US-Open-Sieger Dominic Thiem: "Bin einer, der stets an seine Limits gehen will"
Dominic Thiem hat schon lange den Ruf als Mann, der unermüdlich malocht. Und als einer, der stets an seine Grenzen geht - das hat er am Sonntagabend im US-Open-Finale gegen Alexander Zverev erneut bewiesen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
15.09.2020, 07:28 Uhr
Am Vorabend des New Yorker Finales gegen Alexander Zverev hatte sich Dominic Thiem einen leicht sarkastischen Ausblick gegönnt. „Vielleicht muss ich, wenn es vorbei ist, Andy Murray anrufen. Nämlich dann, wenn ich verliere“, sagte Thiem. Es wäre dann ein Gespräch zwischen zwei Tennis-Stars geworden, die ihre ersten vier Grand Slam-Finals allesamt verloren hätten – sowohl Schottlands Braveheart Murray wie Österreichs Ass Thiem.
Aber es wurde dann, in einer mitreißenden Tag und Nacht-Vorstellung bei den US Open 2020, nicht eine Geschichte des weiteren und wiederholten Scheiterns für Thiem. Sondern die Geschichte einer historischen Aufholjagd, die Geschichte des ersten Spielers, der in der modernen Tennis-Ära im Big Apple noch einen 0:2-Satzrückstand in einen lange, lange Zeit unwahrscheinlichen Triumph verwandelte. „Darauf habe ich mein ganzes Leben hingearbeitet“, sagte Thiem, der Schwerstarbeiter unter den Supermännern seines Sports.
Die Verwandlung des Dominic Thiem
Thiem, dieser fleißige, unermüdliche, höchst sympathische Malocher, war schon länger als Kandidat für die schönsten Preise des Wanderzirkus gehandelt worden. Aber wie so viele andere scheiterte auch er auf den größten Bühnen an der Dominanz der großen Drei, an Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic. Gegen ihn, den Weltranglisten-Ersten aus Serbien, verlor er noch im Januar das Australian Open-Endspiel, zuvor hatte Thiem im Halbfinale auch schon Freund Zverev aus dem Rennen befördert.
Thiems sportliches, aber auch persönliches Profil hatte sich nach der gelungenen Lehrzeit im Erwachsenentennis allmählich verwandelt – Zug um Zug, ganz behutsam, nicht ruckartig: Der 27-jährige hatte zu mehr Selbstständigkeit an seinem Arbeitsplatz gefunden, nachdem es einen nicht ganz störungslosen, aber doch skandalfreien Abnabelungsprozess von seinem langjährigen, verdienten Ziehvater Günter Bresnik gegeben hatte. Zudem hatte sich Thiem vom Vielspieler zum Qualitätsspieler entwickelt, zu einem, der jenseits seines Lieblingsterrains Sand immer sicherer und selbstbewusster geworden war. Thiem war zum modernen Allrounder geworden, der überall zu Titeln greifen konnte.
John McEnroe: "Du brauchst ein starkes Ego - Thiem hat es"
Bei den Branchenriesen hatte Thiem frühzeitig hohen Respekt und Anerkennung gewonnen, auch weil er sich keine Mätzchen und Marotten wie manch verzogene Nachwuchsgröße leistete. Thiem, verinnerlichte früh das Think-Big-Prinzip, er wollte mit den Allerbesten mithalten, sie besiegen, selbst Grand Slams gewinnen. Gegen die Topstars trat er immer wieder unverdrossen mit Mut, Entschlossenheit und Courage an, er mochte die Duelle an den schillerndsten Schauplätzen, er wuchs an den Aufgaben. Die Unerschütterlichkeit wurde auch von psychischer Stabilität getragen, vom Wissen um die eigene körperliche Stärke und beträchtliche Athletik. „Du brauchst auch ein starkes Ego, um mit den Meistern des Universums mitzuhalten“, sagt John McEnroe, „und Thiem hat es.“
Boris Becker hielt früh bei Thiem etwas sehr Wichtiges fest, der Österreicher nämlich sei einer, „bei dem man in jedem Moment spürt, dass er aus seinen Talenten etwas machen will“: „Er verschenkt und vergeudet keine Minute.“ Thiem, ein bodenständiger, abseits der Centre Courts bescheidener Charakter, gewann viele große Matches, er verlor aber auch die wichtigsten Partien bis zum US Open-Coup am Sonntagabend. Die Niederlagen waren frustrierend, aber nicht zerstörerisch für den Mittzwanziger – er kam immer wieder stark und stärker zurück, markierte neue Erfolgswege. Sein Credo begleitete ihn dabei stets, der Vorsatz, den er so formulierte: „Ich bin einer, der stets an seine Limits gehen will. Ich habe auch mehr in meine Karriere investiert als die meisten anderen.“