Mit dem Kopf durch die Halle?
Dominic Thiem spielt seine bislang beste Saison als Tennisprofi, doch schlechte Ergebnisse in den letzten Wochen trüben die Erfolge von 2017. Mit einem starken Auftritt bei den ATP Finals in London könnte er diese schwachen Leistungen vergessen machen.
von Lukas Zahrer
zuletzt bearbeitet:
11.11.2017, 10:18 Uhr
Es war ein erfolgreiches Jahr für Dominic Thiem. Der 24-Jährige gewann in diesem Jahr das ATP-500-Turnier in Rio de Janeiro, zudem stand er im Finale von Barcelona und beim Masters in Madrid, wo er jeweils Rafael Nadal unterlegen war. Aktuell hat Thiem 3.815 Weltranglistenpunkte auf seinem Konto und damit exakt 400 Zähler mehr als im Vorjahr. Außerdem ist der aktuelle vierte Rang in der Weltrangliste der höchste Platz in seiner noch jungen Karriere.
"Platz vier ist viel mehr, als ich mir zu Saisonbeginn erwartet hatte", zeigte sich Thiems Coach Günther Bresnik vor Kurzem gegenüber dem Kurier mit Thiems Saisonleistungen zufrieden, wenn auch nicht restlos: "Auf der anderen Seite bin ich enttäuscht, weil auch Platz drei möglich gewesen wäre."
Während sein guter Freund Sascha Zverev, der in der Weltrangliste eine Position vor Thiem liegt, bislang in seiner Karriere noch kein Grand-Slam-Viertelfinale erreicht hat, zog Thiem in diesem Jahr bei den French Open bereits zum zweiten Mal in die Runde der letzten Vier ein. Außerdem erreichte der Niederösterreicher bei den drei weiteren Grand Slams jeweils das Achtelfinale.
Novak Djokovic, Andy Murray und sogar Sandplatzkönig Nadal kassierten allesamt im Laufe der Saison gegen Thiem eine Niederlage. Diese konstant guten Ergebnisse brachten Thiem nun im zweiten Jahr in Folge eine Teilnahme bei den ATP World Tour Finals ein, bei denen er in der Gruppe Pete Sampras auf Grigor Dimitrov, David Goffin und - bereits zum fünften Mal in dieser Saison - Nadal treffen wird.
Durchwachsener Herbst auf der ATP-Tour
Trotzdem nutzte Thiem durch die vielen Verletzungen von Top-Stars seine Chance, sich in der Tennis-Weltspitze festzusetzen, nicht gänzlich. Ausschlaggebend dafür, dass Zverev und nicht Thiem derzeit auf Platz drei liegt, ist ein wahrer Negativlauf im Herbst. Seit der empfindlichen Niederlage im Achtelfinale der US Open nach 2:0-Satzführung gegen Juan Martin del Potro gewann der Österreicher nur zwei seiner sieben bestrittenen Matches.
Ob Jetlag in Tokio oder aufgeschürfte Zehen in Wien, Thiem war in den vergangenen Wochen durch verschiedenste Umstände gehemmt. Ähnlich erging es ihm bereits in der vergangenen Saison, als er über den selben Zeitraum mit einer Bilanz von 1:6 Siegen sogar noch schlechter abschnitt.
Thiem spielte zwar mit 26 Turnieren so viele wie kein anderer Spieler aus den Top-20, doch fehlende körperliche Fitness dürfte nicht der Grund für den Leistungseinbruch sein. Österreichs Nummer eins gilt als einer der fittesten Spieler auf der Tour, die Basis für seine starke Physis legte Thiem bereits in der Saisonvorbereitung.
Mentale Schwäche bei Thiem
Sein dreiwöchiges Trainingscamp auf Teneriffa, das er jährlich im Winter absolviert, ist mittlerweile so beliebt, dass einige Topspieler bei Trainer Bresnik um eine Teilnahme anfragten. Für kommenden Dezember werden neben den Landsmännern Dennis Novak und Sebastian Ofner auch Philipp Kohlschreiber, Jan-Lennard Struff sowie David Goffin als Trainingspartner fungieren.
Vielmehr wirken sich die Strapazen einer langen Saison bei Thiem vor allem im mentalen Bereich aus. "Er hat schlecht trainiert. Dazu kommen bittere Niederlagen wie in Wimbledon gegen Berdych oder in New York gegen Del Potro, wo er alles in der Hand hatte", versucht Bresnik die Ergebnisse der Asien-Reise einzuordnen. "Ihn trifft das am meisten, da muss ich gar nichts sagen."
Etliche Niederlagen nach vergebenen Matchbällen haben Kratzer in Thiems Selbstbewusstsein hinterlassen. Plötzlich wirkt die Souveränität eines Top-10-Spielers, mit der Thiem während der Sandplatzsaison noch überzeugte, wie verflogen.
Besonders häufig fällt auf, dass Thiem in seinen letzten Partien zunehmend in alte Verhaltensmuster verfällt: Läuft ein Match nicht nach seinem Geschmack, will Thiem seinen Gegnern beispielsweise seine Vorhand mit allen Mitteln aufzwingen. Doch in solchen Phasen überpowert er oft und sucht zu schnell den gewinnbringenden Schlag, wodurch einige seiner Bälle zum Teil deutlich ins Aus segeln.
Fokus auf World Tour Finals
Diese Kleinigkeiten versuchte Thiem in den letzten Tagen im Training in der Wiener Südstadt auszumerzen. Vor den Augen von Bresnik spulte Thiem mehrere Stunden pro Tag auf dem Tennisplatz ab, um sich bestens auf London vorzubereiten.
Die Gruppenauslosung für das Jahresendturnier hätte für Thiem leichter ausfallen können: Von den sieben Gegnern, die sich ebenfalls für London qualifizierten, hat der achtfache Turniersieger nur gegen zwei eine negative Bilanz - mit Nadal und Goffin befinden sich beide aber in der selben Gruppe wie Thiem.
Außerdem ist der Hallen-Hartplatz der einzige Belag, auf dem Thiem bislang noch kein Turnier gewonnen hat. "Ja, ich tu mir ein bisschen schwer in der Halle", sagte Thiem noch vor dem Masters in Paris. "Doch jede Turnierwoche bietet eine neue Chance, und ich versuche, mein bestes zu geben."
Spieler | Thiems Bilanz |
Rafael Nadal | 2-5 |
Roger Federer | 2-1 |
Alexander Zverev | 4-1 |
Marin Cilic | 1-0 |
Grigor Dimitrov | 2-1 |
David Goffin | 3-6 |
Jack Sock | 2-1 |
Thiem auch auf Hartplatz erfolgreich
Viele sehen in Thiem nach wie vor einen reinen Sandplatzspezialisten, doch der Rechtshänder konnte in seiner Karriere auch auf Hartplatz bereits einen Titel gewinnen (2016, Acapulco). Klar, in Roland Garros feierte Thiem bislang seine größten Grand-Slam-Erfolge, er gewann in Paris insgesamt 75 Prozent seiner Matches. Doch auch auf dem Hartplatz der US Open ging Thiem in 73 Prozent seiner Partien als Sieger vom Platz und schnitt damit nur minimal schlechter ab als in Paris.
Zudem kommt Thiem entgegen, dass die Plätze auf der ATP Tour in der Saison 2017 durch die Bank langsamer wurden. Der Weltranglistenvierte kann mit seinem Tempo von der Grundlinie auch auf langsamen Belägen leichter direkte Punkte erzielen als Spieler, die weniger Geschwindigkeit in die Bälle bringen.
Zu den ATP-Finals 2016 reiste Thiem mit ähnlich schwachen Leistungen im Gepäck nach London, und spielte dort gutes Tennis. Er konnte Novak Djokovic einen Satz abnehmen und Gael Monfils schlagen, ehe Milos Raonic den Traum von einem Halbfinale zunichte machte.
Alle drei Gegner sind in diesem Jahr nicht dabei. Thiem weiß, dass es diesmal aufgrund der fehlenden Erfahrung der anderen Teilnehmer vergleichsweise einfach erscheint, in London gut abzuschneiden. In London bläst er somit zum letzten Angriff einer erfolgreichen Saison - und hat dabei am besten seinen Kopf im Griff.