Interview Dirk Hordorff und Alex Antonitsch: "Kontrolle über unseren Sport zurückbekommen"
Gegen die Transition Tour der ITF gibt es massiven Widerstand. Schon bald nach Einführung der Reform regte sich eine starke Protestbewegung, eine Petition gegen das Projekt des Weltverbands fand rasch über 15.000 Unterstützer. Zu den prominenten Köpfen, die eine Umkehr der ITF forderten, gehören Dirk Hordorff und Alex Antonitsch.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
27.03.2019, 09:51 Uhr
Dirk Hordorff ist der Vizepräsident des Deutschen Tennis Bundes, Alex Antonitsch ist Ex-Profi und tennisnet-Herausgeber. Antonitsch begleitet gerade auch als Coach seine Tochter Mira und ist bei Turnieren in Nordafrika unterwegs.
Herr Hordorff, Herr Antonitsch, die Einführung der neuen Tennis Transition Tour hat zu einer bisher nicht gekannten Protestwelle geführt. Wie konnte diese Reform so schief laufen?
Dirk Hordorff: Kurioser oder zynischer Weise ist es ja gar nicht mal so, wenn man den Weltverband so hört. Denn die ITF hat ja ursprünglich sehr eindeutig gesagt, sie wolle die Anzahl der Profispieler reduzieren. Dies ist ihr voll und ganz gelungen. Sie hat die Chancen vieler junger Menschen, am Tennisbetrieb teilzuhaben, enorm reduziert.
Wieso aber beschneidet und behindert ein Verband die Berufsausübung seiner Spieler
Hordorff: Genau das war ja wirklich immer die Frage: Wieso will ich diese Chancen einschränken? Als Verband bin ich dazu da, Mitglieder zu werben. Junge Menschen davon zu überzeugen, wie schön dieser Sport ist. Und dann auch Sorge dafür zu tragen, dass sie in der Tennisszene bleiben und optimale Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden. Und was haben wir hier: Einen Weltverband, der dafür sorgt, dass Leute mit dem Tennis aufhören. Dass sie resignieren und alles hinschmeißen, weil sie keine Perspektive mehr sehen.
Alex Antonitsch: Ich will das noch drastischer formulieren. Ich bin nun seit Anfang der 80er-Jahre im Tennisgeschäft, aber so eine Situation habe ich noch nie erlebt. Die Situation, dass ein Weltverband Maßnahmen ergreift, um seine Spieler los zu werden – während gleichzeitig die nationalen Organisationen alles dafür tun, um Kids und Jugendliche für den Sport zu begeistern. Ich bin froh, dass es eine unglaubliche Protestbewegung gibt, um dieses komplette Desaster zu beenden. Es ist verrückt, dass sich unser Sport sozusagen in der Hand von drei Anwaltskanzleien befinden, die via IRP (Independent Review Panel) diesen ganzen Schlamassel auf den Weg gebracht haben.
Der beim Weltverband zuständige Kris Dent erklärt sich die Schwierigkeiten damit, dass es zum Saisonstart generell weniger Spielmöglichkeiten geben würde. Die Tour werde über die Saison noch zu einem Erfolg werden.
Hordorff: Wenn sich 15.000 Spieler und andere Beteiligte am Tennis gegen diese Reform wenden, wenn Verbände darüber klagen, dass ihnen die Veranstalter von Turnieren weglaufen, dann kann ich solch eine Aussage nur zynisch nennen. Oder es fehlt schlicht die Intelligenz, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind. Nämlich furchtbar. Man kann Fehler machen, aber man sollte auch die Größe haben, sich diese Fehler dann auch einzugestehen. Und nicht noch diese Fehler arrogant verteidigen.
Für viele in der Tennis-Industrie gerät die Reform zu einem Debakel: Bekleidungs- und Ausrüsterindustrie, Turnierveranstalter, Akademien. Für alle schrumpft einfach die professionelle Tennis-Basis.
Antonitsch: Man wird wohl kein System finden, in dem alle zufrieden sind. Aber ich habe noch kein System gefunden, in dem niemand zufrieden ist – so wie hier. Es ist ja eine Lawine, die losgetreten wurde. Es betrifft die Spieler, aber auch Coaches, die sich sagen: Hat keinen Sinn mehr. Es betrifft Akademien, die sagen: Wozu machen wir das noch, wenn die Spieler kaum noch Chancen haben, ins Geschäft zu kommen? Es betrifft Eltern, die sagen: Wozu der ganze Einsatz, das Geld, da kann unser Kind doch auch in eine andere Sportart gehen? Und natürlich auch die Industrie, die sagt: Halt mal, was ist da eigentlich in diesem Sport los, da lenken wir unser Geld doch woanders hin. Der Weltverband hat hier einen wahnsinnigen Flurschaden angerichtet.
Die Kritik entzündet sich ja schwerpunktmäßig an den zu kleinen Qualifikationsfeldern und den verschiedenen Ranglistensystemen.
Antonitsch: Wir sollten wegkommen von der Schuldfrage, meine ich. Die ist geklärt. Nun geht es darum, sofort die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Und die sind: Offene Qualifikationsfelder. Und eine einheitliche Rangliste.
Hordorff: Ich will noch mal darauf hinweisen, dass nicht die Veranstalter das Problem sind. Sondern die Regeln, die nun gelten. Die Veranstalter der Turniere, das sind oft Ehrenämtler, die ihre Zeit opfern für die Organisation. Aber man hat sie auch frustriert mit dieser Reform, sie sind genau wie die Spieler die Leidtragenden.
Alex Antonitsch, um es noch einmal konkret und erlebbar zu machen: Sie begleiten selbst gerade Ihre Tochter zu verschiedenen Turnieren. Wie ist die Stimmung unter den Akteuren dort?
Antonitsch: Wut, Zorn, Resignation, Frust, Verbitterung. Es ist eine Mischung von allem. Was mir weh tut, ist diese Hoffnungslosigkeit, die es bei vielen dieser Spieler gibt. Es ist ja so, dass sie auf dieser Tour ihre Punkte sammeln und dann ja noch einmal im WTA- oder ATP-Ranking von vorne anfangen müssen. Also, diese beiden Ranglisten, das ist absoluter Unsinn. Es ist nicht durchdacht. Oder es ist eben ein von oben verordneter Nackenschlag für diese Spieler. Wen immer ich dazu befragt habe, es kam immer die Aussage: Quatsch. Was du dir bei diesen Turnieren hier, also der jetzigen Transition Tour, erarbeitest, das darf nicht umsonst sein.
Herr Hordorff, die ITF bezeichnete die Kritiker an dieser Reform anfangs als „uninformiert“, ehe sie dann doch teilweise einlenkte. Wo stehen wir eigentlich mit dem Weltverband gerade?
Hordorff: Es ist schlicht bedenklich, wenn ein Verband die Ängste, Sorgen und Bedenken so vieler Menschen nicht ernst nimmt. Und sich in dieser Weise äußert. Diese ganze Handlungsweise zeugt auch von einer Kritikunfähigkeit, die einen manchmal sprachlos machte.
Eine der Absichten der Transition Tour war ja auch, die Wettmanipulationen einzudämmen. Nun gibt es Berichte, dass die Korruption zunimmt, etwa mit dem Verkauf von Wildcards?
Hordorff: Dieses Ziel ist nicht annähernd erreicht worden. Denn Fakt ist ja, dass sich die finanziellen Möglichkeiten verschlechtert haben und damit auch die Anfälligkeit für bestimmte Vergehen. Wenn ich höre, dass Spieler umherfliegen zu den Turnieren und dann gar keinen Startplatz erhalten, dann muss man zumindest befürchten, dass der ein oder andere zumindest mal anderswo in Versuchung gerät. Nein, da hat man gar nichts besser gemacht. Wenn ich diese Pläne in die Hände eines wenig fachkundigen ITF-Mannes wie Tomas Konigsfeldt aus Dänemark lege und nicht Praktiker wie beispielsweise Alex Antonitsch befrage, dann kommt so ein Resultat heraus.
Antonitsch: Danke für die Blumen, Dirk. Aber ich sehe hier Hunderte, Tausende Menschen, die sich mit Herzblut und Leidenschaft bemühen, diesen Unsinn zu beenden. Und für eine Wende zu sorgen. Wir beide sind nur ein Teil einer sehr engagierten und kompetenten Bewegung. Letztlich geht es nur darum, diesen Tausenden von Spielern wieder Beschäftigung zu garantieren.
Hordorff: Ich will noch einmal etwas zum Thema Wettindustrie sagen. Wir sind nicht dazu da, für diese Firmen einen Circuit zu organisieren, damit die davon profitieren. Sondern um für die vielen Tausend Spieler eine Turnierlandschaft aufzubauen. Die Wettindustrie hat ihren Job zu machen, sie muss ihre Probleme lösen. Und wir müssen unseren Job machen, und der besteht nicht vorrangig darin, den Wettfirmen ein kommerziell attraktiveres Umfeld zu ermöglichen.
Man hat den Eindruck, als gäbe es zwar ein gewisses Maß an Solidarität bei den höher klassierten Spielern, aber keine breite, öffentlichkeitswirksame Unterstützung.
Hordorff: Nun, diesen Eindruck kann ich nicht ganz teilen. Es gab und gibt schon sehr viel Unterstützung aus dem Lager der Topprofis. Viele sind natürlich nicht in allen Details, in der komplexen Materie drin. Aber sie sehen klar, dass Spieler behindert werden in ihrer Entwicklung. Und zwar in einer Phase ihrer Karriere, in der sie ja auch einmal waren.
Nehmen wir an, Sie hätten die Entscheidungsgewalt im Welttennis. Was muss jetzt passieren in dieser Angelegenheit?
Hordorff: Ganz klar eine schnelle, unmittelbare Öffnung der Qualifikationsfelder, auf 48 oder auch 64 Spieler. Und ein einheitliches, allgemeingültiges Ranking, also das WTA- oder ATP-Ranking. Die ITF muss ihren Ankündigungen sehr, sehr zügig Taten folgen lassen.
Antonitsch: Da schließe ich mich voll und ganz an. Und das ist auch die Forderung, die eigentlich alle erheben, mit denen wir in Kontakt stehen. ITF, WTA und ATP sind aufgefordert, die Ranglisten-Thematik gemeinsam umzusetzen. Es muss einfach Punkte auf allen professionellen Ebenen geben, die dann auch stets für das sportliche Profil des Spielers Bedeutung haben. Es kann nicht sein, dass ein Spieler sich wochenlang abstrampelt, um dann wieder am Nullpunkt zu stehen. Die Devise lautet: One Ranking. Um es noch einmal klipp und klar zu sagen: ITF, ATP und WTA müssen wieder die Kontrolle über unseren Sport zurückbekommen.
Das Gespräch führte Jörg Allmeroth.