French Open 2020: Das Spiel mit dem Risiko
Beinahe Tag für Tag haben die Veranstalter der French Open die zugelassene Besucherzahl reduziert. Aus gutem Grund. Ab Sonntag sollen nun täglich 1.000 Fans den French Open 2020 beiwohnen dürfen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
25.09.2020, 16:54 Uhr
Zahlen sind alles, auch im Tennis. Immer wird gerechnet und berechnet. Es geht um Bestwerte, Rekorde. Um Geschwindigkeiten, Prozente.
Aber wenn alles nicht mehr so ist, wie es immer war, dann geht es auch im Tennis plötzlich um ganz andere Zahlen. Und beim Betrachten dieser Zahlen, der in die Höhe geschnellten Corona-Zahlen, schleicht sich dann doch ein sehr ungutes Gefühl über den Grand-Slam-Wettbewerb ein, der an diesem Wochenende im Hotspot Paris beginnt – die French Open 2020, der Major-Wettbewerb, den die Pandemie in den Herbst hineingeschleudert hat.
Worüber würde man sonst vor allem sprechen, wenn man vorausblicken würde auf die strapaziösen Rutschpartien im roten Sand? Auf die unvergleichliche Bilanz von Rafael Nadal, der seit seinem Debüt im Jahr 2005 nur zwei seiner 95 Spiele im Stadion Roland Garros verloren hat – und der nun vor dem 13. Titelcoup stehen könnte? Auf die Mission von Serena Williams, die immer noch der Einstellung des ewigen Rekords von 24 Grand-Slam-Einzeltiteln nachjagt?
Paris von der Pandemie schwer getroffen
Das alles und noch viel mehr wird in den nächsten beiden Wochen sicher eine Rolle spielen und Gesprächsthema sein. Aber über diesem Turnier liegt ein großer Schatten, und es sind eben die anderen, die düsteren Corona-Zahlen, die Sorge bereiten und Zweifel erlauben, wie sinnvoll das alles ist in Zeiten einer globalen und nationalen Gesundheitskrise. Denn auch dies sind die French Open 2020: Ein Spiel mit dem Risiko, im schwer von der Pandemie getroffenen Frankreich und seiner Hauptstadt Paris.
Als die Macher der French Open im Frühjahr, bald nach dem ursprünglichen Veranstaltungstermin Ende Mai/Anfang Juni, verkündeten, sie wollten im Herbst täglich 20.000 Zuschauer auf die Anlage im Pariser Westen lassen, schüttelten manche in der Branche verwundert den Kopf. Andererseits schien die Zahl der Neuinfizierten damals ein etwas offensiveres Konzept zuzulassen, oft bewegte sie sich im dreistelligen Bereich für das ganze Land. Dass die gewünschten 20.000 Besucher allerdings auch etwas mit der prekären finanziellen Lage des Veranstalters, des französischen Tennisverbands FFT, zu tun hatten, war indes auch klar. Die massiven Investitionen der letzten Jahre, besonders für den Bau eines Centre Court-Daches, hatten tiefe Löcher in den Haushalt gerissen.
Inzwischen wirkt die Zahl 20.000 aber völlig aus der Zeit gefallen, ganz so, als wäre sie stets nur eine Utopie gewesen. Denn die Lage in Frankreich hat sich verändert, und zwar nicht zum Besseren. Zwischen Mittwoch und Donnerstag dieser Woche allein wurden den Behörden mehr als 16.000 Neuinfektionen gemeldet, ein trauriger Spitzenwert in der Corona-Ära – weit mehr als jene 7.578 Neuinfektionen, die am 31. März den Höchstwert der „ersten Welle“ markierten. Und auch diese Zahl wurde noch vermeldet, kurz vor den ersten Aufschlägen ins Hauptfeld der French Open: In der Hauptstadt Paris sollen ab dem Wochenende 20 Prozent der geplanten Operationen abgesagt werden, um für die mögliche Einlieferung von mehr Corona-Intensivpatienten gerüstet zu sein.
Absage an die Lobbyisten
Viele in der Tenniswelt hatten vor einigen Wochen ihre Bedenken an der Austragung der US Open geäußert, obwohl New York das Infektionsgeschehen in den Griff bekommen hatte. Vor den French Open ist nun vergleichsweise wenig aus dem Spielerfeld zu hören, obwohl die ganze Grand-Slam-Konstruktion, auch die sogenannte „Blase“, viel weniger sicher scheint. Kurioser Weise werden die Profis insgeheim aufatmen, dass die Organisatoren Stück für Stück von ihren steilen Zuschauerplänen abrücken mussten. Aus 20.000 Fans wurden zunächst 11.500, die sich über drei abgesonderte Zonen auf dem Roland-Garros-Terrain verteilen sollten. Dann mussten sich die Macher um Turnierchef Guy Forget zwei weitere Male den Anweisungen der Regierungsbehörden fügen – über 5.000 tägliche Besucher, nur auf dem Centre Court, ging es hinab zu den jetzt amtlichen 1.000 Fans. Es wird also de facto auch ein Geisterturnier, mit einer trotzigen Restdekoration von Besuchern, die kaum Stimmung erzeugen können.
Erste Corona-Fälle hatte es schon in der Qualifikation gegeben, erste Ausschlüsse vom Turnier, auch erste Scharmützel um die Aussagekraft der Serientests. Was noch kommen wird in den nächsten beiden Wochen, ist wie alles in diesen Zeiten nicht vorherzusagen. Die Gefahr, dass sich weitere Spieler oder ihr Anhang infizieren und damit folgenschwere Quarantänemaßnahmen auslösen, ist keineswegs abwegig. Die Gefahr sei, glaubt man der früheren Topspielerin und anerkannten TV-Expertin Mary Carillo (USA), „viel größer als bei den US Open“. Das Sicherheitsprotokoll in Paris sei viel laxer als in New York, so Carillo, die Lage ohnehin bedrohlicher.
Premierminister Jean Castex hatte am Donnerstag jegliche Ausnahmeregeln für das Tennisturnier abgelehnt, es war auch eine Absage an alle Lobbyisten, die bei der Zentralregierung Grand Slam-Sonderrechte erreichen wollten. Die French Open müssten selbst wissen, so wurde Castex zitiert, müssten selbst wissen, ob das Turnier unter den eingeschränkten Bedingungen sinnvoll sei und stattfinden solle.