledon.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 25.06.2014, 21:18 Uhr

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Ulli Potofski ist einer der bekanntesten deutschen Sportmoderatoren. Der gebürtige Gelsenkirchener erlebte die deutschen Erfolgsgeschichten in Wimbledon hautnah mit. Zwischen 1989 und 1997 moderierte Potofski die Wimbledon-Übertragungen des Privatsenders RTL. Seit 2012 ist Potofski für den Pay-TV-Sender Sky in Wimbledon vor Ort und lädt nach Spieltagsende in die Sky Wimbledon-WG zur Sendung "London Calling" ein. Im Interview mit tennisnet.com sprach Potofski über seine vielen Erlebnisse in Wimbledon.

Herr Potofski, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den 9. Juli 1989 denken?

Das war für mich natürlich ein extrem arbeitsreicher Tag. Zwei deutsche Finals an gleichen Tag mit Boris Becker und Steffi Graf , und auch noch zwei deutsche Triumphe. Wir haben uns auch noch entschieden, das Doppelfinale live zu übertragen, das ich kommentieren musste. Das war damals in einem nicht klimatisierten Raum bei ca. 46 Grad im Schatten. Ich habe in dem Jahr zehn Kilo abgenommen, was mir nie wieder gelungen ist. Wir sind als junger Sender nach Wimbledon gefahren und hatten von nichts eine Ahnung. Es war das erste Mal, dass ein großes Sportereignis von einem Privatsender komplett übertragen wurde. Das war unglaubliches Glück, dass mit Boris und Steffi unsere beiden Tennishelden das Endspiel erreicht haben und dann auch noch gewonnen haben. So etwas vergisst du dein ganzes Leben lang nicht, weil es ein Meilenstein für dein eigenes berufliches Leben, für das deutsche Tennis und für einen kommerziellen Fernsehsender war.

RTL übertrug 1989 zum ersten Mal aus Wimbledon und Sie waren das Gesicht der Berichterstattung. Hätte es einen besseren Einstand in die Wimbledon-Berichterstattung geben können?

RTL hatte immer das Gespür, Dinge zu erahnen. Beispielsweise im Boxen mit Henry Maske, in der Formel 1 mit Michael Schumacher oder im Skispringen. Natürlich wusste man bei Wimbledon, dass es gut laufen könnte. Dass es dann so gut laufen würde, war unfassbar schön.

Sie waren vor 30 Jahren, als Boris Becker mit 17 Jahren in Wimbledon gewann, zum ersten Mal live vor Ort. Was hat sich in Wimbledon in dieser Zeit verändert?

Eine ganze Menge. Dass alles gleich geblieben ist, stimmt natürlich nicht. Die Voraussetzungen für die Medien sind professioneller geworden. Generell sind die Dinge perfekter geworden, der ganze Ablauf ist noch strenger kontrolliert und organisiert. Die Anlage wächst, ständig verändert sich etwas. Auf der anderen Seite haben sie ein paar Dinge beibehalten, die ganz lustig sind. Knicks und Diener auf dem Centre Court wurden abgeschafft, was ich schade finde. Früher ging es vielleicht etwas charmanter zu mit den Holzbüdchen, wo jetzt der Foodcourt ist. Wir drehen die Zeit aber nicht zurück.

Sie haben die glorreichen deutschen Zeiten in Wimbledon hautnah erlebt. Glauben Sie, dass es noch mal solch einen Tennis-Boom in Deutschland wie in den 80er und 90ern geben kann?

Das weiß man im Sport Gott sei dank nie. Ich will das nicht ausschließen, dass plötzlich irgendwo ein neuer Boris Becker auftaucht. Ich glaube nicht, dass wir in naher Zukunft einen Wimbledonsieger bei den Herren mit 17 oder 18 Jahren sehen werden. Es ist aber das Schöne am Sport, dass auf einmal einer auftaucht, den man vorher nicht auf den Zettel hatte. Fakt ist jedoch, dass die jungen Leute hungriger sein müssen, um das zu schaffen. Die Generation heute hat durch die Verwöhnprogramme, die es mittlerweile gibt, vielleicht nicht mehr so den Hunger, weil man im Mittelfeld der Weltrangliste auch gutes Geld verdient.

Sie sind bekennender Fan von Boris Becker. Was ist das Faszinierende am Spieler und der Persönlichkeit Boris Becker?

Ich habe es immer damit verglichen, dass keiner Tennis als Theaterstück so begriffen hat wie er. Wenn er gespielt hat, waren es besondere Ereignisse - wie bei Shakespeare. Es war alles drin: Liebe, Leidenschaft, Tod auf dem Tennisplatz oder Verrat, wenn es falsche Schiedsrichterentscheidungen gab. Er hat das gelebt wie kaum ein anderer, dazu dieser unbedingte Wille zum Erfolg. Die Dinge, die er nach seiner Karriere gemacht hat, können wir nicht beurteilen. Solange er in dem Moment Spaß daran gehabt hat, hat das uns nicht zu interessieren.

Der 7. Juli ging immer wieder als besonderer Tag in die Wimbledon-Geschichte ein. Boris Becker wurde 1985 an diesem Tag mit 17 Jahren der jüngste Wimbledonsieger. Michael Stich siegte 1991 im deutschen Finale gegen Becker . Im Vorjahr triumphierte Andy Murray und wurde der erste britische Sieger seit 77 Jahren. Zudem feiern Sie am 7. Juli Ihren Geburtstag. Welcher Geburtstag in Wimbledon war Ihr schönster?

Es war in einem Jahr, ich weiß nicht mehr genau welches, als der große deutsche Entertainer Hans-Joachim Kulenkampff in Wimbledon war. Er war eines meiner persönlichen Idole. Ein Mensch, der so große humanistische Werte vermittelt hat wie kaum ein anderer, dabei super witzig war und über den Dingen schwebte. Für mich einer der besten und intelligentesten Moderatoren, die wir in Deutschland je hatten. Wir waren an meinem Geburtstag in einem vornehmen Hotel eingeladen. Dort war auch Hans-Joachim Kulenkampff, der anderthalb Stunden über die Welt, die Liebe und Tennis referiert hat. Das waren mit die lehrreichsten 90 Minuten, die ich hatte. Ich bin dankbar dafür, das erlebt zu haben.

Wie schade ist es, dass in diesem Jahr Ihr Geburtstag nicht während des Wimbledonturniers stattfindet, weil das Turnier bereits am 6. Juli endet?

Das spielt für mich keine Rolle. Ich bin nicht so der große Geburtstagstyp. Ich habe die Befürchtung, dass bei uns im Haus alle wach bleiben. Das wird sich wohl nicht verhindern lassen.

Welche Erinnerungen haben Sie an das deutsche Wimbledonfinale zwischen Becker und Stich?

Gerd Szepanski, der leider schon früh verstorben ist, hat das Endspiel kommentiert und war der glühendste Becker-Fan, den ich je getroffen habe. Er hat versucht, das Endspiel so objektiv wie möglich zu kommentieren. Wer ihn kennt und auf die Zwischentöne achtet, wusste, was er wollte und was er nicht wollte. Nach der Niederlage war er furchtbar enttäuscht. Wie Pete Sampras es schon gesagt hat, war Stich vielleicht der beste Tennisspieler, wenn alles zusammengepasst hat. An dem Tag lief bei Stich alles zusammen.

Was ist für Sie das Besondere an Wimbledon?

Für mich ist Wimbledon immer so etwas wie Heimat, etwas Vertrautes für mich. Ich fühle mich hier wohl, ich kenne die Anlage, Leute, ein paar Häuser und Lokale. Es hat auch was von Zurückkommen in die eigene Jugend und Ankommen in der Vergangenheit.

Der Rasen und die Spielweise in Wimbledon haben sich in den letzten Jahren enorm verändert. Serve-and-Volley sieht man selbst in Wimbledon nur in Ausnahmefällen. Wünschen Sie sich manchmal die alten Zeiten zurück oder sind Sie zufrieden, wie sich Wimbledon entwickelt hat?

Natürlich wünscht man sich immer alte Zeiten zurück. Ich bin Nostalgiker, für mich war es damals über weite Strecken attraktiver. Man muss aber akzeptieren, dass sich Tennis weiterentwickelt. Es gibt einen wunderbaren Spruch, der für alle Lebenslagen gilt: Wer nicht auch in der Vergangenheit lebt, wird die Zukunft nicht meistern. Man muss immer wissen, was war, um die Gegenwart und Zukunft zu begreifen.

Welches Wimbledonfinale hat für Sie mehr Reiz? Boris Becker gegen Pete Sampras mit kurzen Ballwechseln oder Rafael Nadal gegen Novak Djokovic mit wenig Netzattacken und vielen langen Ballwechseln?

Wenn Becker dabei ist, würde ich das natürlich vorziehen. Ich bin mit ihm durch die Welt gereist und habe so viel mit ihm erlebt.

Was ist Ihre schönste Erinnerung an Wimbledon?

Es gibt so wahnsinnig viele Erinnerungen, an die ich gerne zurückdenke. Viele davon haben mit den Tennisspielern nicht zu tun, sondern mit Kollegen. Vor allem mit Gerd Szepanski hatte ich jede Menge Spaß. Es sind diese zwischenmenschlichen Geschichten, die es ausmachen. Ich denke auch gerne an die Erlebnisse mit Steffi Graf zurück. Ich bin mit ihr sehr gut zurechtgekommen. Sie war in den Gesprächen mit mir etwas offener als bei anderen. Schön war auch, als Peter Ustinov über das gesamte Turnier Kolumnist war. Ich hatte die Möglichkeit, mit einem Weltstar die Möglichkeit zu philosophieren, nicht nur über Tennis. Es war immer mein Bestreben, auch das mitzunehmen, was abseits des Geschehens passiert. Vor allem in der Zeit mit Peter Ustinov blieb ganz viel für mich übrig, nicht nur als Journalist, sondern vor allem als Mensch. Das ist das Glück, was Wimbledon für mich ausmacht.

Sie haben zu den Zeiten von RTL immer amüsante und kuriose Berichte aus den britischen Tageszeitungen vorgelesen. Welche Geschichte ist am skurrilsten, die Sie mit Wimbledon in Verbindung bringen?

Skurril war, als Guildo Horn mit seinem Song "Ich mag Steffi Graf" hier war. In dem Jahr ist Steffi aber sensationell in der ersten Runde ausgeschieden , sodass die komplette Marketingstrategie im Eimer war. Kurios war auch, als wir im ersten Jahr so doof waren und dachten, dass wir das Turnier mit sieben Leuten regeln könnten, während ARD/ZDF vorher mit 150 Leuten da waren. Wir hatten während eines Beitrags festgestellt, dass wir die Stimmen nicht vertont haben. Zwei Mitarbeiter von uns saßen dann unter dem Moderationstisch und haben den Beitrag live vertont. Wir haben die Situation dann anschließend aufgelöst und die Panne zelebriert. Das haben die Leute in der Zeit sehr gemocht.

Seit 2012 sind Sie mit der Sendung "London Calling" in der Sky Wimbledon-WG vor Ort, die bei den Tennis-Fans nach zwei Jahren schon Kultstatus erlangt hat. Welchen Gast würden Sie gerne in der Wimbledon-WG begrüßen, der noch nicht bei Ihnen zu Besuch war?

Natürlich würde ich gerne Boris Becker in der Sendung haben oder Roger Federer. Es muss aber nicht immer die große Prominenz sein. Wir hatten gestern Martin Emmrich und Michaella Krajicek nach seinem Heiratsantrag bei uns in der Sendung zu Gast. Das war total schön und menschlich.

Die Wimbledon-WG ist eine Live-Sendung, in der nicht immer alles wie geplant verläuft. Zu Zeiten von RTL war die Wimbledon-Berichterstattung noch nicht so durchstrukturiert wie heute. Ist in der heutigen Medienwelt, in der alles immer professioneller wird, überhaupt noch Platz für Spontanität, Fehler und Pannen?

Die Wimbledon-WG ist ein Beweis dafür, dass es noch möglich ist. Natürlich soll alles möglichst gut laufen, aber Perfektionismus ist langweilig. Wenn eine Panne passiert, muss du damit umgehen und das den Leuten erklären. Wir hatten, als wir zum ersten Mal ein Tennismatch exklusiv bei RTL übertragen haben, eine riesengroße Panne. Becker hat bei einem Turnier in den USA gegen McEnroe gespielt. Wir haben uns in unserer grandiosen Dummheit in der Zeit vertan, sodass das Match bei Übertragungsbeginn schon zu Ende war. Wir haben den Zuschauern dann die Situation erklärt, uns die Aufzeichnung rüberschicken lassen und ausgestrahlt. In der damaligen Zeit war es aber weitaus schwieriger, das Ergebnis herauszufinden. Die Leute waren nicht böse. Damals haben sie uns für solche Sachen geliebt, heutzutage wäre so etwas nicht mehr denkbar.

Eine letzte Frage: Schmecken Ihnen die Erdbeeren mit Sahne, die in Wimbledon nicht fehlen dürfen, noch genauso gut wie vor 30 Jahren?

Die Erdbeeren sind etwas wässriger geworden. Sie scheinen größere Mengen herzustellen als früher. Mit der flüssigen Sahne ist es auch nicht ganz unser Geschmack. Aber das gehört zu Wimbledon dazu.

Das Gespräch führte Christian Albrecht Barschel in Wimbledon.

von Christian Albrecht Barschel

Mittwoch
25.06.2014, 21:18 Uhr