Marin Cilic, Goran Ivanisevic und das Ende der Nettigkeit

Der Triumph von Marin Cilic bei den US Open ist die Krönung einer lebenslangen Partnerschaft mit Goran Ivanisevic.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 09.09.2014, 12:28 Uhr

Von Jörg Allmeroth

Goran Ivanisevic kann sich noch gut an die ersten Tage seiner Trainerarbeit bei Marin Cilic erinnern, im Spätherbst des vergangenen Jahres. „Wir haben auf einem Scherbenhaufen begonnen, es war total deprimierend", sagt der Mann, der einst als „Herr der Asse" im Wanderzirkus bekannt und gefürchtet war. Niedergeschlagen, verunsichert, „immer noch schwer frustriert" erlebte Ivanisevic damals seinen 25-jährigen Schützling, als der nach seiner viermonatigen Dopingsperre von vorne anfangen wollte: „Er war mit den Nerven fertig, weil man ihn für einen Betrüger hielt."

Was sie in bloß zehn Monaten schafften, der alte Meister und sein gelehriger Schützling, der Nationalheld und der neue kroatische Superstar, das verblüffte zum Ende der Grand-Slam-Saison 2014 die ganze Tenniswelt. Auferstanden aus den Ruinen seiner Profiexistenz, triumphierte Cilic am Montagabend mit einer Selbstverständlichkeit und Ruchlosigkeit bei den US Open in New York, die ihn auch zum Bedroher des Establishments bei künftigen Pokalkämpfen stempelte: „Dieser Sieg", hielt Cilic selbst als Lehre über den Tag hinaus fest, „ist ein Signal, dass man mit harter Arbeit alles erreichen kann, auch gegen die Stärksten und Besten." Spielerisch leicht war ihm zuvor der6:3,-6:3,-6:3-Endspielerfolggegen den JapanerKei Nishikorigefallen, den anderen Überraschungsmann des Turniers.

Weg vom zweifelnden, zu nachdenklichen und braven Spitzenspieler

Gesiegt hatte in New York auch eine Partnerschaft, die fast ein ganzes Tennisleben lang währt. Denn Ivanisevic und Cilic verbindet schon seit den Jugendtagen des neuen Grand-Slam-Königs von New York eine enge Beziehung. „Goran war immer ein Vorbild für mich, ein Lehrer, ein Orientierungspunkt", sagt Cilic. Schon in Jugendjahren trainierte der Aufschlagkünstler regelmäßig mit Cilic, später vermittelte er ihm den erfahrenen, kenntnisreichen Australier Bob Brett als Trainer. Und dann, in der Stunde der größten Not, als Cilic im Juli 2013 wegen der verbotenen Einnahme eines Stimulanzmittels vom Wettkampfbetrieb verbannt wurde und angeschlagen auf die Tour zurückkehrte, sprang Ivanisevic nicht nur als Coach ein, sondern auch als psychologischer Aufbauhelfer und Gute-Laune-Onkel: „Das Wichtigste war, den Spaß am Tennis zurückzukriegen", sagt Ivanisevic, „und Marin klar zu machen, dass ihn nicht alle für einen Verbrecher halten."Cilics Strafe war ohnehin auf vier Monate reduziert worden, weil der Internationale Sportgerichtshof der Aussage des Kroaten in einem Einspruchsverfahren teilweise Glauben schenkte- der hatte stets argumentiert, die nachgewiesene Aufputschsubstanz habe sich in Glukosetabletten befunden.

Im großen Schlagzeilen-Gewitter um den „Club der Ex-Champions", um „Beckovic", „Fedberg" oder die Allianz Chang/Nishikori, war Ivanisevic bisher eher eine Randerscheinung geblieben. Dabei nahm wohl keiner in den letzten Monaten mehr Einfluss auf Spiel und Verfassung seines Schützlings als der charismatische Mann aus Split, der 2001 als Nummer 125 der Weltrangliste und Wildcard-Starter doch noch Wimbledon erobert hatte, übrigens wie jetzt Cilic auch an einem Montag. Damals hatte der Chefexzentriker Ivanisevic nur zu gern die humorige Legende verbreitet vom guten Goran, vom bösen Goran und vom Goran, der zwischen den beiden Extremen vermittele. Nun kam Goran, der einfühlsame, fachkundige Trainer, dazu, der aus Cilic auch einen anderen Cilic machte - weg vom zweifelnden, zu nachdenklichen und braven Spitzenspieler. Und hin zu einem taffen Fighter, der Mitte 20 nicht mehr gewillt ist, Geschenke zu verteilen und der endlich seine großen Potenziale ausspielen will. Ivanisevic gewöhnte seinem Protégé schlicht die fatale Nettigkeit ab: „Ich habe ihm gesagt: Du musst deine Zähne zeigen, du musst eine Aggressivität da draußen ausstrahlen", sagt er, „freundlich kannst du sein, wenn das Spiel vorbei ist."

New York als Anfang von etwas noch Größerem

Nach diesem Muster operierte Cilic auch bei den Ausscheidungsspielen im „Big Apple". Wie er auf der Zielgeraden des Turniers erst den Ranglisten-FünftenBerdych, dann „Maestro"Federerund schließlich auch Nishikori in jeweils nur drei Sätzen beherrschte, war ein Meisterstück der ganz besonderen Art. „Da stimmte jeder Schlag, jedes taktische Mittel", sagte BeobachterJohn McEnroe, „das hatte die Handschrift eines wahren Champions." Und war mitgeprägt von Ivanisevic, dem Denker und Lenker auf der Tribüne, der auf der Tribüne weit nervöser wirkte als sein Mann unten im Tennis-Ring. „Ich sterbe jedes Mal 1000 Tode, wenn ich zuschaue", sagt Ivanisevic, „das ist schlimmer als jedes Spiel, das ich selbst gespielt habe."

Auch den Angriff auf die „Fabelhaften Vier" wollen sie nun in bewährter Gemeinsamkeit in Angriff nehmen. New York, die Erfüllung eines „Lebenstraums" (Cilic), soll keine blitzlichtartige Momentaufnahme von Stärke und Grand-Slam-Ruhm bleiben, sondern der Anfang von etwas noch Größerem. „Ich habe mir das Gefühl gegeben, da vorne mitspielen zu können", sagt Cilic, „jetzt muss ich es auf Dauer zeigen." Ivanisevic vermeidet ganz bewusst die großen Worte von neuer Machtaufteilung auf der Tour, von einer Revolution gegen die Supermänner aus der Elitegruppe. Er sagt nur: „Es spricht nichts, absolut nichts dagegen, dass Marin auch in Melbourne oder Wimbledon gewinnen kann."

Hier die Ergebnisse von den US Open:Einzel,Doppel,Einzel-Qualifikation.

Hier der Spielplan.

von tennisnet.com

Dienstag
09.09.2014, 12:28 Uhr