Die unglaubliche Geschichte des Lado Chikhladze
Genickbruch, Sensations-Comeback, Karriere-Ende, jetzt ist der georgische Bär wieder da. Und steht quasi ohne Training im Semifinale des Futures von St. Pölten.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
19.08.2010, 18:05 Uhr
Ein 25-jähriger Georgier, 1,91 Meter groß, nicht auffallend quirlig, aber umso aufschlagstärker, steht im Semifinale des Futures von St. Pölten. – Klingt auf Anhieb nicht nach einer besonders außergewöhnlichen Geschichte. Im Fall von Lado Chikhladze ist das anders: Dass der Georgier, den die ATP als "inactive player" führt, überhaupt noch lebt, ist Riesenglück. Dass er professionell Tennis spielt, ein Wunder.
Kleiner Rückblick: Im Frühjahr 2007 gewinnt Chikhladze als 21-Jähriger seine ersten beiden Futures, im Sommer folgen drei Future-Titel in Serie, im Oktober steht er auf ATP-Rang 350. Am 8. Dezember die Katastrophe: Lado springt in den USA in einen Teich, knallt mit dem Kopf auf dem Grund. Dreifacher Genickbruch. "Seither ist der 8. Dezember mein zweiter Geburtstag", sagt Lado. Ein Monat Krankenhaus in den USA, dann zurück nach Deutschland, wo Lado zu dieser Zeit als Schützling der Akademie von Niki Pilic wohnt. Die Ärzte verordnen absolute Schonung, er muss bis Mai 2008 das Bett hüten.
Sobald er gehen kann, steht Lado Chikhladze wieder auf dem Tennisplatz. Im Juli 2008 spielt er sein erstes Future-Turnier in Aserbaidschan – und verblüfft mit einem Semifinale. Wirklich auf Touren kommt er aber danach nicht, ein Trainerwechsel im darauf folgenden Winter von Niki Pilic in München zu Günter Bresnik in Wien bringt zwar einen Formanstieg, aber nach der 2:3-Heimniederlage seiner Georgier im März 2009 im Davis Cup gegen Litauen beendet er seine Profi-Karriere: "Ich wollte einfach nicht mehr." Lado kümmert sich um Frau, Sohn Luca (zwei Monate), arbeitete im Unternehmen seines Vaters, jobbte als Touring Coach.
Mehr als ein Jahr war Lado weg vom Circuit, dann erfasste ihn im Mai die Droge Tennis wieder. Nach nur einer Woche ernsthaftem Training spielte er für sein Land Davis Cup und gewann auf Anhieb vier Partien. Danach ging's zur Fitnessvorbereitung nach Florida, er erhielt Unterstützung von Head (Rackets), Pacific (Saiten) und Australian (Bekleidung). Erst seit zwei Wochen ist der 25-jährige Georgier wieder in der Südstadt bei Günter Bresnik und trainiert ernsthaft. Nun steht er als Qualifikant ohne ATP-Ranking nach sechs Siegen – zuletzt Donnerstag Mittag einem 7:6, 6:4 über den Deutschen Richard Waite – im Semifinale des Futures von St. Pölten. Dort trifft er morgen, Freitag, auf ÖTV-Jungstar Nico Reissig.
Ladi, gerade einmal zwei Wochen Tennis-Training, schon wieder das erste Turnier in deiner zweiten Karriere – ist es die pure Lust am Turniertennis, die dich da antreibt?
Nein (lacht), der Günter Bresnik. St. Pölten ist nicht weit entfernt von der Südstadt, ich soll's einfach versuchen, hat er gesagt. Geplant ist der Einstieg eigentlich erst nach entsprechender Vorbereitung im Winter.
Wie geht’s dir denn so? Nimmst du das Turnier besonders locker, weil es ja quasi nur eine Trainingseinheit ist?
Ich hab einen Ganzkörpermuskelkater. Ich hatte ja nie damit gerechnet, dass es soviele Matches werden hier. Aber wenn ich am Platz stehe, will ich gewinnen – ich hasse es, zu verlieren.
Als Draufgabe stehst du gemeinsam mit Pascal Brunner im Doppel-Halbfinale. Beim Davis Cup hat man dein Service mit 241 km/h gemessen, viermal inoffiziell sogar 250 km/h …
… da hatte die Messung ein technisches Problem (lacht) …
… und auch bei den Grundschlägen werden keine Gefangenen gemacht. Siehst du dich im Doppel vielleicht sogar noch stärker als im Einzel?
Ich glaube nicht. Pascal spielt echt stark – und der Return ist meine größte Baustelle. Aber daran arbeiten wir gerade mit Günter. Das Doppel ist derzeit besonders wichtig für mich, weil gerade Return und Volleys dabei trainiert werden. Wir stellen gerade meine Spielanlage ein wenig um. Früher hab ich die Gegner immer von hinten vom Platz geschossen – jetzt will ich, auch im Hinblick auf mein Alter, den Bällen nachgehen und die Punkte früher am Netz abschließen.
Was hat sich seit deiner lebensgefährlichen Verletzung in deiner Einstellung zum Tennis verändert?
Auf dem Platz eigentlich nichts, aber außerhalb bin ich ruhiger und glücklicher.
Ziele? Du hast ja in St. Pölten den Wieder-Einstieg ins ATP-Ranking fixiert.
In eineinhalb Jahren will ich wieder dort stehen, wo ich vorher war. Und dann so schnell wie möglich auf der ATP-Tour spielen.
(Text: Jürgen Pirolt, Foto: Werner Hötzinger)
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