US Open: Daniil Medvedev mit dem letzten "Hurra" gegen Rafael Nadal?
Daniil Medvedev trifft im Finale der US Open auf Rafael Nadal. Während es für den Russen um seinen ersten Grand-Slam-Titel geht, peilt der Mallorquiner seinen 19. Major-Titel an. Das Match gibt es in unserem Liveticker.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
08.09.2019, 16:49 Uhr
Am Ende seines sechsten siegreichen US Open-Auftritts hatte Daniil Medvedev dann doch eine überraschend naheliegende Erkenntnis gewonnen. Medvedev stand am Freitagabend auf dem Centre Court des Billie Jean King National Tennis Centers, er war soeben nach einem Drei-Satz-Sieg gegen Grigor Dimitrov ins New Yorker Finale eingezogen, und nun zählte er auf, was ihm in den letzten Tagen und Wochen so alles passiert war: Er war nach Wimbledon herübergekommen in die Staaten und nach Kanada, er hatte die Endspiele in Washington und Montreal erreicht und in Cincinnati gewonnen. Dann kamen die US Open, „mit Verletzungen, Streit mit den Fans, ein bisschen Idiotie von mir und vielen Siegen.“ Alles in allem, rechnete sich Medvedev vor, sei es ja die „beste Zeit überhaupt gewesen“, weshalb er nun auch sagen könne und müsse: „Ich liebe die USA.“
Man weiß bei dem 23-jährigen Russen nie so genau, was er wirklich ernst gemeint. Und was dazu geeignet ist, als Ironie durchzugehen, auch als schlichtes Verkohlen der New Yorker Tennisfreunde, die ihn einige Zeit hemmungslos auspfiffen wegen einiger Eskapaden und sich zuletzt doch wieder dezent auf seine Seite schlugen. Was allerdings ziemlich klar auf dem Tisch liegt, ist dies: Medvedev hat es in diesem Sommer geschafft, sich als möglicher Erbfolger für das Trio der außergewöhnlichen Gentlemen, also Roger Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal, in Stellung zu bringen. Einen dieser Großen Drei wird Medvedev am Sonntagnachmittag gleich noch einmal im Pokalmatch treffen, Nadal, den Kämpfertypen aus Mallorca, der im zweiten Halbfinale den Italiener Matteo Berrettini besiegt hatte
Nadal um den 19. Major-Titel
Es kann sein, dass es eine sehr unerfreuliche Begegnung für Medvedev wird, Nadal scheint kaum zu stoppen zu sein in diesen Tagen im Big Apple. Aber wer würde sich schon auf Prognosen einlassen bei Medvedev, diesem unberechenbaren Streiter, dem im Turnierverlauf immer wieder das nahe Ausscheiden prophezeit worden war, schon in ganz frühen Runden, als er mit Bandagen zugekleistert war und über die Müdigkeit nach dem Mammutprogramm des nordamerikanischen Sommers klagte. Zuletzt wirkte Medvedev wieder erfrischt, belebt, in normaler Verfassung, was kein gutes Zeichen für die Konkurrenz ist: Denn in der Regel geht Medvedev über Stunden jedes Tempo und jeden Ballwechsel mit stoischer Miene mit, sein letzter Gegner Dimitrov sagte über Medvedev, der „spiele alles zurück, bevor du selbst einen Fehler machst.“ Allerdings: Auch Nadal, der alte Kämpe, ist nicht dafür bekannt, viel zu verschenken, schon gar nicht irgendwie leichtfertig die Chance auf den 19. Grand Slam-Titel, das Heranrücken an Federer mit seinen 20 Pokalgewinnen.
Medvedev, der zwischenzeitlich mit einiger Hinterlist die Rolle des Bad Boy bei diesem Turnier bediente und daraus einige Kräfte sog, hat sich in den letzten Wochen auch kraftvoll abgehoben von seinen Generationsgenossen – von all denen, die Schlagzeilen als potenzielle Herausforderer der Elitegruppe an der Spitze machten. Doch keiner von den Zverevs, Tsitsipas´, Kyrgios´ oder Shapavalovs legte bisher eine vergleichbare Serie hin wie der geschmeidige Stratege, mit vier Finalteilnahmen in Serie, 21 Siegen in 23 Spielen, einem Endspielplatz bei einem Grand Slam – und ganz nebenbei auch noch dem Sturm auf Platz 5 der Weltrangliste und der Qualifikation fürs Saisonfinale in London. In der Hitliste für die meisten Saisonsiege liegt Medvedev mit 50 Erfolgen vor den üblichen Verdächtigen – Nadal 45, Federer 43, Djokovic 41. Andererseits geht Medvedev in den ultimativen Showdown dieser Offenen Amerikanischen Meisterschaften des Jahres 2019 als Finaldebütant, während Nadal sein 27. Finale bestreitet.
Hat der unkonventionelle, auch unorthodoxe Moskowiter eine Chance gegen den „Matador aus Manacor“, den gnadenlosen Ringkämpfer? Als sie sich vor kurzem das erste und einzige Mal trafen, im Masters-Finale in Kanada, überrollte die Menschmaschine Nadal den Gegner mit 6:3 und 6:0. Viele aus der vielköpfigen Tennis-Expertenschar rechnen im Grunde mit nichts anderem in New York, sie setzen indes auch ein Aber hinter ihre Berechnung. Das Aber namens Medvedev, ein Spieler, bei dem man nicht weiß, was im nächsten Moment kommt, vielleicht sogar ein letztes Hurra, ein Meisterwerk gegen den haushohen Favoriten. Es kann sehr einseitig werden im Endspiel. Oder ganz anders kommen.