Die mentalen Grundschläge im Tennis

Im Tennis gibt es nicht nur die technischen Grundschläge - sondern auch die mentalen: Atmung, Self-Talk, Visualisierung. Aber wie setzt man sie gewinnbringend ein? Unser Tennis-Insider sagt's euch!

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 25.09.2024, 12:41 Uhr

Novak Djokovic
© Getty Images

Es war das 140. St. Leger Rennen in Dortmund. Neun Pferde waren am Start. Das Feld war offen. 

Auf der Zielgeraden entwickelte sich ein echter Thriller. Das Pferd Prydwen, extra aus England angereist, befand sich im mittleren Feld. Er lief unauffällig, niemand hatte ihn auf dem Zettel.

Dann, auf den letzten 300 Metern, griff er an. Sein Konkurrent auf diesen letzten Metern, Tres Rock Women, war bis kurz vor der Ziellinie vorne. Prydwen war das gesamte Rennen über weder an der Spitze, noch in der Spitzengruppe. Prydwen war nur eine einzige Sekunde des Rennens Erster. Und das war exakt die Sekunde, mit dem allerletzten Galoppsprung, die auf dem Zielfoto entscheidend für seinen Sieg war.

Im Galoppsport besteht die Performance zu 80 % aus den Fähigkeiten des Pferdes und zu 20 % aus dem Einfluss des Jockeys. Die 20 % mögen nicht viel sein. Sie sind aber der entscheidende Einfluss, wenn es um winzige Details für den Sieg geht.

Auf dem Tennisplatz verhält es sich ähnlich. Du hast deine Technik, deine Physis und deine Taktik. Du hast deine Lieblingsspielzüge und kleine Schwächen, die du versuchst aus dem Spiel zu nehmen. Deine Technik, deine Physis und deine Taktik sind ein großer Bestandteil deiner Performance. Die in vielen Matches entscheidende Zutat für eine hervorragende Leistung kreierst du allerdings im Kopf. Konzentration, Ruhe, Fokus sowie die richtigen Entscheidungen im Ballwechsel können für dich über Sieg oder Niederlage entscheiden. 

Lass uns gemeinsam schauen, welche Werkzeuge dir im Wahnsinn eines Matches für das mentale Spiel zur Verfügung stehen.

Was sind die mentalen Grundschläge?

Du nutzt für dein physisches Spiel deine Vorhand, deine Rückhand, den Aufschlag und ab und an den Volley. Zumindest dann, wenn du dich ans Netz traust. Das sind die spielerischen Grundschläge. Im mentalen Spiel nutzt du ebenfalls "Grundschläge". 

Dein mentales Spiel setzt sich aus den folgenden Grundschlägen zusammen:

- Atmung

- Selbstgespräche, Self-Talk wie die jüngeren Leute sagen würden

- Visualisierung

Jeder mentale Grundschlag wird bereits von dir genutzt. Über die Atmung brauchen wir nicht sprechen. Interessanter wird es, wenn wir uns auf deine inneren Dialoge stürzen. Das sind alle Gedanken, die du während eines Matches im Kopf hast. Von "Verdammt, der da drüben auf der anderen Seite des Netzes ist echt stark!" bis hin zu "Mensch, was sind das denn wieder für Fehler heute? Du kannst aber auch gar nichts!". Der mentale Grundschlag der Selbstgespräche kann aber auch das laute Aussprechen von Wut, Freude oder Verzweiflung sein. Das beste Beispiel ist ein lautes "Come on!" oder ein Fluch, den man nach dem dritten leichten Vorhand-Fehler in Folge aus seiner Tennisspieler-Seele brüllt.

Die Visualisierung ist der dritte mentale Grundschlag in deinem Repertoire. Er ist der komplizierteste der drei Grundschläge. Wir können auch sagen: Die Visualisierung ist die Rückhand deiner Mentalität.

Das beste Beispiel für die Visualisierung sind die Horrorfilme, die man als Tennisspieler während des Matches in seinem eigenen Kopf dreht. Was könnten die Zuschauer über deine Leistung denken? Viele Spieler sind absolute Genies darin, sich selbst klein und schwach und den Gegner gleichzeitig groß und stark zu denken. Auch Recherchen vor einem Spiel können ein Bild des Gegners zeichnen, das nur wenig mit der Realität auf dem Platz zu tun hat. 

Zahlreiche Studien belegen seit Beginn der 2000er (Holmes P. S., & Collins D. J. (2001). The PETTLEP approach to motor imagery: A functional equivalence model for sport psychologists. Journal of Applied Sport Psychology) die enorme Wirkung von Visualisierungstechniken zur Steigerung der Performance im Sport. Geist und Körper können durch das Vorstellen von Situationen ideal vorbereitet werden, um in dieser Situation bestmöglich performen zu können.

Die mentalen Grundschläge hast du bis dato vollkommen unbewusst eingesetzt. Deine erste Aufgabe im mentalen Spiel kann es sein, dass du dir dieser mentalen Grundschläge bewusst wirst. Wenn du dich das nächste Mal gedanklich im Match zerfleischst, dann weißt du: "Okay, ich nutze gerade den mentalen Grundschlag der Selbstgespräche!". Das bewusste Wahrnehmen der mentalen Grundschläge ist der erste Schritt, um langfristig diese Grundschläge zu seinem eigenen Vorteil nutzen zu können.

Lass uns tiefer ins Detail gehen.

Wann setzt man die mentalen Grundschläge ein?

Du hast beim Tennis mehr Pausen als aktives Spiel. Die Rallys machen nur einen kleinen Teil der Zeit aus, die du im Match verbringst. Das Spiel während der Ballwechsel ist kürzer als das Spiel zwischen den Ballwechseln. Dennoch trainiert kaum ein Spieler das Spiel zwischen den Ballwechseln. Paradox, findest du nicht?!

Den Part des Spiels, den du viel länger spielst, spielst du bis dato nur unbewusst. Ohne deine aktive Teilnahme. 

Lass uns schauen, wann du in deinen Matches das mentale Spielchen zwischen den Ballwechseln spielst. Ob bewusst oder unbewusst:

1) in der Pause zwischen deinem ersten und zweiten Aufschlag

2) in der Pause zwischen dem ersten und zweiten Aufschlag deines Gegners

3) in der Pause zwischen zwei Ballwechseln

4) und natürlich beim Seitenwechsel

Wir wissen jetzt, dass du das Spiel während der Ballwechsel spielst und das Spiel zwischen den Ballwechseln. Wie beim Spiel während der Ballwechsel stehen dir auch für das Spiel zwischen den Ballwechseln "Grundschläge" zur Verfügung. Wir werden kaum einen Spieler finden, der alle drei mentalen Grundschläge perfekt beherrscht. Ein Novak Djokovic zum Beispiel ist ein Meister der Atemtechniken. Er nutzt ganz bewusst seine Atmung, um sich vor den Big-Points zu konzentrieren. 

Du musst nicht alle mentalen Grundschläge wie ein Profi beherrschen. Deine Aufgabe ist es herauszufinden, welcher der drei mentalen Grundschläge zu deiner Stärke im mentalen Spiel zwischen den Ballwechseln werden kann. Wenn du das weißt, dann kannst du das mentale Spiel effektiver spielen.

Das führt uns direkt zum nächsten wichtigen Punkt.

Wie funktionieren die mentalen Grundschläge?

Wie auch bei deinen normalen Grundschlägen kannst du bei deinen mentalen Grundschlägen mit Techniken, Übungen und Ritualen arbeiten. Bedenke aber, dass alles eine Sache des Trainings ist. Deine mentalen Grundschläge wollen genau wie deine normalen Grundschläge trainiert werden. Mit kleinen Fortschritten, Rückschlägen und all den ganz normalen Frustrationen, die zum Tennissport dazugehören wie die Netzkante. 

Cool ist, dass du bei deinen mentalen Grundschlägen kombinieren kannst. Du kannst zum Beispiel eine Atemtechnik anwenden und dich gleichzeitig aufmuntern. Du kannst aber auch einen Schlag gedanklich durchgehen und dabei Schlagworte wie "in die Knie gehen" oder "Treffpunkt vor dem Körper" zur Unterstützung deiner Bilder im Kopf nutzen. Das wäre allerdings schon ein Grand-Slam-Niveau im mentalen Spiel.

Du kannst wesentlich einfacher starten. Der erste Schritt ist das bewusste Wahrnehmen der mentalen Grundschläge. Wir hatten ein paar Zeilen zuvor bereits darüber gesprochen. Als du mit Tennis begonnen hast, musstest du ja auch erst ein Gefühl für deine Schläge und das Verhalten des Balles lernen. Im mentalen Spielchen ist es ähnlich. Du kannst eines deiner letzten Matches analysieren und überlegen, wann du welchen mentalen Grundschlag gespielt hast.

Eine andere Option ist es, dein nächstes Trainingsspiel zu nutzen. Du hast jetzt verstanden, dass du immer ein Spiel während und ein Spiel zwischen den Ballwechseln spielst. Du kennst die mentalen Grundschläge und weißt, wie du sie wann einsetzen kannst. Wir schauen im nächsten Step, warum der ganze Kopfkram so wichtig ist. 

Warum ist das mentale Spiel so wichtig?

Zu Beginn dieses Artikels haben wir bereits über die kleinen Details gesprochen, die über Sieg oder Niederlage entscheiden können. Du erinnerst dich? In umkämpften Matches ist der Kopf der Faktor, der die ganze Geschichte entscheiden kann.

Das mentale Spiel ist aber noch aus anderen Gründen wichtig für dein Spiel. Setzt du die mentalen Grundschläge Atmung, Visualisierung und das Selbstgespräch bewusst und zielführend ein, verbessern sich deine Abläufe auf dem Platz. Eine kontrollierte Atmung zwischen den Ballwechseln kann zu einem unverkrampften Ausschwung bei der Vorhand führen. Eine clevere Visualisierung während der Seitenwechsel hilft dir bei deinen taktischen Entscheidungen oder auch bei deinen Spielzügen. Selbstgespräche helfen dir in deinen Schwächephasen schneller wieder in die Bahn zu finden.

All diese kleinen Elemente summieren sich im verlauf eines Matches. Du bist in der Lage deine Konzentration länger auf einem guten Niveau zu halten. Bei den Big-Points behältst du einen kühlen Kopf und durch deine innere Ruhe triffst du im Ballwechsel intuitiv bessere Schlagentscheidungen.

Fazit

Wir können für unser Racket festhalten:

1) Du spielst ein Spiel zwischen und ein Spiel während der Ballwechsel

2) Das Spiel zwischen den Ballwechseln geht länger und ist härter

3) Für das Spiel zwischen den Ballwechseln stehen dir drei mentale Grundschläge zur Verfügung: Visualisierung, Atmung und Selbstgespräche

4) Du nutzt all diese mentalen Grundschläge bereits - unbewusst. Dein Ziel: Die mentalen Grundschläge bewusst - zu deinem Vorteil - einsetzen

Viel Erfolg im mentalen Spiel!

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Mittwoch
25.09.2024, 19:05 Uhr
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