Nadals Hose und die Folgen – Die erstaunliche Schiedsrichter-Affäre

Beim ATP-Turnier in Doha gab es nach langer Zeit ein Wiedersehen zwischen Rafael Nadal und Carlos Bernardes.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 05.01.2016, 09:05 Uhr

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Von Jörg Allmeroth aus Doha

Der Händedruck auf dem Centre Court des Khalifa Tennis Complex in Doha war kurz und schmerzlos. Es sah eigentlich aus, als wäre sie Alltags-Routine, diese obligatorische Begrüßung vor dem Match zwischen dem Tennisprofi Rafael Nadal und dem Schiedsrichter Carlos Bernardes bei einem Doppelmatch der Qatar ExxonMobil Open 2016. Doch die kleine Szene zog einen Schlussstrich unter eine bemerkenswerte Affäre, die in Tenniskreisen in der vergangenen Saison ziemlich hitzig und kontrovers diskutiert wurde - eine Affäre, die auch gedeutet worden war als Anmaßung, sich seine eigenen Schiedsrichter aussuchen zu wollen. Im Mittelpunkt: der Referee Bernardes, ein Veteran der Szene, einer der besten Spielleiter der Welt. Und sein Intimfeind Nadal, einer der Größten, die überhaupt je auf einem Centre Court gestanden haben, aber eben auch einer, dessen Marotten und Mätzchen nicht jedem gefallen, auch nicht jedem Unparteiischen auf dem Hochsitz.

"Du wirst keine Spiele mehr von mir leiten"

Vor knapp einem Jahr waren sie heftig aneinander geraten beim Turnier in Acapulco, erst auf dem Centre Court, später dann in der Nachbereitung des Matches. Begonnen hatte es mit einem etwas bizarren Bekleidungs-Fauxpas von Nadal, einem "unforced error" der ganz besonderen Sorte. Tatsächlich hatte sich der "Matador" seine Shorts beim Umziehen in der Kabine während des Matchs falsch angezogen, und als er das Missgeschick dann während des Spiels bemerkte, war es in jeder Hinsicht zu spät. Der bereits wegen Zeitspiels verwarnte Nadal fragte bei Bernardes an, ob er die Hose wieder richtig herum anziehen dürfe, aber der Unparteiische kannte keine Gnade vorm Recht - das ginge nur auf Kosten einer weiteren Verwarnung und Punktabzugs. So geschah es dann auch, und es geschah auch, dass Nadal noch auf dem Platz deutlich hörbar die Drohung aussprach: "Du wirst keine Spiele mehr von mir leiten."

Womit Nadal Recht behielt , jedenfalls bis zu jenem Moment am Montag in Doha, bei einem unscheinbaren Doppeleinsatz zusammen mit Landsmann Fernando Verdasco gegen Albert Ramos-Vinolas und Teymuraz Gabashvili. Denn hinter den Kulissen sorgte enormer Lobby-Einsatz von Nadal und seinen einflussreichen Protegés und Geschäftsbesorgern dafür, dass Bernardes nicht mehr bei seinen Matches eingesetzt wurde. Es sei besser, wenn man voneinander Abstand halte, sich eine Pause gönne, sagte Nadal später dazu. Bernardes sei ein guter Kerl, aber er neige dazu, ihn, Nadal, schlechter zu behandeln als andere Spieler. Wenige sahen das im Tennisbetrieb so wie der Mallorquiner, nicht zuletzt deshalb, weil man mühelos einen Präzedenzfall aus diesem Vorgang machen konnte - denn warum sollten sich nach Nadals Vorbild nicht bald auch andere Profis an die ATP wenden und darum bitten, einen Schiedsrichter auf die rote Liste zu setzen?

Kopfschütteln bei anderen Spielern

Wohin man auch blickte, Nadal erntete nur Kopfschütteln, ob von Novak Djokovic , ob von Roger Federer , ob von Stan Wawrinka . "Jeder hat mal seine Schwierigkeiten mit dem Schiedsrichter. Aber deshalb käme ich nicht auf die Idee, ihn von meinen Matches ausschließen zu lassen", sagte Djokovic. Federer fragte sich schlicht: "Wo soll das anfangen und aufhören? Viele Sachen gefallen uns nicht. Aber das gehört zu unserem Beruf." Und Wawrinka lenkte den Blick auf einen anderen erwähnenswerten Aspekt: "Würde sich das, was ‚Rafa' da gemacht hat, auch die Nummer 80 der Weltrangliste trauen? Und was würde man einem Spieler sagen, der mit einer Bitte käme, einen bestimmten Schiedsrichter von sich fernzuhalten?"

Allerdings deckte die nun wohl abgeschlossene Affäre auch einen der Schwachpunkte im System der ATP auf. Denn neben den Turnieren bezahlen auch die Tour-Profis zu 50 Prozent die Gehälter der Schiedsrichter, in letzter Konsequenz sind sie, die Spieler, die Teil-Arbeitgeber. Denkspiel: Könnte sich ein Schiedsrichter mit unerbittlicher Regelauslegung gegen einen Superpromi wie Nadal sogar zur Persona non grata machen, zur gänzlich unerwünschten Person? Bernardes immerhin ließ sich nichts anmerken beim Wiedersehen mit Nadal, am Montag in Doha - auch wenn die Partie symbolisch mit einer Störung begann, mit defekten Lautsprechern, die Bernardes dazu zwangen, die Spielstände auf den Court anfangs mit heiserer Stimme hinauszubrüllen. Und Nadal, hat er seinen lieben Frieden gemacht mit seinem Rivalen? Als man ihn später fragte, ob man sich gegenseitig mal ausgesprochen habe vor dieser Partie, sagte er nur knapp: "Nein." Aber fortan wird er wieder mit Bernardes leben müssen. Und vielleicht auch leiden an ihm.

von tennisnet.com

Dienstag
05.01.2016, 09:05 Uhr