Was du unbedingt von Roger Federer über Niederlagen lernen solltest

So zu spielen wie der Maestro ist für uns Normasterbliche unmöglich. Also sollten wir dort von Roger Federer lernen, wo wir am ehesten mit ihm fühlen können: nach Niederlagen. Meint Tennis-Insider Marco Kühn.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 29.07.2020, 14:55 Uhr

Roger Federer nach seiner Halbfinal-Niederlage bei den Australian Open 2020
© Getty Images
Roger Federer nach seiner Halbfinal-Niederlage bei den Australian Open 2020

Niederlagen sind deine besten Lehrer

Im Leben, wie auch auf der rutschigen Asche an der Grundlinie, lernst du effektiv und langfristig durch zermürbende Rückschläge. Erst wenn du dich während des Matches schämst, den Platz am liebsten fluchtartig verlassen würdest und du deine Tenniskarriere bereits an einem rostigen Nagel in deinem Keller hängen siehst, hast du wichtige Lektionen gelernt.

Das glaubst du nicht? Dann lehn dich bitte zurück, leg dein Smartphone für einen kurzen Moment zur Seite und überlege, was du alles aus deinen 6:1 und 6:2-Erfolgen gelernt hast. Welche Erkenntnisse konntest du mitnehmen? Hast du mehr über deine Schwächen als Spieler gelernt? Würdest du dich langfristig verbessern, wenn du jedes Match mit Augenklappe und Holzschläger gewinnst?

Ertappt. Du würdest in deiner sportlichen Entwicklung stagnieren. Sobald ein stärkerer Kontrahent mit dir das Racket kreuzen wollen würde, hättest du Probleme.

Was kannst du tun? Du kannst es wie Roger Federer machen.

Der Federer-Effekt für dein Spiel

Seitdem Roger Federer im Jahre 2002 gegen Hicham Arazi bei den French Open spielte bin ich leidenschaftlicher Federer-Fan. Es war nicht leicht mit anzusehen, wie ein spanischer Dauerläufer es schaffte Federer mit einer simplen Taktik über Jahre hinweg vom Court zu spielen. Der hohe, irrsinnige und für eine einhändige Rückhand kaum zu kontrollierende Topspin von Rafa, traf direkt ins Schlägerherz von Roger.

Wenn wir die emotionalen Niederlagen von Federer gegen Rafael Nadal beiseite schaufeln, dann entdecken wir einen Fortschritt im Spiel von Federer - aufgrund der Niederlagen gegen Rafa. Roger forcierte in den Jahren sein Netzspiel, seine Aggressivität an der Grundlinie und die Kunst Ballwechsel kurz zu halten. Seine Frustrationstoleranz wird dabei vermutlich auch einiges an Winterfell zugelegt haben.

Hätte er all das entwickelt, wenn er nicht über Rafa gestolpert wäre? Darüber kann man natürlich ganze Kommentarspalten bei Facebook füllen.

Die Indizien sprechen aber für sich. Roger konnte in den letzten Jahren wundervolle Erfolge feiern, die nicht einmal der fast alles wissende Mats Wilander für möglich gehalten hätte. Diese Erfolge basierten auch auf Grundlage der Niederlagen gegen eben jenen spanischen Matador, der in seiner Freizeit gerne angelt.

Wo wir beim Angeln sind. Was kannst du aus dieser Geschichte für deine Tenniskarriere herausfischen?

Es ist eine simple Idee, die du nach dem lesen dieses Artikels direkt anwenden kannst.

Stell dir diese eine Frage

Die Sonne mag dich beim Aufschlag gestört haben. Der Platzwart hat seine Arbeit kurz vor der Grundlinie nur halbherzig erledigt - alles gut. Doch bringen dich Ausreden für deine letzte Niederlage nicht weiter. Du solltest dich lieber fragen, was in den Ballwechseln passiert ist.

Dabei kommen wir zu einer entscheidenden Frage: Wie hat dein Gegner die meisten seiner Punkte erspielt?

Nimm dich dabei bitte nicht in Schutz. Hast du eventuell keine Geduld gehabt, weil dein Gegner jeden zweiten Ball hoch auf deine Rückhand gespielt hat? Hat dein Kontrahent kaum Punkte selbst erspielt, sondern von deinen Fehlern gelebt? Flog dir dein zweiter Aufschlag konstant um die Ohren?

Indem du dir harte Fragen stellst, erhältst du unbequeme Antworten. Diese Art von Antworten verrät dir, was du als nächstes in deinem Spiel verändern und verbessern musst.

Erst dann kommt dein Trainer ins Spiel. Sprich mit diesem über deine Erkenntnisse. Auf Basis dieser lehren kannst du nun mit deinem Trainer, aber auch in deinem Kopf, an deinem Spiel arbeiten. Ich wünsche dir dabei viel Erfolg und vor allem: Spaß.

von Marco Kühn

Mittwoch
29.07.2020, 19:43 Uhr
zuletzt bearbeitet: 29.07.2020, 14:55 Uhr