ATP Stuttgart: Edwin Weindorfer - "Man tritt die Wurzeln des Sports komplett mit den Füßen"
Stuttgart-Turnierchef Edwin Weindorfer spricht im Interview mit tennisnet über die Absagen von Alexander Zverev, starke Italiener im Tennis und das große Geld aus Saudi-Arabien.
von Florian Goosmann aus Stuttgart
zuletzt bearbeitet:
16.06.2024, 21:25 Uhr
Der Österreicher Edwin Weindorfer führt seit 2007 mit seiner Firma e-motion das ATP-Turnier in Stuttgart - ebenso die ATP-Turniere in Mallorca und Wien sowie das WTA-Turnier in Berlin. Weindorfer sitzt zudem im Executive Committee der ATP.
Herr Weindorfer, lassen Sie uns über Alexander Zverev sprechen. Er stand am vergangenen Wochenende bei den French Open im Finale und sagte die BOSS OPEN in Stuttgart daraufhin wegen Erschöpfung ab. Es ist das dritte Jahr in Folge, dass er angekündigt war, aber nicht spielte.
Um eines klar zu sagen: Ich bin ein totaler Sascha-Zverev-Fan! Aber wir müssen die Jahre gesondert betrachten. Wir haben einen Mehrjahresvertrag mit Sascha. 2022 hat er sich schwer verletzt und konnte nicht bei uns spielen – klare Sache. 2023 stand er in Paris im Halbfinale, wäre aber bei uns nicht unter den vier Topgesetzten gewesen, weil er durch seine lange Auszeit im Ranking zurückgefallen war. Er hätte damit spätestens am Dienstag starten müssen. In diesem Jahr ist es sich nach dem Finale bei den French Open auch mit einem Donnerstag-Start in Stuttgart nicht ausgegangen.
Wie lange haben Sie diesmal um Zverevs Start gekämpft?
Ich habe mit seinem Team vorm Halbfinale in Paris gesprochen, wollte hören, wie es ausschaut. Da war alles okay. Dann ist er ins Endspiel eingezogen und man wollte es abwarten. Vielleicht würde er ja in drei Sätzen gewinnen? Es wurde eine Fünfsatz-Niederlage. Man wollte eine Nacht drüber schlafen. Am Dienstag kam die Absage. Ich respektiere das natürlich. Unsere Turnierwoche, direkt nach den French Open, hat viele Vorteile. Der einzige Nachteil ist, wenn man mit den Finalisten planen muss.
Ein Spieler mit einem bekannten Namen stand in Stuttgart im Qualifikationsfeld, ein gewisser Nadal: Joan Nadal, Rafas Neffe.
Er ist der Sohn von Toni Nadal. Auch Joans Bruder hat es als Profi versucht, aber mittlerweile aufgehört. Joan trainiert sehr oft mit Rafa in Mallorca, er bekommt auch dort eine Wildcard für die Quali. Er will es versuchen als Profi, aber es fehlt noch einiges, auch körperlich. Mit Toni Nadal pflege ich eine intensive Partnerschaft, er ist Turnierdirektor in Mallorca. Und Rafa hat immer bei uns trainiert, wenn er Wimbledon gespielt hat. Rafa hat auch in Stuttgart seine Wurzeln mit drei Turniersiegen, daher haben wir Joan eine Chance gegeben. Er hat aber recht klar verloren in Runde 1.
Die Italiener um Matteo Berrettini und Lorenzo Musetti haben in Stuttgart die Fahnen hochgehalten – Berrettini liebt das Turnier ohnehin, hat schon zwei Mal gewonnen. Aktuell stehen insgesamt acht Italiener unter den Top 100, weitere acht bis Platz 200. Was macht die Italiener so stark?
Das ist Wahnsinn, oder? Man fragt sich wirklich: Wie kann es beispielsweise sein, dass die Schweden innerhalb von zwei Jahren komplett abstürzen und Italien nun so stark vertreten ist? Dort hatte man nach Adriano Panatta in 1976 keinen Grand-Slam-Sieger mehr bei den Herren, und jetzt sind so viele Spieler da, in der Spitze und Breite. Aber der Verband macht vieles richtig, es gibt viele kleinere Turniere, viele Challengers. Dazu kommen die ATP Finals in Turin, auch die NextGen Finals waren in Mailand. Italien hat sicher den besten Job gemacht von allen Verbänden. Ein gutes gesamtheitliches Programm.
Italiens Jannik Sinner ist in dieser Woche erstmals die Nummer 1 der Weltrangliste. Carlos Alcaraz hat die French Open gewonnen. Machen die beiden die nächsten zehn Jahre unter sich aus?
Sascha Zverev sehe ich hier noch eine große Rolle spielen. Ansonsten muss man abwarten. Novak Djokovic fällt wohl bald weg, Andrey Rublev spielt gut, ist aber schon länger dabei, Stefanos Tsitsipas ebenso. Der große Vorteil von Alcaraz und Sinner: Sie wissen schon, wie man ein Major gewinnt. Die anderen nicht, sie waren allenfalls im Finale. Persönlich schätze ich Jannik Sinner etwas mehr, auch wenn ich weiß, dass viele von Alcaraz begeisterter sind.
Er spielt ja auch spektakulärer.
Vielleicht habe ich Rafa zu sehr verehrt. Von ihm ist Alcaraz doch noch etwas entfernt, in Sachen Ausstrahlung.
Und vom Tennis her?
Mir gefällt immer noch der alte Stil am besten. Roger Federer, Tommy Haas, Stan Wawrinka. Die einhändige Rückhand. Da gibt es ja nur noch Tsitsipas unter den Topspielern. Das ist die Entwicklung, man kann nichts daran ändern. Es gibt auch Leute, die den Stil von Daniil Medvedev unglaublich geil finden. Ich nicht so (lacht). Auch wenn er bei uns auf Mallorca schon gewonnen hat.
Lassen Sie uns noch ins Politische gehen. Saudi-Arabien greift mächtig an, ist mit seinem Staatsfond PIF nun in der ATP und WTA verankert. Ein Masters-Turnier ist ab 2027 im Gespräch. Aufgrund der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien wird das arg kritisiert. Nehmen Sie uns mal mit in die Gedanken innerhalb der ATP.
Man sieht diese Entwicklung in allen Sportarten, man kann sie nicht verhindern. Die Formel 1 ist involviert, der Golfsport mit der eigenen LIV-Tour. Es ist schlimm zu sehen, wie man sich einen Golfer wie Jon Rahm für 500 Millionen wegkaufen kann. Man tritt die Wurzeln des Sports komplett mit den Füßen, man zerstört die Grundfundamente dieses wunderbaren Sports. In drei Jahren hat man vielleicht keine Lust mehr, aber dann gibt es kein Zurück. Denn wohin? Die Spieler denken dann in ganz anderen Dimensionen durch das viele Geld. Im Tennis läuft das glücklicherweise anders.
Wieso das?
Weil die Saudis gesehen haben, dass es im Golf nicht funktioniert hat. Das ist zumindest meine Interpretation. Im Tennis versuchen wir, ein Miteinander zu finden. Sie bekommen vielleicht ein Masters-Turnier, das sie wollen – auch wenn das ein massives Problem geben wird im Kalender. Dennoch ist es im Sinne des Tennis das Beste, um den Schaden gering zu halten. Dass sie Turniere wie Madrid oder Miami sponsern, nun ja, jeder Veranstalter nimmt das Geld gerne. Da geht es Turnieren ähnlich wie den Spielern.
Die WTA Finals finden bereits in diesem Jahr in Riad statt, trotz aller Kritik an den mangelhaften Frauenrechten.
Dass die WTA Finals nun in Saudi-Arabien stattfinden, ist zu hinterfragen. Hoffen wir, dass die vermehrten Aktivitäten rund um den Frauensport auch tatsächlich zu einer Verbesserung der Situation der Frauen in Saudi-Arabien führt.
Sie haben gesagt: Das alles lässt sich nicht verhindern. Weil sich Saudi-Arabien ansonsten seine eigene Tour zusammenstellt?
Wenn man den Saudis nicht die Möglichkeit gibt, in der höchsten Liga im Tennis mitzumischen, besteht genau diese Gefahr. Dass sie sich ein paar Spieler kaufen und ihre eigene Tour starten. Wie im Golf. Es ist deshalb besser, ein Miteinander zu finden. Das ist wohl auch der Gedanke der ATP. Dass die Majors auch etwas in dieser Richtung planen, dazu möchte ich nichts sagen. Auch, weil wir sehr eng mit Wimbledon zusammenarbeiten. Nur so viel: Das geht nicht von Wimbledon aus, sondern von anderen Grand Slams.
Vielen Dank für das Gespräch.