Wimbledon: Djokovic vor Rekord-Titel, doch Alcaraz hat "keine Angst"
Es ist der große Showdown in Wimbledon: Der Platzhirsch Novak Djokovic wird von Himmelsstürmer Carlos Alcaraz gefordert.
von SID
zuletzt bearbeitet:
15.07.2023, 11:28 Uhr
Novak Djokovic lächelte, beinahe genussvoll antwortete er auf die Frage, was er denn empfinde, wenn er von der aufbegehrenden jungen Generation, in der Tennissprache "NextGen" genannt, so unter Druck gesetzt werde. Er sehe das Alter nicht als Hindernis an, "36", also sein Alter, sei das "neue 26." Es folgte die vorbereitete Pointe: "Ich sehe mich als Teil der neuen Generation."
Den ersten dieser erfolgshungrigen Meute hat Djokovic gezähmt: Jannik Sinner, 21 Jahre alt, aus Südtirol, gab sich alle Mühe, den letzten verbliebenen der "Großen Drei" zu besiegen, ihn vom Thron in Wimbledon, auf dem er bereits seit vier Turnieren nacheinander sitzt, herunterzuholen. Allein: Er erwies sich des Königs noch nicht würdig. Djokovic gewann in drei Sätzen.
Und Alcaraz. Fegte über Daniil Medvedev hinweg, in drei Sätzen, drei Mal 6:3 - es war eindrucksvoll. Der Herausforderer gab sich hernach demütig. "Schwierig", sagte er, werde es werden, aber: "Es ist ein Finale" und deshalb nicht an der Zeit, "Angst zu haben". Warum auch? Der 20 Jahre alte Spanier hat vor Wimbledon im Queen's Club gewonnen, in nunmehr zehn Matches in Serie ist er unbesiegt auf Rasen, und bei jedem Sieg wirkte es, als habe er Fortschritte gemacht.
Djokovic sarkastisch: "Liebe, alles Liebe, alles Liebe und Anerkennung"
Die Sympathien werden ohnehin klar verteilt sein. Das Publikum will den Sturz des Königs sehen, der irgendwie nur geduldet ist, weil Roger Federer halt nicht mehr spielt. Djokovic hat es mit Charme probiert in den vergangenen Tagen, doch die Zuneigung hat Grenzen. Auf Zwischenrufe im Match gegen Sinner reagierte er mit Unverständnis. Das sei "Liebe, alles Liebe, alles Liebe und Anerkennung", sagte er dazu süffisant, beinahe zynisch.
Djokovic, so schien es, ist auch auf dem Platz nicht mehr der Souverän. Er wirkte nicht so dominant wie in all den Jahren zuvor. Eine optische Täuschung - mehr wohl nicht. Nur zwei Sätze gab der Serbe im Turnierverlauf ab. Es hätten noch ein paar mehr sein können, aber: Wenn es eng wird, bleibt er vorerst unantastbar. In Wimbledon musste er bisher sechs Mal in den Tiebreak, keinen verlor er - wie die neun Tiebreaks bei den Grand Slams davor.
"Er weiß in den entscheidenden Momenten genau, was er tun muss", sagte Sinner. Er hat diese entscheidenden Momente ja auch oft genug erlebt. Das Endspiel am Sonntag ist schon das 35. für Djokovic bei einem Grand Slam und neuer Rekord, weil eines mehr als die legendäre Chris Evert (USA). Die meisten dieser Finals hat er gewonnen, 23 insgesamt, was ein Rekord ist nach seinen Siegen in diesem Jahr in Australien und Roland Garros.
Djokovic macht sich angeblich nichts aus diesen Zahlen, aus Rekorden, allerdings machen sie deutlich, welchen sportlichen Stellenwert er einnimmt. Bei einem Sieg am Sonntag stünde er auf einer Stufe mit Roger Federer, der den heiligen Rasen achtmal mit dem Gentlemen's Cup verließ. Er hätte dann auch fünfmal nacheinander gewonnen, was in der Open Era seit 1968 neben Federer nur Björn Borg gelungen ist.
Was Djokovic fehlt, ist die Zuneigung, die der "NextGen" bereits zuteil wird. Er wird sie wohl kaum mehr bekommen. Das Volk will den Sturz des regierenden Königs von Wimbledon.