Wimbledon: Stöhnende Legenden mit sonderbaren Schlägern
Die zweite Woche bei Grand-Slam-Turnieren ist immer auch die Zeit, zu der die Altstars antreten. Auch in diesem Jahr in Wimbledon. Ein Ortsbesuch auf Court 18.
von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet:
13.07.2023, 11:40 Uhr
Seit einigen Jahren schon ist die Woche 2 bei einem Major-Turnier auf den Außencourts nicht mehr nur dem Nachwuchs versprochen. Wohl um den Altersschnitt nicht zu sehr runterzuschrauben, lädt man auch die verdienten Größen des Sports ein, um deren Fans noch mal in die gute alte Zeit reisen zu lassen. Schaut man sich die vollbesetzten Tribünen an, geschieht das völlig zurecht.
Als "Legendenturnier" werden dieses Events gerne bezeichnet (es gibt Doppel und Mixed), und blickt man auf Namen wie Martina Navratilova, John McEnroe (in diesem Jahr nicht dabei) oder die Bryan-Brothers, ist der Name gerechtfertigt; bei anderen wie Anne Keothavong, Greg Rusedski oder Andrea Petkovic vielleicht etwas zu hoch gegriffen (nicht böse gemeint). In Wimbledon hat man vielleicht auch deshalb zum Begriff "Invitation Doubles" zurückgegriffen, und das passt tatsächlich besser. "Einladungsdoppel" also.
Während man sich selbst etwas schlecht dabei fühlt, Court 18 mit dem Mixed Barbara Schett/Thomas Johansson gegen Martina Navratilova/Mark Woodforde aufzusuchen anstatt die Zukunft des Sports zu begutachten, wird man zumindest von anderen Zuschauern und Journalistenkollegen entlastet. Die Ränge auf Court 18 sind voll und auch die Pressebox, im Gegensatz zu vor ein paar Tagen, als Christopher Eubanks gespielt hat. Verrückt, aber auch irgendwie verständlich, wenn dort die Leute spielen, die einen einst zum Tennis gebracht haben.
Eine Reise in die Vergangenheit
Es ist freilich ein völliger Blick in die Vergangenheit, was nicht immer gut ist. Die eigene Vergänglichkeit wird einem bewusst, wenn Mark Woodforde seinen Schuh beim Return verliert und von Barbara Schett herausgefordert wird, ihn sich doch wieder im Stehen anzuziehen (mit 20 kein Thema, ab 40 wird's kritisch - Woodforde, 57, aber besteht den Test). Schett ist mit 47 Jahren die Jüngste im Bunde, es ist fast verwerflich, dass sie mit dem 48-jährigen Johansson ran darf, während Woodforde mit Martina Navratilova, 66, doch die klar ältere Generation stellt.
Die "Grande Dame des Tennis" zeigte wie immer noch den Touch beim Volley, wenngleich sie den Ärger (sie ist halt auch ehrgeizig!) über einen eher schwachen Auftritt nicht verbergen kann.
Stöhnen kann nur der echte Mansour
Das Ergebnis ist wie immer egal bei diesen Spielen, die Ballwechsel aber gut anzusehen - zumindest, wenn nicht zu sehr geblödelt wird. Es ist das Mansour-Bahrami-Syndrom, von dem leider zu viele Legenden befallen sind: Es wird grundlos gestöhnt und versucht, mit alten Gags zu punkten (drei Spieler auf einer Seite, sich kurz auf den Schläger setzen), dabei ist genau das nicht nötig (und nur bei Bahrami lustig). Ein halbernstes Doppel, ein paar Trickshots, es würde völlig reichen.
Ausgerechnet Johansson entpuppt sich dann als amüsantester Geselle: Er sagt Aufschlaggeschwindigkeiten voraus (und liegt nah dran), läuft mal wirr durch die Gegend und ist ohnehin gut im Schlag (er ist Coach von Sorana Cirstea und steht mit ihr regelmäßig auf dem Court). Wobei er das Rennen meist Schett überlässt, angefeuert mit einem laufen "Come onnnnn, Babsi!!!!!!!!!" - zurecht wohl, sie ist nun mal die Schnellste im Quartett. Kollege Game, Schett and Mats Wilander goutiert genau das auch von der Aussichtsplattform über Court 18. Was beweist: Auch Legenden schauen gerne Legenden.
Mark Woodforde und ein legendäres Racket
Mark Woodforde indes befeuert einen komplett in die Vergangenheit. Der Volley sitzt nach wie vor, die Sonnencreme auch, und der linkshändige Teil der "Woodies" spielt tatsächlich nach wie vor mit seiner alten Keule, dem "Wilson Hyper Pro Staff" aus den frühen 2000er-Jahren, mit dem 12:16-Bespannungsbild (kein Witz!). Und zeigt, dass es eben nicht immer das neueste Modell sein muss.
Oder die neueste Bespannung. Das "W"-Symbol in der Saitenmitte ist entsprechend abgewetzt, und es ist kein Wunder, dass der Schläger reißt, als Johansson einen Aufschlag durchfeuert. Wie selten man das Geräusch im aktuell Profitennis hört (die Spieler wechseln die Schläger ja mittlerweile immer bei neuen Bällen), wird einem bewusst, als die Zuschauer ordentlich zusammenzucken. (Und man selbst auch.)
Wie und warum er mit diesem Teil spielt? Wir wissen es nicht, haben aber im Sinne der Wahrheitsfindung und dem nicht vorhandenen Interesse unserer Leser ein Interview angefragt. Ob es klappt, ist fraglich: Die Legenden standen der Presse schon parat, und sie haben sich ja eigentlich auch ihre Ruhe verdient.