Milos Raonic und das emotionslose Roboter-Tennis
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
27.01.2016, 23:22 Uhr
Als die tennisnet.com-Redaktion am 2. Januar 2015 die Top-Ten-Liste zum Ende des Jahres 2015 abgab, schrieb mein Kollege Stefan Bergmann: "Auch wenn ich lieber einer Stubenfliege beim Erkunden meines Wohnzimmers zusehe, als Milos Raonic beim Tennisspielen, wird auch der Kanadier seinen Weg weitergehen." Recht hat er. Denn das Tennis von Raonic weckt in mir ebenfalls absolut nichts. Das liegt nicht am gewaltigen Aufschlag des Kanadiers, der damit meist kaum Spielfluss zulässt, sondern an seiner Persönlichkeit auf dem Platz. Ansonsten bin ich Spielen von Aufschlagriesen nicht abgeneigt. Goran Ivanisevic habe ich damals ebenso gerne zugeschaut wie heute John Isner oder mit Abstrichen auch Ivo Karlovic. Warum? In Matches von Isner geht es immer wieder dramatisch zu. Das liegt vor allem an der Persönlichkeit und Spielweise des US-Amerikaners, der die Zuschauer mitreißt. Isner bietet stets eine gute Show und war Protagonist bei einigen denkwürdigen Partien - die erste Runde in Wimbledon 2010 lässt grüßen.
Erinnerungen an Timm Thaler
Und Raonic? Der Kanadier hat natürlich auch die eine oder andere dramatische Partie gespielt, so richtig in Erinnerung geblieben ist das allerdings nicht. Das liegt daran, dass der 25-Jährige so gut wie keine Emotionen auf dem Platz zeigt, weder positiv, noch negativ. Asse, Fehler, Siege und Niederlagen werden oft nur zur Kenntnis genommen. Raonic spielt emotionsloses Robotertennis. Die Jubelgesten nach seinen Siegen bei den Australian Open gegen Stan Wawrinka und Gael Monfils waren für ihn schon große Gefühlsausbrüche. Natürlich muss man nicht zwingend wie einige Spieler oder Spielerinnen nach einem gewonnenen Erstrunden-Match so jubeln, als ob man gerade einen großen Titel gewonnen hätte. Aber ein bisschen mehr Emotionen dürfen es schon sein, sowohl im Match, als auch nach dem Match. Das macht den Tennissport aus, das wollen die Zuschauer sehen.
Wie ein User auf der Facebook-Seite der Sandplatzgötter treffend formulierte, wirkt Raonic ein wenig wie Timm Thaler. Ihr kennt Timm Thaler nicht? Das war eine Jugendserie im Jahr 1979. Der 13-jährige Timm Thaler, gespielt von Thomas Ohrner, verkaufte in der Serie sein Lachen an einen Baron. Auf Gefühlsregungen im Gesicht muss man bei Raonic ebenfalls lange warten. Da der Kanadier kaum Emotionen zeigt, macht es das für den Tennisfan schwer, mit ihm mitzufiebern. Man darf jedoch gespannt sein, ob beim Kanadier der Gefühlsknoten platzt, wenn er die Australian Open gewinnen sollte.
Noch ohne Niederlage mit Mundschutz
Dennoch ist der farblos wirkende Raonic dieser Tage in Melbourne ein Gesprächsthema unter Journalisten. Natürlich wegen seiner Leistung, aber auch wegen eines bestimmten Accessoires. Denn Raonic spielt seit diesem Jahr wie fast alle Basketball- oder Eishockeyspieler auch mit einem Mundschutz. Der Kanadier will mit der Zahnschiene Verletzungen vorbeugen. Im Vorjahr wurde er durch einige kleinere Verletzungen immer wieder zurückgeworfen. Seitdem die Zahnschiene drin ist, hat Raonic noch kein Match verloren. "Ich glaube, dass es vielleicht eine Sache für immer sein könnte", erklärte der Weltranglisten-14. Abseits des Platzes wirkt Raonic eloquent, ist stets höflich und reflektiert sehr gut. Wenn man genau hinhört, kann man sogar Humor und etwas Sarkasmus entdecken.
Wenn man an den Kanadier denkt, schießen einem sofort zwei Dingen durch den Kopf: überragender Aufschlag und stets perfekt sitzende Frisur. Raonic sieht ein wenig aus wie Schwiegermutters Liebling. Die Haarpracht des 25-Jährigen hat sogar ein eigenes Profil bei Twitter. Das Ziel laut eigener Aussage der Haare sei es, gut auszusehen und unerwünschtes Schwitzen zurückzuhalten. Während der letzten Wochen sorgte Raonic aber dann zusätzlich doch noch für etwas Glanz. Verantwortlich dafür ist die Frau an seiner Seite, seine bildhübsche Modelfreundin Danielle Knudson.