Der "halbe" Wimbledontraum ging in Erfüllung: Angie Kerber im Finale - Jule Görges draußen
Der Traum vom perfekten deutschen Tennistag auf dem berühmtesten Spiel-Platz der Welt blieb ein Traum. Aber Angelique Kerber hat nach einem souveränen, nervenschonenden 6:3, 6:3-Sieg gegen Jelena Ostapenko (Lettland) nun in einem neuerlichen Final-Rendezvous mit der großen Serena Williams zum zweiten Mal die Chance auf Wimbledon-Unsterblichkeit.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
12.07.2018, 18:30 Uhr
Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon
Die siebenmalige Rasen-Königin aus den USA war an diesem historischen 12. Juli auch die beinahe logische Spielverderberin, die Frau, die das schwarz-rot-goldene Wunder auf dem Centre Court verhinderte - mit einem 6:2, 6:4-Sieg über die wacker, aber aussichtslos kämpfende Julia Görges.
Serena wartet am Samstag auf "Angie" - Revanche für 2016?
Kerber gegen Williams - es ist die Neuauflage des hochdramatischen 2016er-Finales, in dem die deutsche Frontfrau auf Augenhöhe mit der bulligen Amerikanerin spielte und knapp in zwei Sätzen unterlag. Wem das Wiedersehen Freude bereiten wird, entscheidet sich ab 15 Uhr am Samstag.
Williams könnte dann ihren 24. Grand Slam-Sieg feiern, den ersten freilich als Mutter, und den achten in Wimbledon. Und Kerber könnte in die Fußstapfen ihrer großen Mentorin Steffi Graf treten, die vor 22 Jahren zum letzten und siebten Mal den Siegerpokal in die Höhe reckte. "Ich war immer überzeugt, dass Angie wieder zu alter Stärke zurückfindet", hatte Graf bereits vor diesem Wimbledon-Turnier gegenüber dieser Zeitung gesagt, "es ist eine eindrucksvolle Serie, die sie spielt."
Finaleinzug in Wimbledon: Ein Triumph voller Genugtuung für Kerber
Kerbers Wiederauferstehung in dieser Saison erlebt ausgerechnet in Wimbledon, dem größten, wichtigsten, prestigeträchtigsten Schauplatz der Szene, ihren strahlenden Höhepunkt. Als "brutalen Absturz" hatte die Kielerin ihr dunkles Jahr 2017 erlebt, die Enttäuschungen bei den Major-Wettbewerben, den Rausschmiss aus den Top Ten der Weltrangliste. Doch nun feierte sie an der Church Road mit dem neuerlichen Endspieleinzug einen Triumph voller Genugtuung, der es mit ihren großen Grand Slam-Siegen in Melbourne und New York und dem Sprung auf Platz 1 der Weltrangliste absolut aufnehmen konnte.
"Sie hat sich mit unglaublicher Entschlossenheit wieder nach oben gekämpft, sie ist zurück bei den Besten", sagte DTB-Damenchefin Barbara Rittner nach dem coolen Halbfinal-Auftritt ihrer langjährigen deutschen Führungsspielerin, "in Wimbledon ist sie für mich schon länger die Favoritin Nummer 1 gewesen."
Kerber: "Ich habe die Ruhe behalten und mich nicht verrückt machen lassen"
Schon vor diesem Finaleinzug hatte Kerber mit dem Halbfinalvorstoß in Melbourne zu Saisonbeginn und dem Viertelfinal-Mitwirken in Paris geglänzt - gerade diese Konstanz auf hohem Niveau bei den Majors erinnert auch wieder an ihre goldenen Zeiten. "Es ist schon eine große Befriedigung, wie ich das alles gedreht habe", sagte Kerber am Donnerstag, nach ihrem meistenteils stressfreien Abstecher auf die Zentralbühne von Wimbledon.
Kerber wirkte ungerührt vom Harakiri-Tennis, das ihr von Gegnerin Ostapenko entgegenschlug. Bei ihren wilden Schwüngen landete die Lettin zwar gelegentlich auch bestaunenswerte Volltreffer, doch weitaus öfter handelte sich die French-Open-Siegerin des letzten Jahres Nieten ein. "Sie macht es einem schwer, den Rhythmus zu finden", sagte Kerber hinterher, "aber ich habe die Ruhe behalten, mich nicht verrückt gemacht."
Lob von Navratilova: "Kerber wirkt viel reifer, abgeklärter, erwachsener"
Kerber hielt den Ball solide im Spiel, setzte aber gezielt ihre Konter und schaffte erstmals zum 4:3 im ersten Satz ein Break gegen die erratische Rivalin. Danach ging bei Ostapenko fast gar nichts mehr, es war ein fast bemitleidenswerter Absturz, den die Centre Court-Besucher erlebten. "Sie hat einfach keinen Plan B, wenn ihre schnellen Schüsse nicht funktionieren", befand Beobachterin Martina Navratilova, "Kerber wirkt viel reifer, abgeklärter, erwachsener."
Kerber gewann den ersten Durchgang mit 6:3, mit der Sensationsquote von gerade mal zwei Fehlern. Und sie zog dann auch schnell und konsequent im zweiten Akt mit 5:1 davon. "Angie hat genau das gemacht, was die Idee war: Fehler vermeiden, im richtigen Moment die Initiative ergreifen und punkten", sagte Trainer Wim Fissette.
Experten wie Billie Jean King trauen Kerber den Endspiel-Coup zu
Kurz vor der Ein-Stunden-Marke hatte Kerber bereits den ersten Matchball, ließ die Möglichkeit aber genutzt. Anders als gegen die Russin Kasatkina im Viertelfinale, bei sechs vergebenen Siegpunkten, wurde aber kein großes Drama daraus - Ostapenko erstritt sich noch zwei Spiele zum 5:3, dann aber holte sich Kerber Spiel, Satz und Sieg zur zweiten großen Chance aufs große Wimbledon-Glück. "Ich traue ihr zu, es in diesem Jahr zu schaffen. Ganz egal, gegen wen sie spielt im Finale", sagte Tennislegende Billie Jean King, "Angie wirkt sehr überzeugend."
Das gilt allerdings auch für Serena Williams, die Finalgegnerin. Sie machte alle Hoffnungen auf das erste rein deutsche Damen-Finale seit 1931 mit aller Konsequenz und Wucht gegen Görges zunichte, eine reelle Chance hatte die Norddeutsche nie bei ihrem allersten Centre Court-Auftritt. "Serena und die besondere Atmosphäre auf diesem Platz - das kann sehr einschüchtern", hatte bereits vor dem ersten Ballwechsel Ex-Superstar Chris Evert prophezeit - wie sich zeigte, eine wirklichkeitsnahe Prophezeiung.
Serena Williams in Topform ließ starker Julia Görges wenig Chancen
Zwar hielt Görges in der Anfangsphase leidlich mit, dann aber rauschte die 36-jährige Tennis-Mama im Expresstempo davon, gewann Satz 1 mit 6:2 und führte auch im zweiten Durchgang mit 5:3. Kurz keimte Hoffnung für Görges auf, mit dem ersten Break zum 4:5, aber mit einem neuerlichen Aufschlagverlust der Deutschen war der Halbfinaltag vorbei - und auch das ganze Turnier für Görges. "Ich habe das nie erwartet. Das ist echt verrückt", sagte Williams, die erst das vierte Turnier nach ihrer Babypause bestreitet. Ihr Blick voraus, zum Duell mit Kerber: "Es ist eine Kür für mich. Ich freue mich auf das Match, auch weil ich Angie mag."