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"Ich habe nicht nur als Mutter an sie geglaubt"

Die Mutter von Angelique Kerber spricht im Interview über die Leidenszeit ihrer Tochter und den anschließenden kometenhaften Aufstieg.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 04.07.2012, 11:27 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon

Beata Kerber ist die Mutter von Wimbledon-HalbfinalistinAngelique Kerber.Sie ist selbst Tennistrainerin und übernimmt wichtige Managementaufgaben für ihre Tochter. Über ihre Mutter sagt Angelique Kerber: „Sie ist meine wichtigste Bezugsperson.“

Frau Kerber, erinnern Sie sich noch an den Moment, an dem Ihre Tochter im letzten Jahr aus Wimbledon nach Hause kam, nach einer Erstrunden-Niederlage gegen die Engländerin Laura Robson?

Beata Kerber: Oh ja, sehr gut sogar. Sie war völlig am Boden und sagte dann ohne lange Vorrede: "Ich höre auf. Ich mache Schluss mit dem Tennis. Ich habe keinen Bock mehr. Die ganze Arbeit, die ich da reinstecke, lohnt sich einfach nicht mehr." Und ich hab gesagt: "Okay, wenn du dir das so überlegt hast, dann musst du es auch machen."

Hatten Sie sie jemals so niedergeschlagen erlebt?

Kerber: Nein, das war schon eine einmalige Situation. Sehr bedrückend. Ich habe versucht, sie aufzumuntern und ihr gut zuzureden. Doch da war erst mal wenig zu machen. Sie war entschlossen, das ganze Profileben aufzugeben. Sie sagte: "Ich quäle mich, ich rackere da pausenlos, und es kommt nichts rum. Das ist kein Sport mehr für mich."

Und dann verflog diese Weltuntergangsstimmung doch noch. Auch weil Andrea Petkovic Ihre Tochter noch mal animierte?

Kerber: Mit vereinten Kräften ist das gelungen. Die Andrea hat immer wieder gesagt: "Lass dich nicht so hängen, deine Chancen kommen erst noch." Und dann ist sie ja für ein paar Wochen in die Akademie nach Offenbach gegangen, hat zusammen mit Petko hart trainiert für die US Open. Das Arbeiten dort in der Gruppe hat wieder ihre Lebensgeister geweckt. Wir hatten ihr früher schon mal gesagt: "Geh in eine Akademie, das ist gut für dich, da hast du bessere Trainingsmöglichkeiten", aber sie wollte nicht.

Sie sind ja selbst Tennistrainerin. Erstaunt es Sie nicht, welch steilen Aufstieg Ihre Tochter da innerhalb von zwölf Monaten hingelegt hat?

Kerber: Ich habe nicht nur als Mutter an Sie geglaubt, sondern auch als jemand, der Ihre Talente ein bisschen einschätzen konnte. Seine Talente erfolgreich auf den Platz zu bringen, das ist die Kunst. Spitzentennis ist reine Kopfsache, die Spielerinnen liegen alle sehr dicht nebeneinander, es sind ein paar Big Points, die über Sieg und Niederlage entscheiden. Und die hat Angie früher halt noch nicht gemacht.

Bei den US Open im letzten Jahr, als Ihre Tochter auch schon in die Runde der letzten Vier einzog, haben Sie einmal gesagt: "Es ist ein Wunder", was da passiert. Wie betrachten Sie nun diesen Halbfinaleinzug in Wimbledon?

Kerber: Sie hat sich sehr stark gefestigt in der Spitze. Sie glaubt an ihre Stärken, geht ohne Ängste und Zweifel raus auf den Platz. Man spürt jetzt einfach, dass sie zu den Guten gehört. Sie spielt so, und sie verhält sich jetzt auch so.

Angelique hat die meisten Matches in dieser Saison gewonnen, und Sie hat mit einer Ausnahme, nämlich das Finale in Eastbourne, auch alle Drei-Satz-Spiele des Jahres 2012 gewonnen.

Kerber: Das zeigt wirklich ihre neue Hartnäckigkeit. Diesen Glauben, es immer noch irgendwie schaffen und drehen zu können. Ich glaube, die Arbeit mit ihrem Mentaltrainer Holger Fischer hat da auch einen großen Anteil. Jeder Sieg nährt eben wieder neues Selbstbewusstsein, vor allem diese harten, schweren Siege. Wie auch gegen Sabine Lisicki. Da hat sie zwischendurch an diese vergebenen Matchbälle in Eastbourne gedacht und das dann doch wieder ausblenden können, als es in den Zielspurt ging.

Früher haben alle gesagt: Angelique Kerber, die ist einfach zu nett, zu lieb, zu schüchtern, um vorne in der Spitze mitmischen zu können.

Kerber: Nett zu sein, ist sicher kein Hindernis, um im Sport weit zu kommen. Ich denke, ihr hat vielleicht anfangs diese allerletzte Härte gefehlt, dieses innere Feuer, das jetzt in ihr brennt. Aber man muss diesen Spielerinnen eben auch Zeit geben, um als Profi erwachsen zu werden, um diesen ganzen Beruf zu verstehen. Nun weiß sie genau, was sie tun muss, um erfolgreich zu sein.

Wie würden Sie Ihre Tochter jemandem beschreiben, der sie nicht kennt, der sie nie hat Tennis spielen sehen?

Kerber: Schon ein zurückhaltender Mensch. Ruhig und bodenständig. Ehrgeizig, manchmal bockig. Und sie ist sicher jemand, der nicht auffallen will und muss. Der sich eher mit der Masse bewegt als unbedingt aus ihr herausragen zu wollen.

Kommt Sie klar mit dem Erfolg?

Kerber: Absolut. Da hilft ihr der unaufgeregte Charakter. Sie hat null Allüren. Und daheim hat sich sowieso nichts geändert.

Da gibt es also keine Luxusbehandlung?

Kerber: Nein, und sie will auch gar nicht, dass ihr da wie bei den Turnieren überall die Hand aufgehalten wird. Ich sage gern: Wir haben alle zwei Arme und zwei Beine, und damit kann jeder in der Familie dem anderen sehr gut helfen. Und so ist alles ganz normal geblieben, wie immer.

Welche Rolle spielen Sie denn jetzt für Ihre Tochter bei den Turnieren?

Kerber: Es ist einfach wichtig, dass Sie mich sieht bei den Spielen, dass ich da auf der Tribüne sitze und Augenkontakt mit ihr habe. Das beruhigt. Ich war ja nicht von Beginn an in Wimbledon, da hat sie mich angerufen und im Scherz gesagt: "Willst Du überhaupt noch kommen?" Da hab ich zurückgefragt: "Soll ich denn kommen?" Darauf dann Angie: "Ja, klar." Und nun bin ich da und bleibe auch erst mal. Bis das Turnier für Angie vorüber ist.

Und wann ist das?

Kerber: Ich gebe nie Prognosen ab. Sie hat schon wieder etwas Wunderbares erreicht, auf das sie stolz sein kann. Aber klar, sie will noch mehr. Und ich wünsche ihr auch noch mehr.(Foto: Jürgen Hasenkopf)

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