Dustin Brown – „Bei mir sind immer viele Klischees im Spiel“
Dustin Brown im Interview nach seinem Sieg in Wimbledon in der zweiten Runde gegen Rafael Nadal.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
03.07.2015, 18:03 Uhr
Herr Brown, wie kann die Nummer 102 der Welt den 14-maligen Grand-Slam-Champion Rafael Nadal bezwingen?
Dustin Brown: Ich habe an meine Chance geglaubt. Rasen, das ist mein Belag, da spiele ich mein bestes Tennis. Da glaube ich, etwas Besonders schaffen zu können. Und ich hatte die perfekte Taktik, um Nadal aus seiner Wohlfühlzone zu bringen, ihn zu irritieren und zu täuschen. Ich habe mich gründlich, sehr gründlich auf dieses Match vorbereitet.
Viele sehen in Ihnen nur den Instinktspieler, den Lebenskünstler und Tennis-Abenteurer.
Brown: Wenn es um mich geht, sind immer auch viele Klischees im Spiel. Ich bin jemand, der seinen Beruf sehr ernst nimmt. Das ist erst recht nötig, wenn man wie ich meist als Einzelkämpfer unterwegs ist, ohne großes Team und Betreuerstab.
Ihre Eltern – Sie haben eine deutsche Mutter und einen jamaikanischen Vater – finanzierten Ihnen einst den Einstieg ins Tennis, halfen mit einem Campingwagen für die Reisen aus.
Brown: Dafür bin ich ihnen auch ewig dankbar. Das Geld für teure Hotels war nicht da, so bin ich halt mit dem Buggy rumgefahren, habe sogar für andere Spieler mal die Schläger für ein kleines Honorar bespannt. Von meinen Eltern habe ich auch diese deutsch-jamaikanische Mischung geerbt: Ich bin jemand, der Pünktlichkeit und gute Organisation schätzt. Aber ich bin auch ein Typ, der so eine karibische Entspanntheit hat.
Sie haben immer wieder mal wieder Sensationsmatches geliefert, aber danach auch wieder bittere Niederlagen kassiert.
Brown: Es gab Zeiten, in denen ich damit große Schwierigkeiten hatte. Aber irgendwann habe ich gelernt, das zu akzeptieren: Dass ich kein Weltmeister der Konstanz werde, dass ich nicht wochenlang Siege feiern kann. Aber so ein Sieg gegen Nadal, der entschädigt doch für vieles, auch für viele Erstrunden-Niederlagen anderswo.
Vor ein paar Wochen tourten Sie noch in der Challenger-Serie umher, auf kleineren Schauplätzen, in der sogenannten Zweiten Tennis-Liga. Jetzt spricht die ganze Welt über Dustin Brown.
Brown: Vor zwei Jahren war das ähnlich, als ich hier gegen Hewitt gewann. Das war auch schon eine verrückte Situation, ein riesiges Medieninteresse. Aber ich konzentriere mich ganz auf das Turnier hier, nicht auf das, was um mich herum geschieht. Wimbledon 2015 ist noch nicht zu Ende mich, ich will ins Achtelfinale, in die zweite Turnierwoche – darum geht es. Das ist, was zählt.
In jedem Fall haben Sie Nadal am richtigen Platz, zur richtigen Zeit geschlagen.
Brown: Wimbledon ist natürlich wie ein Turbo. Es macht alles noch mal um ein Vielfaches größer. Ich habe auch schon ein paar tolle Siege gehabt, etwa gegen den Weltklassemann Verdasco in Hamburg, die hat keine Sau daheim interessiert. Nadal, das ist natürlich jetzt auch eine andere Liga, schon nach dem Sieg in Halle letztes Jahr gegen ihn war die Hölle los, tausend Glückwünsche, tausend Mails.
Was bedeutet Wimbledon für Sie?
Brown: Ein wunderbarer, traumhafter Ort, den man umso mehr schätzen lernt, wenn man sich in der Qualifikation fürs Turnier durchsetzen muss. Denn die Qualifikation findet ganz woanders statt, in Roehampton, und das ist schon eine Plackerei ohne Grand-Slam-Flair. Da geht´s nur ums nackte sportliche Überleben, ums Weiterkommen. Wimbledon, der All England Club, das ist auch etwas zum Genießen.
Das Spiel gegen Nadal war der erste Auftritt überhaupt auf dem Centre Court.
Brown: Besser kann es nicht sein. Die Premiere auf dem Centre Court, ein Sieg gegen Nadal, das Match deines Lebens wohl. Die Turnierleute hatten mir sogar angeboten, vor dem Match mal den Platz betreten zu können, mich an die andere Dimension zu gewöhnen. Aber ich habe es abgelehnt: Ich hatte ein gutes Gefühl nach dem Halle-Sieg gegen Nadal, ich wusste, was ich zu tun hatte.
Aufgezeichnet von Jörg Allmeroth.