Lleyton Hewitt – Ein letztes „Come on“

Mit seiner 20. Teilnahme an den Australian Open sagt Lleyton Hewitt dem Profitennis Lebewohl.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 15.01.2016, 05:39 Uhr

Lleyton Hewitt

Von Christian Albrecht Barschel aus Melbourne

Ich erinnere mich etwas verschwommen daran, als ich Lleyton Hewitt das erste Mal wahrgenommen habe. Es war Anfang Januar 1998, als ich noch die Schulbank drückte und der ein halbes Jahr jüngere Hewitt im Alter von 16 Jahren und zehn Monaten bei seinem ersten reinen ATP-Turnier den Titel holte. Hewitt stieg wie Phönix aus der Asche und triumphierte in seiner Heimatstadt Adelaide. Der jüngste ATP-Turniersieger aller Zeiten wurde er damit zwar nicht, aber als Nummer 550 der Welt ist er bis heute der am niedrigsten platzierte Spieler, der ein ATP-Turnier gewinnen konnte. Ein Jahr zuvor qualifizierte sich Hewitt für die Australian Open 1997 und wurde damit der jüngste Qualifikant in der Turniergeschichte. 19 Jahre später endet Hewitts Profikarriere dort, wo alles begann: im Melbourne Park.

Der Australier spielt seine 20. und letzten Australian Open und ist damit Rekordhalter. Mit dem ersehnten Titel bei seinem Heim-Grand-Slam-Turnier ist es bekanntermaßen nichts geworden. Eine große Liebesbeziehung hat Hewitt mit den Plätzen im Melbourne Park nie geführt. Nur einmal kam er über das Achtelfinale hinaus, als er im Jahr 2005 sogar das Finale erreichte und seine Landsleute vom großen Coup träumen ließ. Das Endspiel gegen Marat Safin ging jedoch trotz eines Turbostarts verloren. Dass Hewitt ausgerechnet bei seinem allerletzten Grand-Slam-Turnier einen Sensationscoup hinlegen wird, daran glaubt niemand, Hewitt selbst sicherlich auch nicht. Dennoch hat sich der 34-Jährige extrem gewissenhaft, professionell und beinhart auf seinen letzten Auftritt vorbereitet. In der Vorbereitung auf seine beiden letzten Auftritte, die Anfang November begann, trainierte er sechs Stunden am Tag. Das verriet sein Fitnesstrainer Nathan Martin vor Beginn des Hopman Cups in Perth. Überraschend ist dies nicht. Denn Hewitt war und ist kein Mann der halben Sachen. Disziplin, stetiges Aufstehen nach Rückschlägen und Operationen sowie die absolute Hingabe für seinen Sport waren immer die Merkmale, die Hewitt so erfolgreich gemacht haben.

Jüngste Nummer eins aller Zeiten

Eines wird sich der Australier, wenn er bei den Australian Open seinen letzten Ballwechsel gespielt hat, nicht vorwerfen müssen: dass er zu wenig aus seiner Karriere gemacht hat. Hewitt gehört sicherlich nicht in die Kategorie "Underachiever", sondern kann, betrachtet man sein spielerisches Repertoire, auf eine 20-jährige Karriere mit vielen Höhepunkten schauen. Jeweils zwei Grand-Slam-Titel und WM-Titel stehen auf seiner Habenseite. Im Finale der US Open 2001 ließ er Pete Sampras ebenso keine Chance wie David Nalbandian im Wimbledonfinale 2002. Der Finalsieg beim Masters Cup 2001 in Sydney machte ihn mit 20 Jahren und 268 Tagen zur jüngsten Nummer eins im Herrentennis. Insgesamt 80 Wochen führte er die Weltrangliste an und überwinterte 2001 und 2002 auf dem Tennis-Thron.

Zahlen, die beeindrucken. Denn Hewitt lässt damit einige Spieler hinter sich, die bei den Grand Slams weit mehr abgeräumt haben als er, zum Beispiel die Schweden Stefan Edberg und Mats Wilander oder Boris Becker und Jim Courier. Hewitt hatte sicherlich das Glück, dass es zu seiner Hochzeit keine übermächtigen Spieler gab und er mit seiner aggressiven und giftigen Konter-Spielweise viele arrivierte Topspieler zur Verzweiflung trieb. So gewann er gegen Roger Federer sieben von den ersten neun Duellen. Ich konnte dem Spielstil und dem Typen Lleyton Hewitt nie viel abgewinnen. Ich habe immer den schnörkellosen und offensiven Spielstil bevorzugt und auch bewundert. Dennoch verdanke ich Hewitt eines meiner einprägsamsten Erlebnisse als Tennisfan. Gleich an meinem ersten Grand-Slam-Tag als Zuschauer, bei den Australian Open 2008, wurde ich Zeuge eines der epischsten Matches der Tennisgeschichte, als Hewitt in der dritten Runde gegen Marcos Baghdatis um 4:33 Uhr den Sieg fixierte (hier könnt ihr den Bericht zum Match nachlesen!). Lleyton, vielen Dank für diese unvergessene Nacht!

Privatfehden und Rassismus-Eklat

Was ist das Erbe von Lleyton Hewitt? Der Australier hat in seiner Karriere stets polarisiert. So wurde er in jungen Jahren vom australischen Publikum für seine Aktionen teilweise ausgebuht. Die Liaison mit Kim Clijsters machte ihn dann beliebter und auch etwas nahbarer. Durch die Heirat mit der Schauspielerin Bec Cartwright wurde er in Australien endgültig zur öffentlichen Person. Die australische Boulevardpresse ist voll mit Geschichten über die beiden. Hewitt gehörte lange Zeit nicht zu den beliebtesten Spielern bei den Fans sowie unter den Kollegen. "Ich möchte nicht so sein wie er. Er wird von keinem Spieler auf der Tour gemocht", sagte einst Guillermo Coria. Mit den argentinischen Spielern lieferte sich Hewitt einige Privatfehden, vor allem mit Juan Ignacio Chela.

Und in Erinnerung bleibt auch ein Vorfall bei den US Open 2001, als er im Match gegen James Blake einem dunkelhäutigen Linienrichter, der zwei Fußfehler gegen ihn ausgesprochen hatte, indirekt Rassismus vorwarf. Beim Australier ist ein ähnliches Phänomen zu beobachten wie beim polarisierenden Jimmy Connors: Umso älter der Australier wurde, umso mehr Unterstützung erhielt er. Mit Mitte 20 ging es bei Hewitt, der von seinem damaligen Trainer den Spitznamen "Rusty" verpasst bekam, bergab. Dennoch war er, die ehemalige Nummer eins der Welt, sich nie zu schade, auch bei kleineren Turnieren Vollgas zu geben. Hewitt war stets heiß wie Frittenfett und hat dem Tennissport gedient. Unvergessen bleiben seine Anfeuerungsrufe und Jubelgesten nach gelungen Punkten. Sein wildes "Come on" mit der dazugehörigen Handgeste schallten durch jedes Tennisstadion. Bei den Australian Open wird dies ein letztes Mal der Fall sein, unterstützt von der australischen Fangruppe "Fanatics". Was man Lleyton Hewitt zum Abschied wünschen kann? Wie wäre es mit einem packenden Fünfsatzmatch gegen einen Topspieler? Denn kein Spieler hat so viele Fünfsatzpartien bestritten wie Hewitt. Der Australier trifft in der ersten Runde auf Landsmann James Duckworth, in Runde zwei winkt ein Duell mit einem anderen Duracell-Hasen, David Ferrer.

Lleyton Hewitt in Zahlen

Geburtsdatum: 24. Februar 1981 in Adelaide

Preisgeld: 20.717.156 (Stand: vor Australian Open 2016)

Erstes Profiturnier: Australian Open 1997

Letztes Profiturnier: Australian Open 2016

Turniersiege: 30

Finals: 46

Grand-Slam-Titel: 3 (zwei im Einzel, einer im Doppel)

WM-Titel: 2

Davis-Cup-Titel: 2

Wochen als Nummer eins: 80

Jüngster Qualifikant bei den Australian Open 1997 (15 Jahre, 11 Monate)

Niedrig platzierter ATP-Turniersieger (Adelaide 1998, 16 Jahre, 10 Monate)

Jüngster Doppelsieger bei einem Grand Slam (US Open 2000, 19 Jahre, 6 Monate)

Jüngste Nummer eins (20 Jahres, 268 Tage)

Jüngste Nummer eins zum Jahresende (20 Jahre, 8 Monate)

Beste Finalquote auf Rasen: 7:1 (87,5 Prozent)

Meiste Fünfsatzmatches: 57 (32:25)

Hier gibt es eine emotionale Reportage über die Karriere von Lleyton Hewitt, den ein Filmteam in der Saison 2015 begleitet hat.

von Christian Albrecht Barschel

Freitag
15.01.2016, 05:39 Uhr