What if... Rafael Nadal 2009 nicht gegen Robin Söderling verloren hätte?

Was wäre wenn... Eine Frage, der nicht nur Sportfans in den verschiedensten Szenarien nachgehen. Auch Historiker beschäftigen sich gerne mit der Frage, wie die Welt heute aussehen würde, wenn gewisse Ereignisse anders passiert wären

von Andreas Grünwald
zuletzt bearbeitet: 04.03.2022, 12:09 Uhr

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Das hat die Tenniswelt aus den Angeln gehoben: Robin Söderling schlägt Rafael Nadal in Oaris
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Das hat die Tenniswelt aus den Angeln gehoben: Robin Söderling schlägt Rafael Nadal in Oaris

Letztlich sind „What if“ nur Gedankenspiele. Heute widmen wir uns aber einem, bei dem sich das Grübeln lohnt. Denn tatsächlich könnte die Tenniswelt heute ganz anders aussehen, wenn Rafael Nadal im Achtelfinale der French Open 2009 nicht gegen den Schweden Robin Söderling verloren hätte.

Daher lautet unser heutiges Szenario: What if ... Rafael Nadal 2009 nicht gegen Robin Söderling verloren hätte?

Es ist wohl noch heute eine der größten, wenn nicht die größte Überraschung in der Geschichte des Herrentennis. Rafael Nadal war 2009 der Mann der Stunde. Vor Start der French Open 2009 gewann er drei der vergangenen vier Grand Slams - alle drei im Finale gegen Roger Federer. Eben jener Federer, der nach Finalniederlagen 2006, 2007 und 2008 in Paris endlich den Karriere-Grand-Slam vollenden wollte. Wirklich vorstellen konnte es sich damals jedoch kaum jemand. Ein Eurosport-Artikel titelte vor Turnierbeginn: „Wenn nicht Nadal, wer dann?“, was die damalige Stimmung treffend wiedergab.

Denn was nicht vergessen werden darf: Nadal trat 2005, 2006, 2007 und 2008 in Paris an und triumphierte jedes Jahr am Bois de Boulogne (2008 ohne Satzverlust und im Finale mit einem krachenden 6:1 6:3 6:0 gegen Federer). Ergo: Nadal war in Roland Garros ungeschlagen. Und wer sollte das schon ändern?

Rafael Nadal ist bald wieder auf die Siegerstraße zurückgekehrt
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Rafael Nadal ist bald wieder auf die Siegerstraße zurückgekehrt

So landen wir bei unserem heutigen „What if“. Am 31.05.2009 machte Robin Söderling das bis dahin Unmögliche möglich. Er zwang Nadal in vier Sätzen in die Knie und machte sich unsterblich. Erstaunlich daran ist insbesondere die Tatsache, dass „Rafa“ seinen Rivalen aus Schweden (die sich übrigens nicht besonders wohlgesinnt sind) wenige Wochen zuvor in Rom 6:1, 6:0 auf Sand aus der ewigen Stadt verabschiedete.

Das Ende vom Lied? Roger Federer verwirklichte sich mit einem Finalsieg über Söderling den lang ersehnten Traum vom Sieg unterm Eiffelturm, gewann danach in Wimbledon und Melbourne und überholte Pete Sampras für die meisten Grand-Slam-Turniersiege.

Vor den French Open 2010 war es also Federer, der drei der vier letzten Majors für sich entschied. Ein Plottwist, den selbst Scorsese nicht so hätte schreiben können. Was aber, wenn Nadal nicht gegen Söderling verloren hätte? Grundsätzlich gibt es dabei zwei Szenarien, denen wir nun nachgehen.

Szenario eins: Nadal kann seinen Titel trotzdem nicht verteidigen

Angenommen Söderling spielt am 31.05.2009 nicht das Match seines Lebens und Nadal kann an seine Form aus 2008 anknüpfen, um das Match zu drehen. Im Viertel- und Halbfinale hätten Davydenko und Gonzalez gewartet. Ohne Frage keine leichten
Gegner, Nadal wäre aber als klarer Favorit in die Partie gegangen. Wirklich realistisch scheint nur eine Finalniederlage gegen Roger Federer. Doch hätte dieser seinen Dauerrivalen wirklich schlagen können, nachdem er vier Jahre hintereinander - ohne auch nur je mehr als einen Satz gewonnen zu haben - den Kürzeren auf Court Philippe Chatrier zog

Naja, irgendwie schon. Kleiner Rückblick: wir schreiben das Halbfinale des Masters von Madrid. Rafael Nadal schlägt Novak Djokovic in der Vorschlussrunde im längsten und wohl besten Dreisatzmatch der Geschichte. Am Tag danach stand das Endspiel gegen Federer an, das der Maestro gegen den, zugegebenermaßen offensichtlich müden, Sandplatzkönig sogar glatt in zwei Sätzen für sich entscheiden konnte. Das war Federers zweiter und letzter Sieg gegen Nadal auf Sand. Ein Sieg, der Federer, wie er selbst sagt, einen massiven Schub für sein Selbstbewusstsein gab, bevor er nach Paris flog.

Auch haben wir im Nachhinein gelernt, dass Nadal während des Turniers - und auch während der gesamten Sandplatzsaison - Schmerzen im Knie hatte. Diese waren nicht gerade unerheblich, denn Nadal zog als Titelverteidiger vor Wimbledon 2009 zurück. Wirklich fit war der Mallorquiner also schon während der Niederlage gegen Söderling nicht. Wie fit wäre er noch im Finale, nach zwei weiteren Matches?

Hinzu kommt eine gewisser psychologischer Aspekt: Nie hätte Federer so wenig gegen Nadal zu verlieren gehabt, wie in einem möglichen Finale 2009. Nachdem er sich 2008 in seinem Wohnzimmer an der Church Road (im wohl besten Match aller
Zeiten) gegen Nadal geschlagen geben musste und dann auch noch ein Grand-Slam-Finale auf Hartplatz gegen den Spanier verlor, wäre ein Sieg nicht gerade die Erwartungshaltung gewesen. Stand heute ist die Bilanz bei den French Open 6:0 für Nadal. Nadal gegen Federer in Paris ist das wohl größte Missmatch, das es auf solch einem hohen Level von Legenden jemals gab.

Hätte die geringe Erwartungshaltung und die Tatsache, dass Nadal wohl angeschlagen in das Match gegangen wäre, wirklich für einen Sieg ausgereicht?

Es darf zumindest mal bezweifelt werden. Aber Fakt ist: Nie wären Federers Chancen in einem direkten Duell gegen Nadal in Paris so hoch gewesen, wie sie es am 07.06.2009 gewesen wären. Also lautet das Szenario: Federer schlägt Nadal im Finale. An den Ergebnissen der folgenden Turniere hätte sich wohl wenig geändert. Federer gewinnt Wimbledon - das Finale der US Open 2009 lassen wir mal offen - und er siegt in Melbourne 2010. Eine Titelverteidigung in Paris 2010 ist nichtsdestotrotz mehr als unwahrscheinlich. Nadal gewinnt‌ die Krone zurück und triumphiert in London und erstmals New York.

2011 kommt dann ein gewisser Novak Djokovic und mischt die Karten im Herrentennis neu. Wahrscheinlich hätte sich am Ablauf der folgenden Jahre nicht viel geändert. Warum reden wir‌ dann überhaupt über dieses Szenario? Der Grund ist äußert spekulativ, aber dennoch erwähnenswert. Um es umgangssprachlich zu sagen: Nadal war in Federers Kopf. Es fühlte sich so an, als wäre nicht nur Nadals Spielweise ein Problem für den Schweizer, sondern als sei es auch ein
psychologischer Aspekt. 2017 platzte der Knoten und Federer gewann seitdem fünf der letzten sechs Matches gegen seinen Lieblings- sowie Angstgegner zugleich (wie er selbst sagte). Was also, wenn der Knoten schon 2009 geplatzt wäre? Hätte Federer dann trotzdem 2012 und 2014 (2014 sogar glatt in drei Sätzen) in den Halbfinalspielen von Melbourne verloren? Oder im Finale von Paris 2011, als der Schweizer ein wirklich starkes Match spielte und trotzdem in vier Sätzen
unterlag? Wir wissen es nicht. Zugegeben, dieses Szenario ist sehr spekulativ und höchstwahrscheinlich würde sich der heutige Stand der Dinge kaum unterscheiden. Nichtsdestotrotz ist ein mögliches Finale zwischen Rafa und Roger 2009 ein sehr interessantes Gedankenspiel.

Szenario zwei: Nadal schlägt Söderling und gewinnt die French Open 2009

Jetzt aber zum wesentlich interessanteren Szenario: Nadal gewinnt die French Open 2009. Wäre Federer dann aber überhaupt der Finalgegner gewesen? Einen Tag nach Nadals historischer Niederlage findet sich der Schweizer nämlich selbst in einer heiklen Situation wieder. In seinem Achtelfinalspiel gegen Tommy Haas liegt Federer 0:2 in Sätzen zurück.Hätte er diese Aufholjagd auch geschafft, wenn Rafa noch im Turnier wäre und er nicht im Hinterkopf gehabt hätte, dass die Chance dieses Jahr so hoch wie noch nie ist? Wir wissen es nicht.

Wir sagen aber einfach mal: ja! Federer und Nadal treffen sich im Finale, Nadal siegt und schlägt Federer damit innerhalb von zwölf Monaten in vier Major-Finals. Spätestens hier wäre der Schweizer gebrochen. Damit wären auch die Vorzeichen für Wimbledon 2009 ganz andere. Gehen wir mal davon aus, dass Nadals Knie nicht streikt, er in diesem fiktiven Szenario also fit ist, und somit als klarer Favorit den heiligen Rasen betritt.

Dass Nadal zu dieser Zeit ein absolutes Top-Level auf Gras hatte, kann nicht bestritten werden. Von 2008 bis 2011 gewann er 20 Matches in Folge in Wimbledon. 2008: Titel, 2009: nicht angetreten, 2010: Titel, 2011: Finale. Ab hier kann aber wirklich nur noch spekuliert werden. Mit Nadal im Tableau wäre die Setzliste und damit auch die Auslosung eine ganz andere gewesen. Wäre es im Finale also erneut zum‌ Showdown und damit zum Re-Match vom größten Match aller Zeiten - dem Wimbledonfinale 2008 - gekommen? Und wenn ja, wie hätte Federer das gegen einen damals übermächtigen Nadal gewinnen sollen?

Und wenn Nadal wirklich Wimbledon gewinnt, gewinnt er dann auch die US Open 2009 und schreibt damit Geschichte? Betrachten wir an dieser Stelle mal das große Ganze: Nadal hätte nach den French Open 2009 somit‌ sieben statt sechs Grand Slams auf der Habenseite. Die viel größeren Fragen sind aber: wann hätte Roger Federer sonst Roland Garros gewinnen sollen? Stünde er noch heute - wie Pete Sampras - ohne Titel in Paris da? Es ist wohl sehr wahrscheinlich. 2009 war DIE Chance. Danach erreichte er ein weiteres mal das Endspiel, verlor dort aber gegen - natürlich - Rafael Nadal.

Die zweite große Frage: hätte ein fitter Nadal, der 2009 in Paris siegt, auch Wimbledon und die US Open gewonnen? Wenn ja, wäre die GOAT-Debatte wohl schon längst entschieden. Dann hätte Nadal nämlich nach 2009 bereits neun Majors gewonnen, 2010 gewann er drei weitere. Zieht man Federer Paris und London 2009 ab, steht er bei 18 und das ohne den Karriere-Grand-Slam vollendet zu haben. Nadal hätte Federer also schon 2012 und nicht erst 2020 eingeholt, was Major-Siege angeht.
Würden die beiden Legenden dann überhaupt noch spielen, wenn die Fronten bereits so früh geklärt worden wären? Schließlich ist es doch eben dieser direkte Vergleich (natürlich auch mit Djokovic) und das gegenseitige Pushen zu neuen Rekorden, was alle drei antreibt.

Ein Fazit

Festzuhalten bleibt folgender Gedanke: Vielleicht ist es (für den neutralen Tennisfan) sogar besser, dass Söderling Nadal geschlagen hat. Betrachtet man das große Ganze und die möglichen Folgen eines Sieges des Spaniers, scheint es so,
als hätte der Tennisgott einen langfristigen Plan verfolgt, der voll und ganz aufging. Denn jetzt, im März 2022 und somit fast 13 Jahre nach dem 31.05.20009, spielen die beiden Fan-Lieblinge noch immer und verzaubern uns mit ihrem Tennis. Das Grand-Slam-Rennen steht bei 21 für Nadal und jeweils 20 für Federer und Djokovic. Hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen (auch wenn Federer statistisch gesehen die schlechtesten Karten hat). So kann jeder für sich selbst entscheiden, wer sein persönlicher „GOAT“ ist.

Und sind wir ehrlich: wir alle haben es Federer gegönnt, dass er endlich die French Open gewinnen konnte. Die emotionalen Bilder nach dem Matchball verursachen noch heute Gänsehaut. Von daher: Hut ab, lieber Tennisgott. Und auf hoffentlich noch viele weitere Jahre, in denen unsere Idole uns selbst Nachts an den Fernseher fesseln.

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Freitag
04.03.2022, 17:45 Uhr
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