Barbara Rittner im Interview: "Manchmal ist es besser, größer zu denken"
Barbara Rittner, Head of Women's Tennis in Deutschland, über das Abschneiden der deutschen Spielerinnen in Wimbledon, Kritik an der nächsten Generation und die manchmal leider typisch deutsche Denkweise.
von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet:
10.07.2019, 19:08 Uhr
Frau Rittner, im Gegensatz zum Vorjahr lief das Wimbledon-Turnier 2019 aus deutscher Sicht bescheiden. Einfach Pech oder gibt‘s Gründe dafür?
Das Damenfeld liegt so eng beieinander. Ich hatte vorher gesagt: Es gewinnt Barty, Pliskova oder Kerber. Und nun? Jule Görges hatte einfach Pech, dass sie in der dritten Runde auf eine Serena Williams traf, die in den Spielen zuvor noch ganz anders aufgetreten ist. Williams liegt Jules Spiel, sie war von Beginn an fokussiert, hat sie sehr ernst genommen. Das ist einerseits ein Kompliment, in diesem Fall aber auch ein Nachteil. Angelique Kerber hingegen hat einen schlechten Tag erwischt und Lauren Davis ist über sich hinausgewachsen.
Dabei war Kerber, nach ihrer schwierigen Sandplatzsaison, wieder in Rasenform.
Angie ist eine Spielerin, die sich sehr wohlfühlen muss. Sie sagte, dass sie nicht viel Energie gespürt habe an diesem Tag. Mich hat es überrascht, weil sie in der Vorbereitung gut gespielt hat. Sie hatte einige Matches, die sie brauchte, und die ihre Form bestätigt haben. Am Ende ist sie aber auch nur ein Mensch und hat oft geliefert – im Match gegen Davis diesmal leider nicht.
Sie haben in den vergangenen Wochen immer wieder Kritik an der Generation nach Kerber, Görges und Petkovic geübt…
… ja, zurecht.
Eine Spielerin, die hier besonders auffällt, ist Carina Witthöft. Sie stand zuletzt in den Medien, weil sie nun Training anbietet, ansonsten sieht man sie hauptsächlich auf Fotos via Twitter, Instagram und Co.
Mir ist zunächst wichtig zu betonen, dass die Generation um Angie, Jule und Petko wahnsinnig viel geleistet hat, auch was die Konstanz angeht. Wie lange sie alle dabeigeblieben sind und höchst professionell arbeiten! Es fällt auf, dass im Gegensatz dazu die Generation dahinter weggebrochen ist. Wenn wir bei Carina Witthöft anfangen: Da höre ich immer nur, dass sie nicht aufgehört, sondern viele Probleme gehabt habe und eine Auszeit nehme, sowohl körperlich als auch mental. Das ist genau dieses Durchhaltevermögen, das die Generation davor hatte: dranzubleiben, immer weiter zu arbeiten. Das fehlt mir hier. Natürlich ist es auch schön zu erleben, wie man feiern kann. Carinas Schwester führt dieses andere Leben als Studentin, natürlich ist das reizvoll.
Aber auch verdammt schade.
Es ist ihr Leben und ihre Entscheidung. Ich finde es unheimlich traurig, weil sie so viel Talent hat. Und wir sie gefördert haben, viel Hoffnung hatten. Da kam das sehr plötzlich. Sie sagt oder twittert immer, dass sie noch mal zurückkommen möchte, aber ich sehe keinen ernsten Ansatz. Auch ihr Trainingsangebot wirkt nicht sehr seriös, was ein eigenes Comeback angeht.
Neben Witthöft sind es auch Namen wie Antonia Lottner, Annika Beck oder Anna-Lena Friedsam, die aus verschiedenen Gründen nicht dort stehen, wo man sich es erhofft hatte.
Wir hatten die Lücke ja schon geschlossen! Mit Anfang 20 standen sie teils schon unter den ersten 50 und wir dachten: Super, das ist genau das, was wir brauchen. Jetzt, zwei Jahre später, sind sie weit davon entfernt oder haben aufgehört. Annika Beck war verletzt, aber diese Phasen hatte die jetzige Generation auch. Angie, Jule und Petko haben weiter an sich geglaubt und nicht aufgegeben. Wenn wir das durchgehen: Carina Witthöft überlegt wohl nach wie vor, was sie will. Und wenn eine Spielerin das nicht weiß, wird sie langfristig keinen Erfolg haben.
Ein Punkt, den Sie oft betonen: Raus aus der Wohlfühlzone.
Ja, den kritisiere ich wirklich oft. Offenbach ist sicher nicht die schönste Stadt Deutschlands, aber Angie hat 2012 gesagt: Okay, jetzt gehe ich da hin. Andrea Petkovic ist nach Halle gegangen und hat es dort noch mal probiert. Weil die beiden gesehen haben, dass die Chance fürs Tennis dort größer ist. Carina Witthöft hat immer gesagt: Nein, mein Hamburg möchte ich nicht verlassen. Was ich verstehe, Hamburg ist wunderschön. Aber mal zu sagen, dass ich auch mit 30 noch die Stadt Hamburg genießen kann, für mein Tennis jedoch woanders hingehe, wo eine Akademie existiert und ich bessere Vorraussetzungen habe – das hat ihr gefehlt.
Wie sehen Sie Anna-Lena Friedsam, die nach ihren Verletzungen und Operationen wieder auf dem Weg nach oben scheint?
Anna-Lena stand 2016, mit nur 22 Jahren, unter den Top 50. Sie hatte bei den Australian Open im Achtelfinale ganz knapp verloren. Danach war sie wegen ihrer Schulter zwei Jahre lang draußen – und eine kaputte Schulter ist mit das Schlimmste an Tennisverletzungen. Bei ihr hat man aber das Gefühl, dass sie weiß, was sie will. Sie quält sich. Es ist nicht immer nur Zuckerschlecken, aber sie hat ihr Herz vergeben und will das Beste rausholen. Sie investiert, was den Körper angeht, aber auch bezüglich ihrer Trainer. Sie ist sehr offen. Ich bin sicher, dass sie ihren Weg zurückfinden wird. Hätten alle anderen diese Einstellung, hätten wir das Problem nicht.
Was ist mit Antonia Lottner?
Auch sie ist seit drei, vier Jahren auf dem Sprung. Man wartet, aber immer kommen Verletzungen und Probleme dazwischen. Am Ende fehlt vielleicht auch die Härte, da durchzukommen oder etwas Neues auszuprobieren. Oder eben nicht zu Hause zu wohnen. Die eigene Komfortzone zu verlassen, das fehlt mir in dieser Generation. Aber man darf es nicht pauschalisieren, wie man bei Anna-Lena Friedsam sieht, die zwei Operationen hinter sich hat und alles dafür tut, um zurückzukommen.
Kann man als Verband eingreifen, was den letzten Biss angeht? Die Motivation selbst muss ja letztlich von den Spielern kommen.
Wir haben das versucht, auch mit den Jüngeren. Ich habe mit Carina gearbeitet, als sie 18 oder 19 Jahre alt war. Und war so glücklich, als sie zu mir sagte: „Ich habe herausgefunden, was ich will!“ Das war auch eine Zeitlang so, das hat sie unter die ersten 50 geführt. Aber das Leben hat immer wieder andere Verlockungen und sie hat ihren Weg wieder verloren. Dann hat man einen Freund, lernt das Studentenleben der Schwester kennen… Natürlich muss man auf manches verzichten, aber wie hat Boris Becker gesagt: „Wenn man das liebt, was man tut, dann verzichtet man auch gerne.“ Vielleicht liebt sie Tennis nicht genug.
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Ist das Anspruchsdenken teilweise auch zu gering? Michael Berrer, ein großer Kämpfer seinerzeit, meinte kürzlich in einem Vortrag, selbst er habe sich zu geringe Ziele gesetzt, nicht groß genug gedacht. Muss man als angehender Profi eher den Anspruch haben, die Top 10 zu knacken anstatt „nur“ die Top 50?
Natürlich ist das auch ein Thema. „Laut gedacht“ hat bei uns Sabine Lisicki, die als junge Spielerin gesagt hat: „Ich will die Nummer 1 der Welt werden!“ Woraufhin alle geantwortet haben: Was soll das!? Ich nenne es die amerikanische Denkweise, dieses „Yes, I can“. Sich keine Limits zu setzen. Da tickt jeder anders. Auch ich war eher eine rationale Spielerin, hätte mich nie getraut zu sagen: „Ich will die Nummer 1 werden!“ Ich habe aber auch gelernt, wie sehr sich Spielerinnen mit den ersten Erfolgen entwickeln.
Wie Angelique Kerber, zum Beispiel?
Ich hätte nie gedacht, dass Angie drei Grand-Slam-Turniere gewinnt und Nummer 1 der Welt wird! Das rückte nach und nach in Reichweite. Ab dem Moment aber war auch ich eine der Ersten, die laut gesagt hat, dass sie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen kann. Da hieß es dann: Ja, du bist eh eine, die alles sehr schnell schön redet. Aber es zeigt: Warum sollte man sich limitieren?
Die Amerikaner denken anders. Die 15-jährige Cori Gauff beispielsweise sprach früh davon, die Beste aller Zeiten werden zu wollen. Und erklärte in Wimbledon nach dem Auftaktsieg über Venus Williams, dass sie nun gewinnen wolle.
Die ging her und meinte: „Ich will das Turnier gewinnen, solange ich drin bin.“ Sie schränkt sich mental nicht ein, hat diese große Denkweise. Das machen die Amis eben vor, sie sind viel positiver.
In Deutschland kriegt man es halt oft vorgehalten, wenn es dann doch nicht klappt.
Das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass einige zu vorsichtig sind. Aber Perspektiven verändern sich. Ich finde es schlimm, wenn man gesagt bekommt: „2008 hast du aber dies und jenes gesagt...“ Die Situation hat sich vielleicht verändert, man muss das dann anpassen. Nicht in Grundsatzfragen, hart arbeiten muss man immer, um Erfolg zu haben. Sabine Lisicki war früh in den USA bei Nick Bollettieri, sie hat diese amerikanische Haltung übernommen. In Deutschland sind wir sehr vorsichtig und belohnen das auch erst mal. Wir sagen: „Super, sie ist so bescheiden.“ Aber manchmal ist es besser, größer zu denken. Nicht unrealistisch groß, aber größer eben.
Beim Blick aufs U18-Feld in Wimbledon fiel auf, dass einzig Alexandra Vecic am Start war. Sie hat zum Auftakt am Montag in drei Sätzen verloren. Wo steht diese Altersklasse aktuell?
Hier sind wir auf einem sehr guten Weg. Meine Prognose: Im kommenden Jahr haben wir drei oder vier Spielerinnen bei den Jugend-Grand-Slams am Start. Wir haben im Porsche Junior Team, mit den Jahrgängen 2002 bis 2004, spielerisch ein ähnliches Potential wie es die Generation von heute hatte. Ob alle Spielerinnen die Härte entwickeln, sich durch die Höhen und Tiefen zu beißen - das ist die große Frage.
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