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Kolumne Barbara Rittner: "Angie ist meine Favoritin"

Barbara Rittner, Head of Women's Tennis in Deutschland, über die neue alte Stärke und die Chancen von Angelique Kerber in ihrem zweiten Wimbledonfinale am Samstag.

von Barbara Rittner
zuletzt bearbeitet: 13.07.2018, 22:53 Uhr

Angelique Kerber, Barbara Rittner

Von Barbara Rittner aus Wimbledon

Als Angelique Kerber vor zwei Jahren in Wimbledon nach dem verlorenen Finale erklärte, sie wolle es eines Tages unbedingt ganz schnell noch einmal besser machen und gewinnen, dachte ich: Hoppla, das ist mal eine Ansage. Aber sie hat es todernst gemeint, sie hat dieses Ziel, diese Mission nie aus den Augen verloren. Ich habe schon vor ein paar Wochen gesagt: Angie ist meine Wimbledon-Favoritin. Und dabei bleibe ich auch jetzt. Auch wenn Serena Williams auf der anderen Seite des Netzes steht.

Was ist der wesentliche Grund für diese alte, neue Stärke von Angie? Ich glaube, es ist der Mut zur Veränderung, den sie hatte. Der Wechsel von Torben Beltz zu Wim Fissette hat natürlich auch eine personelle Komponente, schließlich ist Wim ein Supercoach. Aber es geht hier ums Prinzip, um die Symbolik: Dass sich Angie überhaupt dazu entschlossen hat, ist von Bedeutung. Es war ein großer Schritt für sie, weil sie normaler Weise mit neuen Menschen um sich herum fremdelt, sich am liebsten mit vertrauten Personen umgibt. Sie hatte auch Bammel, was kommen wird nach diesem Trainerwechsel. Aber sie hat dann viel Selbstbewusstsein aufgetankt, als sie merkte: Das funktioniert. Es ist einfach sehr gut gewesen für ihre Persönlichkeitsentwicklung - zu sehen, dass man neue Chancen bekommt, wenn man sich etwas Ungewohntes traut.

"Angie ruht in sich selbst"

Es war ja auch nicht nur ein plötzliches Hoch zu Jahresbeginn, als Angie und ihr Coach gleich das Halbfinale der Australian Open erreichten. Sie hat sich wieder oben in der Weltspitze festgebissen, ist die konstanteste Grand-Slam-Spielerin der Saison - auch mit dem Viertelfinale in Paris und nun dem Endspiel in Wimbledon. Sie strahlt dabei eine Gelassenheit und Souveränität aus, die ich bisher bei ihr noch sie so erlebt habe. Sie ruht in sich selbst, vertraut ihren Stärken. Es ist schön zu sehen, welche Leidenschaft und Freude sie wieder am Fighten gewonnen hat, an diesen Duellen auf den großen Courts, an den Matches gegen die Besten und Allerbesten.

Sie braucht diese Leidenschaft auch, weil sie keine ist, die andere Gegnerinnen mal eben so wegschiesst vom Platz. Sie muss immer aufs Neue bereit sein zu kämpfen. In jedem Spiel. Wenn diese starke Motivation nicht da ist, wie im schwierigen Jahr 2017, dann verliert sie die entscheidenden Prozente zum Sieg. Damals litt sie sehr unter den eigenen hohen Erwartungen, hatte sich aber wohl auch nicht vorstellen können, was es bedeutet, die Nummer eins zu sein. Die Verpflichtungen neben dem Platz kosten viel Kraft und Energie, der Druck nimmt sowieso zu - und auch das Engagement der Gegnerinnen, die führende Spielerin zu schlagen. Es war eine harte, auch einsame Zeit für sie.

Aber Angie hat diese Krise überwunden. Sie ist stärker und besser zurückgekommen. Sie ist 2018 eine bessere Spielerin als 2016. Sie wirkt zufriedener, souveräner als Person. Ist auf dem Platz ruhiger, löst Probleme eigenständiger. Man sieht, dass sie nicht mehr so oft wie früher hinaufschaut zu ihrem Team. Sie hilft sich selbst. So wie auch in Wimbledon, wo sie wie in einem Tunnel durchs Turnier marschierte, total fokussiert, total klar in ihrem Plan. Sie kann deshalb auch Serena Williams schlagen. Und die erste deutsche Wimbledonsiegerin nach Steffi werden.

Bearbeitung: Jörg Allmeroth

von Barbara Rittner

Freitag
13.07.2018, 22:53 Uhr