Weiter, immer weiter: Roger, die sympathische Raupe Nimmersatt
101 Turniersiege - und kein Ende in Sicht. Mit seinem Erfolg beim ATP-Masters-1000-Turnier in Miami schreibt Roger Federer weiter an der eigenen Legende.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
01.04.2019, 10:39 Uhr
Wenn Roger Federer sich bei seinen Einsätzen im Tennis-Wanderzirkus umschaute in letzter Zeit, dann waren langjährige Weggefährten immer in der Nähe. Aber mit den Aktivitäten auf den Centre Courts hatten sie nur noch mittelbar zu tun, kürzlich in Indian Wells hatte Tommy Haas als Turnierdirektor die offiziellen Zeremonien nach Federers verlorenem Endspiel gegen den Österreicher Dominic Thiem geleitet. Nun, in Miami, überreichte ihm Masters-Chef James Blake den Siegerpokal, am Ende eines meisterlichen Laufes, der mit dem 101. Karrieretitel endete. Gegen Haas und Blake hatte Federer viele erbitterte Kämpfe geführt, überhaupt gegen so viele, die nun ein ganz anderes Leben führen, als Trainer, Funktionäre, TV-Experten oder als Pensionisten.
Nur er, Federer, ist immer noch da. Und immer wieder, selbst mit 37 Jahren, als Siegertyp und Titel-Held. „Es ist schon verrückt. All diese Siege in all den Jahren, es ist eine superlange Reise für mich gewesen“, sagte Federer am Sonntagabend im Hard Rock Stadium, der neuen Spielstätte des Miami-Millionenspiels. Seit er 2001 seinen ersten Turniersieg in Mailand feierte, hat er tatsächlich nie das Siegen verlernt oder vergessen, in jeder einzelnen Saison holte er mindestens einen kleineren oder größeren Erfolg, und in vierzehn Spielzeiten gewann er mindestens vier Titel. Vor 17 Jahren spielte er in Miami noch gegen Tim Henman und Lleyton Hewitt, verlor das Endspiel gegen Andre Agassi, und jetzt gewann Federer auch immer noch gegen die Jüngeren und Jüngsten einer aufstrebenden Generation. Im Halbfinale schlug Federer den kanadischen Teenager Denis Shapavalov, der noch gar nicht geboren war, als er, Federer, 1999 sein Debüt in Miami gab. Kürzlich, bei seinem 100. Turniersieg in Dubai, hatte Federer in eigener Sache gefrotzelt, er sei so „etwas wie der letzte Mann, der noch aufrecht steht.“
Boris Becker - die Älteren ärgern gerne die Jüngeren
Er hat sich längst selbst in jeder Beziehung übertroffen, dieser stolze und zeitlose Alterspräsident der Tennis-Karawane. Federer hat Federer dabei am meisten erstaunt, sowohl als Seriensieger mit nun schon 101 Titeln. Als auch in der Rolle des ewigen Roger, des Mannes, der inzwischen zwei Jahrzehnte im knüppelharten Tourgeschäft umherreist und keine Anzeichen von Müdigkeit oder Genügsamkeit erkennen läßt. „Ich hätte das alles niemal erwartet oder erträumt. Aber es gibt keinen Tag, an dem ich keinen Spaß an dem habe, was ich mache“, sagt Federer, „sonst wäre ich vermutlich auch nicht mehr da.“ Selbst die Tage mit akut frustrierenden Niederlagen sind ihm immer eher Motivationshilfe denn als Anlaß, über ein etwaiges Ende nachzudenken: „Wenn mich eins immer weiter gebracht hat, dann das Lernen aus Fehlern. Das Nachdenken, was man beim nächsten Mal besser machen muss.“
Bei allen Lobgesängen auf die Spielertypen aus der neuen Tennis-Generation bleibt fürs Hier und Jetzt festzuhalten: Noch sitzen die alten Heroen an den Schalthebeln der Macht, ob nun Federer oder auch Djokovic und Nadal. Die drei ganz großen Finals dieser Saison in Melbourne (Djokovic gegen Nadal), Indian Wells (Thiem gegen Federer) und Miami (Federer gegen Isner) bestritten allesamt erfahrene Kräfte, Federer ist nach seinem Triumphzug im Süden Floridas wie in den beiden Spielzeiten zuvor auch der Anführer der Saisonrangliste nach dem ersten Quartal. Boris Becker hatte schon recht, als er mit Blick auf die Perspektiven eines Mannes wie ATP-Weltmeister Alexander Zverev im Januar sagte: „Die Federers und Co., die treten nicht einfach so ab.“ Er fügte noch hinzu, es sei schließlich genau so „wie in jeder anderen Zeit“: „Es macht den Älteren einfach besonderen Spaß, die Jüngeren zu ärgern.“
Roger Federer kann sich gegen Siege kaum wehren
Wobei Federer nun schon eine gefühlte Ewigkeit eine ganze Verfolgermeute piesackt und auf Distanz hält, ein sympathischer Spaßverderber, über den in Miami der geschlagene Finalist John Isner leicht paradox sagte: „Es wäre am besten, wenn Du nie aufhören würdest.“ Isner meinte es nicht im persönlichen Sinne, er gehört ja auch zum Kreis der Akteure, denen Federer manche Karrierechance verbaute. Sondern eher im Sinne des Tennis ganz allgemein, des Sports, den Federer regelmäßig in den globalen Fokus rückt.
Die Frage, wie lange er noch spielen will und wird, begleitet den Maestro bei jedem seiner Gastspiele auf der Tournee. Er selbst allerdings stellt sich die Frage noch nicht, das solle man ihm auch „bitte glauben“, sagt Federer: „Es gibt keinen Plan, es gibt kein Datum. Es geht einfach weiter.“ Weiter, immer weiter. Vielleicht bis zum 40. Lebensjahr, das wäre dann im August 2021. Am Abend seines 100. Turniersieges, im Luftfahrtklub von Dubai, hatte Federer gesagt, er wolle nicht alle Rekorde brechen, auch nicht jenen von Jimmy Connors, der 109 Pokale gewann in seiner Karriere. Aber Federer kann sich kaum wehren gegen weitere Siege und Titel, er ist immer noch zu gut, zu ehrgeizig, zu drahtig für viele Rivalen da draußen auf dem Centre Court. Er, der unverwüstliche Maestro.