Mardy Fish – Der schwere Kampf mit der krankhaften Angst
Mardy Fish gab bei den US Open eine eindrucksvolle Abschiedsvorstellung und sprach offen über seine Krankheit.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
03.09.2015, 11:05 Uhr
Von Jörg Allmeroth aus New York
Wie könnte er den schwersten Tag seines Tennislebens jemals vergessen? Den Tag, der eigentlich sein schönster Tag werden sollte. Der Tag, an dem der Weltklasse-Profi Mardy Fish im Achtelfinale der US Open 2012 gegenRoger Federerantreten durfte, ein großes Spektakel in der größten Tennisarena der Welt, im Arthur Ashe Stadium. „Du arbeitest dein Leben lang für solche Momente – und dann passiert so etwas“, sagt Fish.
„Es ist keine Schande, Schwäche zu zeigen“
So etwas: Damit meint Fish seine Panikattacken. Pure Angst, die ihn seinerzeit auf dem Weg zum Stadion jäh in der Shuttlelimousine überfällt. Herzrasen, fast bis zum Zusammenbruch. Und nur eins hilft ihm noch an jenem Tag des Federer-Spiels, an dem er mit seiner Frau im Auto sitzt, von den Wolkenkratzer-Schluchten Manhattans herüber zum National Tennis Center – die Absicht, das Spiel seines Lebens nicht mehr zu spielen. „Ich wäre beinahe verrückt geworden in dem Auto. Dann sagte meine Frau: Du musst nicht spielen, du musst auf gar keinen Fall spielen. Und dann habe ich das Match abgesagt“, sagt Fish. Federer ist jedenfalls eine Runde weiter damals – und Fish in der größten Krise, geplagt nicht nur von einer Angststörung, sondern auch von schweren depressiven Verstimmungen. Lange habe er sich damals selbst belogen, den eigenen Zustand verharmlost, sagt Fish, „doch an diesem Tag wusste ich: Es muss etwas passieren.“
In der Welt der Starken und Fitten, diesem professionellen Zirkusbetrieb der hochgerüsteten Tennis-Akteure, hat Fish den wahren Charakter seiner Erkrankung auch nach außen lange verschwiegen. Erst jetzt, bei seiner vielbeachteten Rückkehr zu den US Open 2015, zu seinem Abschiedsturnier als Tennisspieler, hat der 33-jährige US-Amerikaner mit einer gewissen Leichtigkeit über seine Schwäche sprechen können, über ein „Tabu-Thema“, wie er findet: „Denn fast 20 Prozent aller Amerikaner leiden unter solchen Problemen. Es ist weit verbreitet. Aber es ist keine Schande, Schwäche zu zeigen.“
Teure Panikattacke im Flugzeug
Wie das Drama des aufgekündigten Federer-Rendezvous’ vor drei Jahren endete, ist inzwischen auch bekannt. Dramatisch ist dabei kein zu großes Wort, denn als Davis-Cup-Spieler Fish und seine Frau im Flieger nach Minnesota sitzen, überfallen ihn wieder Angstattacken. Der Linienjet muss in New York von der Landebahn zurück ans Gate, Fish kann nicht fliegen, „es war schlichtweg unmöglich“, sagt er, „ich weiß nicht, was noch passiert wäre.“ Erst ein paar Tage später kehren die Eheleute Fish mit einem Privatjet heim, 20.000 US-Dollar kostet der Charter.
Damit beginnt sein Kampf aber erst. Als er wieder zuhause ist, traut sich der frühere Weltranglisten-Siebte wochenlang fast nicht mehr aus dem Haus heraus. Es gibt nur eine Ausnahme: Besuche beim Psychiater. Und kleine Strandspaziergänge mit seiner Frau. Fish sagt, er habe Angst vor „praktisch allem“ gehabt: „Aß ich drei Toasts, dachte ich: ‚Oh Gott, du wirst zunehmen.’ Aß ich wenig, dachte ich: ‚Du wirst abmagern.’“ Fish nimmt Medikamente, geht zur Therapie – und langsam, ganz langsam wagt er sich wieder in Situationen, die ihm auf der Höhe der Erkrankung undenkbar schienen: Allein ins Kino zu gehen, alleine zu schwimmen. „Verrückt: Dabei war ich immer der Typ, der Unabhängigkeit über alles liebte, das freie Herumreisen, dieses Durch-die-Welt-Gondeln als Spieler“, sagt er. 2013 versucht er sich an einem ersten Comeback, aber es bleibt beim Versuch.
3. Runde vor Augen, aber nun Zeit für einen Margarita
Erst 2015 schafft er es zurück auf die Tenniscourts, zu einer Abschieds-Tour in Amerika – mit dem Höhepunkt des Auftritts bei den US Open. „Leicht ist es nicht. Es ist immer noch ein täglicher, alltäglicher Kampf“, sagt Fish. Als er in New York ankam, sagte er, seine Form könne allenfalls für ein Match reichen, „dann wird Schluss sein.“Doch dann besiegte er in Runde eins den Italiener Marco Cecchinato in vier Sätzen.Erst am Mittwoch senkte sich der Vorhang für ihn,in einem dramatisch verlorenen Fünf-Satz-Duell gegen den Spanier Feliciano Lopez, bei dem er im vierten Akt sogar zum Matchgewinn aufschlug. Und sich dann in der Endphase, von Krämpfen geschüttelt, kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Alles war vorbei für Fish, aber zu seinen eigenen Bedingungen – und nicht von seiner Krankheit diktiert. „Ich werde diesen Tag für immer in Erinnerung behalten“, sagte Fish mit belegter Stimme, den Tränen nahe, „es war ein schönes Erlebnis.“ Fish kam schon als Sieger nach New York, und er verließ es auch nicht als Geschlagener. „Du warst großartig“, rief Fishs alter SpeziAndy Roddickper Twitter nach New York, „ich könnte nicht stolzer auf dich sein.“ Gefolgt von der Einladung: „Zeit für einen Margarita.“
Hier die Ergebnisse von den US Open:Einzel,Doppel,Einzel-Qualifikation.
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