Nach Favoritinnensterben: Angelique Kerber und Julia Görges wollen mehr
Neun der zehn besten Gesetzten sind raus - dahinter lauern unter anderem Angelique Kerber und Julia Görges. Kerber muss jedoch am Montag (ab 14 Uhr im LIVETICKER) gegen eine bislang bittere Bilanz anspielen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
09.07.2018, 08:00 Uhr
Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon
Die Antwort von Angelique Kerber kam so sicher wie das Amen in der Kirche. "Ich schaue nur auf mich. Und nicht darauf, wer hier alles ausscheidet", sagte die Deutsche am Samstagabend, am Ende einer historischen ersten Grand-Slam-Woche. Denn was die deutsche Finalistin des Jahres 2016 um jeden Preis ausblenden will, ist das alles beherrschende Gesprächsthema im Rasenreich von Wimbledon: Die unglaubliche Niederlagenserie der Stars im Frauenwettbewerb, das sang- und klanglose Verschwinden von Favoritinnen, die pausenlosen Ausrutscher auf den Tennis-Grüns.
Wimbledon 2018, die 50. Auflage seit Bestehen der Profiära: Es ist eine Wundertüte, bei der man nicht weiß, was noch alles drin ist - nach dem ersten Turnierteil voller Verblüffungen und Kapriolen, nach dem Abschied von neun der zehn topgesetzten Spielerinnen. "Es kann sein, dass eine Spielerin gewinnt, die jetzt noch nicht mal was von ihrem Glück ahnt", sagte die ehemalige US-Größe Chris Evert.
Natürlich kann es auch ganz anders kommen. Nämlich mit einer ganz und gar erwarteten Siegerin, mit Wuchtbrumme Serena Williams, die ihren achten Titel in Wimbledon, den 24. Grand-Slam-Pokalgewinn insgesamt und den ersten Major-Coup als stolze Mama feiern könnte.
Am "Manic Monday", dem gemeinsamen Achtelfinaltag bei Damen und Herren, tritt Williams als einzige Frau auf dem Centre Court an, sie ist zwar nur die Nummer 25 der Setzliste nach Schwangerschaft und Geburt von Töchterchen Olympia, aber der All England Club nominiert sie durchaus selbstverständlich in einer Aufstellungsreihe mit den Giganten Federer und Nadal auf der Hauptwiese an der Church Road.
Martina Navratilova: "Keine Hierarchie da"
Viele vermutete Rivalinnen von Williams, der Jüngeren, sind längst ernüchert abgereist, Titelverteidigerin Garbine Muguruza zum Beispiel. Oder French-Open-Königin Simona Halep, die Nummer 1 der Rangliste. Oder Australian-Open-Gewinnerin Caroline Wozniacki, die Nummer 2 der Welt. Oder Schwesterherz Venus.
"Dieses Wimbledon-Turnier ist auch ein Ausdruck für die Unübersichtlichkeit im Frauentennis", sagt Martina Navratilova, die neunmalige Siegerin im Südwesten Londons, "es ist so, dass jede Spielerin an jedem Tag jede andere schlagen kann. Da ist keine wirkliche Hierarchie da." Jedenfalls solange nicht, wie Williams noch an ihrem Comeback bastelt.
Kerber und ihre Landsfrau Julia Görges sind jetzt hinter Karolina Pliskova schon die höchsteingestuften Spielerinnen, die noch in dem Zirkus der Grand-Slam-Sensationen übrig geblieben sind. Beide haben entschlossen und überzeugend den Wirrnissen dieser Wimbledon-Auflage in glühender Sommerhitze getrotzt und damit auch ihre Ausnahmestellung unter den nationalen Spielerinnen im Tourgeschäft unterstrichen.
Görges, die ihr sportliches Umfeld vor anderthalb Jahren komplett umkrempelte, rückte nach Jahren der Rasenaversion und unterdurchschnittlicher Ergebnisse sogar erstmals ins Achtelfinale vor. Anders als so viele Mitbewerberinnen, auch aus Deutschland, hat Görges aus Fehlern und einer ungenügenden Personalplanung in ihrem Team gelernt und sich komplett neu positioniert.
Görges trifft am Montag, dem größten Tag im ganzen Tennisjahr, auf die Kroatin Donna Vekic, die formstarke Freundin des Schweizer Asses Stan Wawrinka. Eine schwierige, aber machbare Aufgabe für die selbstbewusste 29-jährige Nationalspielerin.
Wimbledon: Die Gewinnerinnen der letzten zehn Jahre
Jahr | Siegerin | Finalgegnerin | Ergebnis |
2008 | Venus Williams | Serena Williams | 7:5, 6:4 |
2009 | Serena Williams | Venus Williams | 7:6(3), 6:2 |
2010 | Serena Williams | Wera Swonarjowa | 6:3, 6:2 |
2011 | Petra Kvitová | Maria Sharapova | 6:3, 6:4 |
2012 | Serena Williams | Agnieszka Radwanska | 6:1, 5:7, 6:2 |
2013 | Marion Bartoli | Sabine Lisicki | 6:1, 6:4 |
2014 | Petra Kvitova | Eugenie Bouchard | 6:3, 6:0 |
2015 | Serena Williams | Garbine Muguruza | 6:4, 6:4 |
2016 | Serena Williams | Angelique Kerber | 7:5, 6:3 |
2017 | Garbine Muguruza | Venus Williams | 7:5, 6:0 |
Angelique Kerber nach Sieg über Naomi Osaka hoch gehandelt
Kerber allerdings bleibt die größte deutsche Hoffnungsträgerin, erst recht nach einem überragenden Auftritt gegen die Japanerin Naomi am Samstag auf dem Centre Court. Da spielte die ehemalige Weltranglisten-Erste wie eine aktuelle Weltranglisten-Erste, auch wie eine mögliche Championesse dieses Turniers.
"Es hat wirklich alles zusammengepasst", sagte die 30-jährige Kielerin später. Gerade bei den Grand Slam-Turnieren, die im Seuchenjahr 2017 so enttäuschend für die frühere Frontfrau verliefen, zeigt Kerber nun hartnäckig Qualität - Konstanz auf hohem Niveau. Was nach dem Melbourne-Halbfinale und dem Paris-Viertelfinale 2018 nun für Kerber kommen wird in Wimbledon, bleibt der heißen zweiten Woche vorbehalten.
Kerber ist aber mittendrin im großen Spiel, im Kampf um den Hauptpreis. Vor allem, wenn sie am Montag die Hürde überwindet, die sich in Gestalt von Belinda Bencic vor ihr auftürmt. Die 21-jährige Schweizerin, einst schon als "Miss Swiss" nach Martina Hingis und als potenziell neue Nummer 1 gehandelt, befindet sich nach sportlicher und privater Krise gerade wieder auf dem Vormarsch nach oben.
Alle drei bisherigen Matches hat Kerber gegen Bencic verloren, auch 2016 im Fed-Cup-Duell in Leipzig, direkt nach dem Australian-Open-Sieg. Aber auf Rasen begegneten sich beide Rivalinnen noch nie. "Ich bin bereit für diese Aufgabe", sagt Kerber.