Der letzte Champion der Franzosen
Der Paradiesvogel, der Abstand vom Tennis genommen hat, ist der letzte männliche Grand-Slam-Sieger aus Frankreich.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
30.05.2013, 10:22 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus Paris
Auf der Tennisanlage Roland Garros entkommt man den Helden von einst nie so ganz. Sie tummeln sich in den Kommentatorenboxen, sie flanieren als Darsteller ihrer selbst über die Boulevards rund ums feine Grand-Slam-Theater, um zu sehen, aber vor allem, um noch einmal gesehen zu werden. Sie sind Trainer, Manager, Sponsorenvertreter. Oder sie spielen unverdrossen bei den Altherrenturnieren mit, selbst wenn sie im roten Sand nicht mehr unbedingt die beste Figur abgeben. Einen allerdings hat man in den letzten Jahren so gut wie nie gesehen draußen im Westen der französischen Kapitale, ausgerechnet er hat fast immer gefehlt beim großen Spektakel, er,der letzte französische Champion – Yannick Noah.Der Mann, der vor nunmehr 30 Jahren einen historischen Sieg gegen Mats Wilander feierte. Einen Triumph, der sich ins Sportgedächtnis der „Grande Nation“ wie nur wenige andere Siege eingebrannt hat.
Noah hält inzwischen freilich seinen Abstand zum Tourbetrieb der Moderne. „Es ist sehr viel Kommerz im Tennis jetzt“, sagt der inzwischen 53-jährige Lebenskünstler mit den nicht mehr ganz so vielen Rastalocken, „das ist eine Welt, in der ich nicht mehr so zu Hause bin.“ Noah ist kein Vertreter der schlichten Früher-war-alles-besser-Philosophie, aber er glaubt felsenfest daran, dass das Tennis der 80er-Jahre ein sportliches Drama ohne Beispiel war, „der heißeste Sport unter der Sonne“: „Welche Leute standen sich da gegenüber“, fragt der Altmeister rhetorisch, „es war einfach köstlich, wenn ein Borg gegen McEnroe antrat, wenn Lendl gegen Connors rackerte.“
„Ein strahlendes Gesicht macht mich glücklich“
Tennis war nie Noahs ganzes Himmelreich, er verfügte auch nie über jenen brutalen Egoismus, der im Zirkus der Ich-Denker nötig war: „Wahrscheinlich habe ich deshalb auch nur einen und nicht sieben, acht Grand Slams gewonnen“, sagt Noah, ohne sich sonderlich über versäumte Gelegenheiten zu beschweren. Im Gegenteil, glaubt er: „Mein Charakter hat mich zwar ein paar Triumphe gekostet, aber er hat mir auch geholfen, mich im Danach viel besser zurechtzufinden, in der Zeit nach der Tenniskarriere.“
Noah, ein genialer Techniker und Powerspieler in Clownsgestalt, war fast noch erfolgreicher in den Jahren, nachdem er seine Tennisschläger zur Seite gelegt hatte. Die „Grande Nation“ rechnet ihm noch heute den Sieg des von ihm betreuten Davis-Cup-Teams 1991 gegen die USA mindestens genau so hoch an wie den Triumph bei den French Open. Noah schweißte unterschiedliche Charaktere wie Henri Leconte und Guy Forget eisern zusammen und sorgte für den Teamgeist, aus dem Champions in diesem Nationenwettbewerb geformt werden: „Ohne Gemeinsinn kommst du nicht weit“, sagt Noah, „wenn du im Davis Cup so weitermachst wie auf der Tour und nur an dich denkst, ist nichts zu gewinnen.“
Noah hat Kraft und eigene Lebensenergie daraus gesogen, anderen helfen zu können. Wieder und wieder. Überall in Frankreich richtete er Zentren ein, wo Kids aus sozial schwachen Familien umsonst Tennis spielen konnten: „Es geht nicht darum, Sieger um jeden Preis zu finden“, sagt Noah, „es ist wichtiger, dass diese Kinder spüren: Da ist jemand, der sich um sie kümmert, der sie nicht allein lässt.“ Auch für den Verein „Die Kinder dieser Erde“, von seiner Mutter Marie-Claire Perrier gegründet, engagierte sich Noah massiv – der Mann, der einst schon das zweite größere Preisgeld seiner Karriere, 6.000 Dollar, in Kalkutta mit einem Rikschafahrer teilte, den er zufällig vor dem Spielerhotel getroffen hatte. „Geld ist nichts, was mich glücklich macht. Ein strahlendes Gesicht macht mich glücklich“, sagt Noah.
Noahs unerfüllbarer Wunsch
Von der öffentlichen Bühne ist Noah auch in der tennislosen Zeit nie dauerhaft verschwunden, und das hat nicht nur mit seinem basketballspielenden Sohn Joakim zu tun, der fürs NBA-Team der Chicago Bulls aufläuft, sondern vor allem mit seiner großen Leidenschaft und Liebe zur Musik. Seit den frühen 90er-Jahren tourt Noah nun mit seinen verschiedenen Bands durch Frankreich und die ganze Welt, ein Mann, der mit seiner eindringlichen Stimme und seiner musikalischen Poesie die Charts stürmt und die Hallen füllt, wo immer er auftritt. 2005 gab Rock- und Reggaesänger Noah sogar ein Gastspiel bei Bob Geldofs Live 8 Concert. „Ich bin mit Musik aufgewachsen. Englisch habe ich sogar durch die Liedzeilen der Beatles oder der Stones gelernt“, sagt Noah, der einen – allerdings unerfüllbaren – Wunsch als Musiker hat: „Ich wäre gern der gewesen, der ,Imagine’ geschrieben hätte.“
Und, Yannick Noah, kann einer der französischen Musketiere im Jahr 2013 endlich Ihr Erbe antreten, ein Tsonga, ein Gasquet, womöglich sogar ein Monfils? Da ist der gute Mann skeptisch, auch wenn er gerade Monfils liebt, den Künstler, der manchmal wie ein anderes Ich von Noah wirkt. „Du hast diese absoluten Stars vorne, Nadal, Djokovic, Federer. Sie gewinnen alles“, sagt Noah, „wo ist da die Lücke?“(Foto: GEPA pictures)