"Seid fair zu Dominic"

Thomas Muster strahlt die Ruhe des Elder Tennis Statesman aus. Der French-Open-Sieger von 1995 ist auf Einladung seines Schlägerausrüsters HEAD nach München gekommen, es gilt den neuen MXG vorzustellen. Nicht nur zum Spielmaterial macht sich Muster Gedanken.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 16.04.2017, 10:02 Uhr

Thomas Muster redet wie immer Klartext

tennisnet: Herr Muster, der Tennisprofi als solcher ist eher konservativ, wenn es darum geht, den Schläger zu wechseln. Sie haben in der Endphase ihrer Karriere diesen Versuch gewagt. Warum?

Thomas Muster: Kurzfristig. Weil ich nach Möglichkeiten gesucht habe, das Hardcourt-Spiel zu verbessern, was ja auch tatsächlich gelungen ist mit einem längeren Schläger und anderem Saitenprofil von Kneissl. Ich habe damit das Halbfinale der Australian Open erreicht, Dubai und Key Biscayne gewonnen. Das Basisspiel auf Sand hat aber sehr darunter gelitten. Beim Davis Cup gegen Kroatien in Graz war mir dann klar, dass der Schläger einfach zu lang, der Hebel ein anderer war. Damit konnte ich meine Winkelbälle nicht mehr so spielen, das Schlägerprofil war einfach anders. Das hat auf Hartplatz gut funktioniert, war aber auf Sand nicht umzusetzen.

tennisnet: Mit welcher Konsequenz?

Muster: Wir haben herum probiert, sind zurück zum HEAD-Schläger gegangen. Aber so einfach funktioniert das nicht. Dass man auf Hartplatz einen längeren Schläger spielt und auf Sandplatz einen kürzeren, das lässt sich im Gehirn nicht so einfach umsetzen. Das war dann sozusagen der Anfang vom Ende. Man versucht sich zu verbessern, verschiedene Dinge anzugehen, kommt schließlich aber drauf, dass der Schläger, mit dem man immer schon gespielt hat, doch der beste war.

tennisnet: Sie waren 1997 plötzlich einfach weg. Warum?

Muster: Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man mehr trainiert, am Ende aber weniger dabei herauskommt. Auch die Geschichte mit dem Material hat eine Rolle gespielt. Und es ist eine neue Generation nachgekommen. Ich war, glaube ich, auf Position 20, als ich aufgehört habe. Wenn man einmal die Nummer eins war, dann sind die Plätze 20, 30, 40 nicht so befriedigend. Natürlich hätte ich noch ein paar Jahre spielen können, wahrscheinlich noch viel Geld verdienen können. Aber so war ich nie. Ich wollte nicht mehr, ich konnte nicht mehr. Und ich wollte auch keinem mehr sagen auf der Welt, dass mir Tennis riesigen Spaß macht, wenn es mir keinen Spaß mehr macht. Deswegen habe ich auch mit meinen Sponsoren abgerechnet und gesagt: So, das war´s jetzt.

tennisnet: Und gezweifelt haben Sie zu jenem Zeitpunkt nicht?

Muster: Vielleicht hätte man eine Pause machen können, fünf oder sechs Monate. Aber meistens funktioniert das nicht so, wie man sich das vorstellt.

tennisnet: Wie sind Sie mit dem Druck umgegangen, in der Heimat zu spielen?

Muster: Es ist immer schwer in Österreich zu spielen. Aber ich habe im Davis Cup zuhause immer gut gespielt. Die Erwartungshaltung war natürlich so: Jetzt spielt ein Österreicher daheim, jetzt wird der auch gewinnen. Man macht sich auch selber mehr Druck, weil man sagt: Ich möchte in Kitzbühel gewinnen, in der Wiener Stadthalle auch. Wobei die Stadthalle nie so mein Ding war. Der Belag war einfach zu schnell.

tennisnet: Aber immerhin dreimal im Finale.

Muster: Das schon. Aber einmal war ich krank, beim Match gegen Horst Skoff. Da hätte ich gar nie spielen dürfen. Wenn der Leo Huemer (ehemaliger Turnierdirektor, Anm. d. Red.) nicht gesagt hätte: "Du, da draußen sitzen 10.000 Leute, die warten auf Dich." Gut, habe ich mich halt abschlachten lassen. Gegen de Wulf muss man gewinnen, gegen Ivanisevic war ich chancenlos. Und in Kitzbühel einmal gewonnen - und gegen Albert Costa bei 35 Grad nach gefühlt vier Stunden zu verlieren, das ist in Ordnung. Man sieht auch jetzt, wie schwierig es ist, im Davis Cup zuhause zu gewinnen. Der Einzige, der das wirklich geschafft hat in den letzten Jahren war Jürgen Melzer.

tennisnet: Die Gewichtung innerhalb der ATP-Tour hat sich in den vergangenen Jahren auch verschoben.

Muster: Klar. Monte Carlo, Hamburg, Rom, Kitzbühel, Gstaad, München, das waren Traditionsturniere. Sind sie heutzutage immer noch, werden nur zum Großteil nicht mehr so gesehen. Andere Zeiten, natürlich.

tennisnet: In einer eher kleinen Tennisnation wie Österreich läge es nahe, dass sich die nachkommenden Generationen bei Ihnen Rat holen. Ist das bei Jürgen Melzer passiert, gibt es Kontakte zu Dominic Thiem?

Muster: Weder noch. Mit Jürgen habe ich natürlich beim Davis Cup zu tun gehabt, aber auch da nur ein paar Tage. Deshalb habe ich als Kapitän auch aufgehört. Man stößt einfach beim Coaching an seine Grenzen des Machbaren. Der Günter (Bresnik) hat den Dominic aufgebaut, hat ihn trainiert, ihn unter seine Fittiche genommen. Die Entscheidungen über das Management und Coaching müssen Günter und Dominic treffen. Und ich bin seit Jahren derjenige gewesen, der gesagt hat: Gebt Dominic die Zeit, gebt ihm die Ruhe, schraubt die Erwartungshaltung nach unten. Die Erfolge werden kommen, aber hebt Dominic nicht in die Höhe und lasst ihn dann fallen. Seid einfach fair.

tennisnet: Die Erfolge legen erste Vergleiche mit Ihnen nahe.

Muster: Natürlich kann Dominic Thiem Nummer eins werden. Aber der Weg ist ein steiniger. Mittlerweile ist er ein passabler Top-Ten-Spieler mit seinen Ups und Downs. In diesem Jahr hat Dominic fast in jeder Woche ein bisserl was zu verteidigen, das ist auch eine andere Situation, als wenn man nur nach oben spielt. Ich würde mir aber nie anmaßen, zu sagen: Dominic sollte das oder das machen.

tennisnet: In Indian Wells hat Thiem ein paar Bälle ziemlich hurtig durch Mischa Zverev durchgespielt, als der am Netz gestanden hat. Das hat ein klein wenig nach der Thomas-Muster-Schule ausgesehen.

Muster: Das finde ich auch in Ordnung. So habe ich das von meinem Coach gelernt. Der hat mir gesagt: Wenn einer einen schlechten Ball spielt, dann gehört er bestraft. Und wenn es nicht anders geht, dann durch die Mitte. Ich bin ohnehin kein Freund davon, dass man sich nach dem Match stundenlang am Netz unterhält, die Leistung des Gegners anerkennt. Grundsätzlich zwar ok, aber das wird immer mehr. Man kann sich auch für einen Netzroller entschuldigen, aber in Wahrheit ist man eh froh, dass der Ball drüben landet. Und nicht auf meiner Seite. Und wenn man früher abgeschossen wurde, hat gegolten: Take it like a man. Heutzutage redet man darüber, dass derjenige bestraft gehört. In Wahrheit ist es ein Tennisball, das brennt dann ganz kurz, muss man den Angriffsball halt anders spielen.

tennisnet: Am Montag beginnt das Turnier in Monte Carlo, Rafael Nadal hat dort neun Mal gewonnen. Was erwarten Sie vom Spanier für die Sandplatzsaison?

Muster: Es wird viel davon abhängen, wie Nadal die ersten Matches auf Sand spielen wird. Vom Selbstvertrauen her müsste es passen. Federer wird sich auf Sand nicht lange herumquälen. Djokovic und Murray andererseits müssen jetzt was tun, vor allem Murray, der hat im zweiten Halbjahr kaum ein Match verloren. Sonst ist die Nummer eins abgefahren. Bis auf Federer und Nadal spielen alle so lala. Und wir haben immerhin schon April.

tennisnet: Ein Wort noch zu den Damen. Da gibt es auch andere Themen, etwa die Rückkehr von Maria Sharapova. Was trauen Sie der sportlich zu?

Muster: Ich glaube nicht, dass Sharapova in Stuttgart schon das Turnier gewinnen kann. IN Stuttgart spielen immer alle Top-Damen. Ich glaube aber, dass sie im Laufe des Jahres wieder nach vorne kommt. Zu Beginn wird ihr die Matchpraxis fehlen, und man wird sie auch immer mit dem Thema konfrontieren. Sie hat ihre Strafe bekommen, abgesessen, fertig, aus. Sie soll wieder gutes Tennis spielen. Sie ist hoffentlich gereift aus der Situation herausgekommen. Und sie ist wichtig für das Damentennis.

von Jens Huiber

Sonntag
16.04.2017, 10:02 Uhr