Wolfgang Thiem im tennisnet-Interview: „Dominic ist extrem motiviert“
Wolfgang Thiem im großen tennisnet-Interview über den Olympiasieg von Alexander Zverev, das Comeback seines Sohnes Dominic und die Erfolge seiner Schützlinge Alexander Erler und Lucas Miedler in Kitzbühel.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
04.08.2021, 16:09 Uhr
tennisnet: Herr Thiem. Sie haben seit jeher eine hohe Meinung von Alexander Zverev. Hat es Sie dennoch überrascht, dass Zverev im Halbfinale der Olympischen Spiele gegen Novak Djokovic gewinnen konnte?
Wolfgang Thiem: Das hat mich schon sehr überrascht, weil sich Djokovic bis dorthin bärenstark präsentiert hatte. Für den war es das große Ziel, den „Golden Slam“ zu holen. Und ich glaube, dass er letztlich auch an dieser Situation gescheitert ist. Alexander Zverev hat die Gunst der Stunde optimal genutzt, aber vor dem Match hätte ich sicher auf Novak Djokovic gesetzt. Aufgrund der Ergebnisse davor - und weil man weiß: Wenn sich Djokovic etwas in den Kopf setzt, dann ist er nur sehr schwer zu schlagen.
tennisnet: Im Finale gegen Karen Khachanov war Alexander Zverev dann gnadenlos. Wo sehen Sie denn, neben dem Aufschlag, die großen Stärken von Zverev?
Thiem: Früher hat es immer geheißen: die Rückhand. Damit kann er alles machen, die Richtungen wechseln. Aber auch die Vorhand hat er extrem weiter entwickelt, vor allem jenen Ball, mit dem er den Platz aufmacht. Den spielt Zverev extrem gut. Vor drei, vier Jahren war diese Seite noch anfälliger. Wenn Zverev gut serviert und mit der Vorhand einen guten Tag hat, ist er extrem schwer zu schlagen. Mir gefällt das Gesamtpaket, weil Zverev ein ausgezeichneter Arbeiter ist, auch in der Off-Season. Und mir hat auch gefallen, wie er die Finalniederlage gegen Dominic bei den US Open weggesteckt hat. Mir taugt er als Typ, wie er körperlich dasteht, mir taugt sein Spiel.
"Zverev hat im Finale eine ähnliche Situation gehabt wie Dominic bei den US Open"
tennisnet: Nun hat Alexander Zverev bei einem Major noch keinen Sieg gegen einen Top-Ten-Spieler geschafft. Geben Sie etwas auf derartige Statistiken?
Thiem: Statistiken sind dazu da, um gebrochen zu werden. Ich erinnere mich an 2019, als Dominic nach Asien geflogen ist, da hat er davor fürchterlich gespielt. Und dann hat er in Peking das Turnier gewonnen und sich plötzlich sehr wohl gefühlt. Natürlich haben Statistiken ihre Aussagekraft, aber bei Alexander Zverev wird das nicht immer so weitergehen.
tennisnet: Wie hoch ist für Sie der Wert einer olympischen Goldmedaille?
Thiem: Im Tennis geht aus meiner Sicht nichts über einen Grand-Slam-Sieg. Das Besondere an den Olympischen Spielen ist halt, dass sie nur alle vier Jahre stattfinden. Und dass man dort, unter normalen Umständen, eine ganz besondere Atmosphäre hat, weil sich so viele Sportler aus verschiedenen Disziplinen treffen. Tennis ist andererseits keine Sportart mit allzu langer olympischer Tradition. Aber: Für mich ist der Erfolg nicht weniger wert, weil der ein oder andere Spieler in Tokio nicht dabei war. Weil Zverev hat Djokovic geschlagen. Und im Finale hat er dann eine ähnliche Situation gehabt wie Dominic letztes Jahr bei den US Open. Da war Zverev gegen Khachanov dann Favorit. Und das hat er gemeistert.
tennisnet: Was uns zur Frage bringt: Wie weit ist Ihr Sohn derzeit?
Thiem: Dominic ist seit zweieinhalb Wochen wieder im Konditionstraining und arbeitet wieder an der Basis. Er macht einiges mit Alex Stober, seinem Physiotherapeuten. Von daher ist er voll in der Vorbereitungsphase. Das Tennisspielen kann man noch nicht als solches bezeichnen. Bis zum medizinischen Okay dauert es noch ein paar Tage. Prognosen abzugeben, ist unmöglich.
tennisnet: Wie ist die mentale Verfassung?
Thiem: Es macht Dominic richtig Spaß, wieder arbeiten zu können. Wenn man längere Zeit etwas nicht machen kann, dann freut man sich umso mehr. Vor allem dann auf das Tennisspielen. Er ist extrem motiviert. Aber gerade so eine Verletzung muss man halt wirklich ausheilen.
"Alex Erler braucht mehr Matches auf diesem Level"
tennisnet: Nun hat in der vergangenen Woche ein Schützling von Ihnen, Alexander Erler, in Kitzbühel nicht nur im Einzel gegen Carlos Alcaraz gewonnen, sondern mit Lucas Miedler auch den Doppel-Titel geholt. Wo steht Erler gerade?
Thiem: Zunächst einmal freuen mich diese Ergebnisse wahnsinnig für unsere ATC-Akademie, aber vor allem auch für die Familien von Alex und Lucas. Bei Alex hilft der Onkel seit Jahren mit, bei Lucas wäre der Erfolg ohne seinen Vater nicht möglich gewesen. Für Alex ist ein Sieg gegen einen Spieler wie Alcaraz ein riesiger Erfolg. Er war am Anfang verzweifelt, als Bedene zurückgezogen hatte und er gegen Alcaraz dran war. Aber wir haben gesagt: der kommt aus Umag in die Höhenlage, da muss man von Anfang an ready sein. Alex hat sehr gut angefangen, im zweiten Satz hätte die Partie zugunsten von Alcaraz gänzlich kippen können - und im dritten Satz war es dann auf Messers Schneide. Da hat Alex riskiert. Und dafür ist er belohnt worden. Generell kann man Alex zutrauen, einen Spieler wie Alcaraz zu schlagen, weil er hervorragend serviert und eine mächtige Vorhand hat. Er braucht einfach mehr Matches auf diesem Level.
tennisnet: Wie kann er diese Matches bekommen?
Thiem: Die Hauptproblematik ist, dass die Punkte bei den Futures so reduziert wurden. Jetzt sind es zehn für einen Sieg, davor waren es 18. Früher hat man gewusst: Wenn man sechs, sieben Futures gut gespielt hat, dann geht es Richtung Challenger. Und dann Richtung Grand-Slam-Quali. Mein Partner Riccardo Bellotti kann da einiges davon erzählen, der hat um die dreißig Futures gewonnen. Alexander Erler hat in diesem Jahr schon unglaublich viele Matches gewonnen. Und dabei aber so gut wie keine Punkte gemacht. Bei manchen Challengern kommt er rein, bei manchen nicht. Deshalb ist Kitzbühel jetzt auch so wichtig gewesen.
tennisnet: Welche Rolle spielt dabei die Turnierlandschaft in Österreich?
Thiem: Natürlich würden wir uns leichter tun, wenn wir wie in Italien alle zwei Wochen einen Challenger hätten. Ich finde es super, wenn wie in Salzburg/Anif ein Challenger stattfindet. Noch besser wäre vielleicht gewesen, wenn anstelle eines großen zwei kleinere Challenger gespielt worden wären. Weil der Ofi (Sebastian Ofner, Anm. d. Red.), der sowieso qualifiziert ist, der fährt eh auch woanders hin. Aber für Spieler wie den Alex Erler oder den Luci Miedler wäre ein kleinerer Challenger fast noch vorteilhafter. Das Level bei einem großen Challenger und einem ATP-Tour-250-Turnier ist sehr ähnlich.
tennisnet: Was können Erler und Miedler von ihrem Doppel-Sieg in Kitzbühel mit in die nächsten Wochen nehmen?
Thiem: Die beiden harmonieren im Doppel sehr gut. Auf der einen Seite schlägt der Alex unheimlich gut auf, hat von hinten druckvolle Schläge. Und vom Luci weiß man, dass der ein super Doppelspieler ist. Der deckt das Netz gut ab, reagiert gut, ist geschickt. Luci hat ein natürliches Gespür, wie er sich im Doppel am Netz zu bewegen hat. Die Konstellation passt gut zusammen. Dass auf dem Weg zum Turniersieg auch Glück dabei war, ist klar. Das gehört dazu. Es wäre wünschenswert, dass die beiden öfter miteinander spielen, wenn sie im Einzel bei denselben Turnieren antreten. Das hat der Mate Pavic auch eine Zeit lang gemacht. Und bei ihm sieht man, was aus einem erfolgreichen Doppelspieler auf der Challenger-Tour werden kann, nämlich der beste der Welt.