ATP Finals: Taylor Fritz, Novak Djokovic und die Tiefe des Raumes
Taylor Fritz geht mit einer 0:5-Bilanz gegen Novak Djokovic in das Halbfinale der ATP Finals 2022. Nach der teilweise eigenartigen Vorstellung von Djokovic gegen Daniil Medvedev sollte der US-Amerikaner aber nicht chancenlos sein.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
19.11.2022, 09:21 Uhr
Von Jens Huiber aus Turin
Vielleicht ist es ja der spezielle Zuschnitt des Pala Alpitour, der die Distanz hinter den Grundlinien bis zu den Werbebanden so weit erscheinen lässt wie sonst eigentlich nirgendwo in der Tenniswelt (nicht einmal auf dem Court Philippe-Chatrier in London). Das für die Seitenlinien zuständige Personal muss jedenfalls mit Adleraugen gesegnet sein, das Spielfeld befindet sich von ihren Plätzen aus betrachtet fast in einem anderen Postleitzahlbezirk. Nun gibt es Spieler, die diese Weite eines Stadions feiern und sich beim Return zu eigen machen. Rafael Nadal und Daniil Medvedev etwa. Taylor Fritz dagegen: not so much.
Wenn es so etwas wie die Entdeckung dieser ATP Finals gibt, dann könnte man die Vorhand von Fritz an allererster Stelle anführen. Wer den US-Amerikaner zuletzt in Wien gesehen hat - offensichtlich erschöpft von den Strapazen seiner bislang besten Saison - der kann kaum glauben, mit welcher Verve Fritz in diesen Tagen mit der Vorhand auf die Kugel haut. Und wo er dabei zumeist steht: nämlich an oder auf, zum Teil sogar vor der Grundlinie. Auch beim Return, den er mit der Rückhand gerne blockt. Die unendliche Weite des Pala Alpitour wird von Taylor Fritz indes nicht gewürdigt.
Fritz mit schlechter Bilanz gegen Djokovic
Dass der Champion von Indian Wells und Tokio Chancen haben würde, die Vorschlussrunde, in der er heute auf Novak Djokovic trifft, zu erreichen, das war in einer Gruppe mit den zuletzt ebenfalls schwächelnden Rafael Nadal und Casper Ruud nicht auszuschließen. Dass Fritz im entscheidenden Gruppenmatch am Donnerstagabend gegen Félix Auger-Aliassime die Oberhand behalten würde, kam dagegen überraschend. Die Hauptrolle spielte dabei: Fritz´ Vorhand.
Ganz viel Handgelenk war da zu sehen, auch einige Fehler, aber in der Regel: Druck, Druck, Druck. Dem sich der immer noch extrem fit wirkende Auger-Aliassime sich letztlich beugen musste. Wie im ersten Match auch Rafael Nadal.
Ob das gegen Novak Djokovic auch reichen wird? Die Bilanz ist aus Sicht von Fritz sehr, sehr übel. Alle fünf bisherigen Partien sind an Djokovic gegangen, knapp war es lediglich einmal: 2021 in der dritten Runde der Australian Open. Da wurde Djokovic bekanntlich von Problemen mit der Bauchmuskulatur gequält. In Turin präsentierte sich der Serbe dagegen nun fit und hungrig, zumindest bis zum zweiten Satz im Match gegen Daniil Medvedev. Was sich danach ereignete (und dann eben doch wieder in einem Sieg von Djokovic mündete), wird auch bei Taylor Fritz einige Fragen aufgeworfen haben. Die „allgemeine Erschöpfung“ wird beim heutigen Treffen wie weggeblasen sein.
Geschenke für Rune
Um es auf den Punkt zu bringen: Fritz muss einen Sterntag erwischen. Und darauf hoffen, dass Djokovic die Zügel vielleicht doch ein wenig schleifen lässt wie im Endspiel von Paris-Bercy, das er in fast wohltätiger Art und Weise Holger Rune geschenkt hat. Daniil Medvedev konnte das Angebot gestern jedenfalls nicht annehmen. Und das, obwohl der Russe im dritten Satz schon auf das Match serviert hatte.
Eines verbindet Fritz und Djokovic aber ganz sicher: Wie sein US-amerikanischer Kontrahent hält auch der Rekord-Champion der Finals den Bereich nah an der Grundlinie für sein natürliches Habitat. Die Tiefe des Raumes im Pala Alpitour wird am heutigen Samstag also zumindest in diesem Halbfinale ungenutzt bleiben.
Hier das Einzel-Tableau in Turin