Jule Niemeier in Wimbledon: Durchgefightet - und stolz drauf
Jule Niemeier (WTA-Nr. 97) steht nach einem hart erkämpften Drittrundensieg erstmals im Achtelfinale eines Grand-Slam-Turniers. Das Spiel hat keinen Schönheitspreis gewonnen - und ist dadurch umso wichtiger.
von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet:
01.07.2022, 21:05 Uhr
Man hat die "Klassiker" ja schon zu oft erlebt: Eine Spielerin oder ein Spieler schafft die große Überraschung, nimmt einen der Topstars dank einer beherzten Leistung aus dem Turnier - und geht im nächsten, im scheinbar so viel einfacheren Spiel sang- und klanglos raus.
Jule Niemeier hatte am Freitagvormittag in Wimbledon genau diese Aufgabe zu meistern: Nach ihrem 6:4, 6:0-Glanzsieg über die Weltranglisten-Dritte Anett Kontaveit stand ihr nun Lesia Tsurenko gegenüber, ebenjene scheinbar machbare Aufgabe als Nummer 103 der Welt.
Das Match verlief, positiv ausgedrückt, durchwachsen: Beide Spielerinnen waren sichtlich nervös, insgesamt gab es 21 (!) Breaks, oder anders gesagt: nur 7 Aufschlaggewinne. Dazu 72 Fehler ohne Not. Und am Ende: War es völlig egal. Niemeier siegte, sie steht bei ihrer ersten Wimbledonteilnahme direkt im Achtelfinale.
Jule Niemeier. Vorbereitet auf ein "schlechtes" Match
Was beeindruckte: Niemeier blieb extrem ruhig während des Spiels, im vollen Bewusstsein, dass es kein Feuerwerk war, was sie und Tsurenko da abbrannten. Später klärte die 22-Jährige auf: Genau über diese Art Match habe man vorher ausführlich gesprochen.
Man: Also im Speziellen sie und ihr Coach Christopher Kas, der am Ende des Matches sein Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekam. "Wir haben vorher drüber geredet, dass es sicher so eintreten wird, dass ich nicht noch mal so performen werde wie gegen Kontaveit. Dass es heute aufs Mentale ankommt. Ich bin sehr glücklich, dass ich mental stark geblieben bin", sagte Niemeier im Anschluss.
Am Ende ließ Niemeier ihr Racket auf den Rasen fallen und vergaß es beinahe mitzunehmen - der Hinweis des Schiedsrichters war nötig, dass da ja noch die Keule an der Grundlinie liege. "Mir ist einfach ein Stein vorm Herzen gefallen", so Niemeier, die nach ihrem Sieg über Kontaveit noch völlig ausgelassen gefeiert hatte und heute tatsächlich einfach nur erleichtert wirkte. "Viele haben erwartet, dass ich das heute recht einfach gewinne", wusste Niemeier über den Druck, "aber wir haben uns drauf eingestellt."
Jule Niemeier: Nun gegen Heather Watson - und das Publikum
Schlechte Spiele trotzdem zu gewinnen, es ist die große Kunst im Tennis, weil man eben doch nu an begrenzt vielen Tagen im Jahr sein bestes Tennis spielt. "Wenn man vor zwei Tagen gegen eine Top 10 Spielerin gewonnen hat, möchte man auch das nächste Match gewinnen", wusste auch Niemeier. "Auch um es sich selbst zu bewiesen. Daher war zu erwarten, dass es spielerisch nicht so läuft wie vor zwei Tagen. Aber ich habe trotzdem gewonnen und sitze hier als Siegerin. Deswegen nehme ich die Situation gerne mit."
In zwei Tagen könnte nun erneut eine neue Situation warten für die Dortmunderin. Sie trifft dann auf die Britin Heather Watson, die steht mit 30 Jahren ebenfalls erstmals im Achtelfinale in Wimbledon. Das Match wird freilich auf einem großen Court angesetzt werden, das Novum aber: Watson wird das Publikum hinter sich haben, Niemeier also einen Gegner mehr.
Ausmachen tut ihr das nichts. Sollte das Spiel gar auf Centre Court stattfinden, so Niemeier, "dann wäre es eine Ehre."