Laura Siegemund im Interview: „Wusste noch nicht, dass ich dieses Level spielen kann“
Laura Siegemund, Gewinnerin des Porsche Tennis Grand Prix 2017, im tennisnet-Gespräch: über Druck bei Heimspielen, ihren kuriosen Matchball und den langen Kampf mit ihrem Körper.
von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
25.04.2020, 13:39 Uhr
Laura Siegemund ist eines der Gesichter des Porsche Tennis Grand Prix der letzten Jahre. 2016 spielte sich die Stuttgarterin aus der Qualifikation heraus bis ins Finale, 2017 holte sie fast ebenso überraschend den Titel. Wir haben mit der 32-Jährigen über ihre besondere Beziehung zum Porsche Tennis Grand Prix gesprochen. Und über ihre schwierige Zeit nach dem Sieg, als sie sich einen Kreuzbandriss zuzog und lange ausfiel.
tennisnet: Frau Siegemund, die ersten Bilder, die Ihnen vor Augen kommen, wenn Sie an den Porsche Tennis Grand Prix denken – welche sind das?
Laura Siegemund: Die Porsche Arena, also der Platz beim Einlaufen. Wenn es dunkel wird, der Rauch aufsteigt, die Beleuchtung angeht. Und die Stimme erklingt: „Bitte begrüßen Sie...“ Das ist einfach cool. Und ich sehe Spielszenen vor mir. Witzigerweise nicht mal von meinem Sieg in 2017, eher aktuellere, wie von meinem Auftaktmatch 2019 gegen Lesia Tsurenko. Das war ein Traummatch, es kommt selten vor, dass es von Anfang bis Ende bombig läuft, ohne Durchhänger. Diese Szenen habe ich aus meiner Sicht auf dem Platz vor mir. Und es kommen diese Emotionen hoch, die mich beim Porsche Tennis Grand Prix immer befallen. Diese Freude, weil alle dabei sind, die sonst nicht live zuschauen können: meine Eltern, Freunde und Bekannte. Und das Publikum, das hinter mir steht. Alles vermengt mit einer Portion Erwartung. Und auch dem Druck, dass man es besonders gut machen will. Eine Mischung aus Heimvorteil, aber auch ganz besonderer Anspannung.
Wenn man sich Ihre Ergebnisse in Stuttgart anschaut, scheint Sie der Heimvorteil zu beflügeln.
Ich sehe das recht rational: Jedes Match hat seine Knackpunkte, an denen man performen muss. Tut man das nicht, verliert man. Wenn man es im Laufe eines Turniers immer und immer wieder schafft, solche Knackpunkte zu lösen, gewinnt man vielleicht. Wenn man an einem scheitert, ist es womöglich aus. In diesen engen Situationen hilft es einem aber sehr, das Publikum im Rücken zu haben. Das einen aufsammelt, wenn es nicht so gut läuft. Und pusht, wenn es gut läuft. Ich bin dennoch niemand, den der Druck komplett kalt lässt. Das ist schon eine extra Belastung. Da appelliere ich an meine Professionalität und sage: Das ist ein Bestandteil meines Jobs. Ich sehe das auch als Herausforderung, damit klarzukommen.
Was Sie zweifelsfrei geschafft haben: 2016 haben Sie auf Ihrem Weg ins Finale mit Simona Halep, Roberta Vinci und Agnieszka Radwanska drei Top-Ten-Spielerinnen besiegt.
Das Tolle war damals: Ich hatte nichts zu verlieren. Und mit jeder Runde, die ich weitergekommen bin, wurde es noch weniger. Ich war immer der Underdog. Die Schwierigkeit bis zu diesem Turnier war, dass ich noch nicht wusste, dass ich dieses Level spielen und womöglich solche Turniere gewinnen kann. Ich hatte natürlich schon gespürt, dass ich es in mir habe, konnte es aber nie in Ergebnisse umsetzen. Und dann pendelt man sich eben auf Platz 100 oder 150 ein.
Der berühmte Unterschied zwischen Training und Match?
Es ist dieser Spagat zwischen dem, was man kann, und dem, was man im Turnier umsetzt. Jetzt zum Beispiel weiß ich: Wenn ich fit bin, wenn ich gesund bin, wenn die Matchpraxis stimmt und ich bestimmte Situationen erlebt habe – dann bin ich eine Top-50-Spielerin. Das heißt nicht, dass ich immer in den Top 50 stehe, aktuell ja auch nicht. Aber ich weiß: Ich habe dieses Level. Bestimmte Faktoren müssen stimmen und bestimmte Gelegenheiten sich ergeben. Wenn man jedes Mal bei einem großen Turnier in Runde zwei eine Top-Ten-Spielerin zieht, wird‘s halt schwierig. Aber das Wissen um meine Stärke steckt nun in mir. Damals wusste ich das noch nicht.
2017 hatten Sie – aufgrund des Finals im Jahr zuvor – viele Punkte zu verteidigen. Kann man so etwas ausblenden?
(überlegt) Ich versuche in solchen Fällen, nicht mit einer Verteidigungshaltung in ein Turnier zu gehen. Das Thema ist aufgrund der Weltrangliste letztlich jede Woche aktuell. Und es kann zermürbend sein. Vom Mindset versuche ist, das anders zu regeln. Ich will an mir als Spielerin an bestimmten Facetten meines Spiels arbeiten. Die Punkte, ob ich verteidige oder neue mache, sind das Ergebnis dieses Prozesses.
Klingt in der Theorie gut.
Wie gesagt, das ist das Mindset. Die Realität sieht oft anders aus. Man hat eben diese Punkte zu verteidigen, das kann man nicht immer abschütteln. Auf dem Platz vielleicht schon, aber vorher vergleicht man gerne die Rankingpositionen und sieht: In dieser Woche geht‘s um ein Drittel der Punkte, die auf dem Konto stehen. Und man weiß genau: Wenn man nicht liefert, rutscht man mal schnell auf Platz 90 durch. Der Aufbau des Rankings zeichnet den Beruf als Tennisspieler in besonderem Maße aus. Weil es sich auf unser tägliches Leben auswirkt. Wer das abschütteln und komplett ausblenden kann – herzlichen Glückwunsch (lacht). Auf mentaler Ebene ist der Umgang damit für Tennisprofis eine der größten Herausforderungen.
Sie konnten damit umgehen, haben 2017 noch mal einen solchen Lauf hingelegt, mit Svetlana Kuznetsova, Karolina Pliskova und Simona Halep erneut drei Top-Ten-Spielerinnen besiegt. Wie haben Sie den Druck abgeschüttelt?
Ich teile immer gerne zwischen Herz und Kopf ein. Der Kopf sagt: Bleib rational, ein Match nach dem anderen! Das Herz gibt Emotionen mit, das kann man auch nicht abstellen. Ich habe den Druck damals extrem gespürt, wollte nicht früh verlieren, war wahnsinnig defensiv unterwegs – Stichwort Verteidigermentalität. Vom Kopf her habe ich versucht dagegenzusteuern und mir gesagt: Nimm jedes Match für sich. In Stuttgart ist es vom Tableau her brutal, es sind fast ausschließlich Top-30-Leute dabei, von Runde eins an. Ich musste das Vorjahr ausblenden, musste im Moment bleiben, die Erwartungen weglassen.
Sie haben dann sogar das Finale gegen Kristina Mladenovic gewonnen.
Im Finale war das ebenfalls eine andere Situation. 2016 war ich einfach platt, mein Tank war leer. Ich hatte inklusive Quali sieben Matches gespielt, plus Doppel. Im Finale habe ich 3:0 geführt und gemerkt, dass mir der Saft ausgeht. Eine Angelique Kerber spielt dann zu konstant, gibt einem zu wenige Fehler. Gegen eine Hardhitterin kann man kurze Rallyes gehen, da reicht die Kraft dann vielleicht noch. Aber gegen Angie, die einen 20 Mal rechts-links schickt und keine Fehler macht, wird‘s schwierig. 2017 waren es andere Voraussetzungen, Mladenovic und ich hatten gleich viele Matches bis zum Endspiel. Natürlich waren wir physisch angeknockt, in einem Finale fühlt sich keiner mehr wie ein junges Reh. Aber ich wusste diesmal: Ihr geht es auch nicht anders.
Der Matchball gegen Mladenovic war kurios. Dritter Satz Tiebreak, Mladenovic spielt einen Stopp, Sie den Gegenstopp kurzcross an oder neben die Linie – der Schiedsrichter musste entscheiden. Wie haben Sie diese Szene in Erinnerung?
Der Weg zum Netz, dieser Moment, wenn man gewonnen hat – der ist normalerweise sehr lang. Da fällt die gesamte Anspannung weg. Man gibt der Gegnerin die Hand, hatte aber zuvor ein paar Sekunden zum Verarbeiten. In diesem Fall standen wir zu dritt einen Meter auseinander. Und als ich sah, dass die Linie von meinem Stopp minimal weiß gefegt war und die Schiedsrichterin dann auch entsprechendes Handsignal gab, dass der Ball gut war, wurde mir klar: Das ist das Größte, was ich je erreicht habe! Zeitgleich sah ich Mladenovics Enttäuschung, sie hatte ja 4:1 geführt im Tiebreak. Sie hat mir gleich die Hand hingestreckt, da will man nicht respektlos jubeln. So sehr ich mich für mich selbst gefreut habe, so sehr habe ich ihren Schmerz gespürt. Ich war im ersten Moment darauf bedacht, ihr nicht wehzutun oder mich falsch zu verhalten. Letztlich war es eine unglückliche Art, ein sehr gutes Match zu gewinnen, denn das war es von uns beiden. Das gewinnt man lieber mit einem Ass oder einem Vorhand-Brett.
Sie haben sich kurz nach dem Stuttgart-Sieg in Nürnberg einen Kreuzbandriss zugezogen, sind knapp ein Jahr komplett ausgefallen – ausgerechnet in der besten Phase Ihrer Karriere. Waren Sie damals verbittert?
Das ist auch wieder Herz und Kopf. Ich hätte mich absolut verstanden, wenn ich total frustriert gewesen wäre. Aber es war überhaupt nicht so. In dem Moment war es natürlich schlimm, aber ich habe schnell positiv reagiert. Dabei bin ich eigentlich nicht der Natur-Optimist, eher Realist oder manchmal Pessimist. Ich wollte das Beste daraus machen und hatte keinen Durchhänger. In der Reha natürlich schon, da konnte es nicht schnell genug gehen, es gab Rückschläge, eine zweite OP… Aber ich habe auch das als Herausforderung angenommen. Es genossen, mal andere Sachen außer Tennis machen zu können. Mit dem Wissen: Ich komme ja wieder zurück. Auch wenn das alles andere als sicher war, es gab durchaus die Sorge, dass das nichts mehr wird. Es hat dann fast ein Jahr gedauert, bis ich wieder Turniere spielen konnte. Und noch mal ein Jahr, bis sich mein Körper gefunden hatte. Ich hatte 2018 viele andere Verletzungen und erst 2019 wieder das Gefühl, dass es wieder rund läuft. Bis zu dem Level, auf dem ich sein wollte, auf dem ich vor der Verletzung war – das hat fast bis 2020 gedauert.
Drei „verlorene“ Jahre sind im Tennis verdammt viel.
Natürlich hätte ich 2017 eine Hammer-Saison spielen können. Ich hätte auch gerne mitgenommen, was in Sachen Erfolg und natürlich auch finanziellen Aspekten damit verknüpft ist. Aber das Einzige, womit ich wirklich hadere, ist die Zeit. Ich bin nicht mehr die Jüngste und möchte noch ein paar Jahre spielen. In der damaligen Situation zwei, drei Jahre zu verlieren: Das ist verdammt viel. Dass mir diese Zeit geraubt wurde, das bedauere ich.
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Die vielen Verletzungen in 2018, von denen Sie sprachen – hingen die noch mit dem Knie zusammen?
Ich dachte immer: Wenn das Knie wieder passt, wird alles wie vorher. Aber der Körper war aus dem Ruder geraten und musste sich erst wieder einspielen. Man fühlt sich fit – und dann macht plötzlich die linke Wade zu. Dann sagen die Ärzte: Klar, das kommt vom Knie. Ich habe wohl anders belastet, mehr die linke Seite, obwohl ich rechts gar nicht das Gefühl hatte, mein Knie zu entlasten. Wir sprechen hier im Leistungssport von Extrem-Belastungen, nicht von einem Stündchen Sport am Tag. So kriegt man erst mit, wie der Körper aufeinander abgestimmt ist. Wenn der rechte Fuß eine Fehlstellung hat, geht das durch Knie über Hüfte – und links am Rücken tut‘s dann weh, teils über Jahre hinweg.
Wenn man eine kleine Stellschraube verändert, hat das massive Auswirkungen aufs Gesamtsystem.
Das ist mir in dieser Zeit klar geworden. Damals hatte ich das Gefühl, ich kenne meinen Körper gar nicht mehr. Normalerweise weiß man: Wenn ich heute dies und das mache, habe ich morgen diese und jene Probleme. Oder man weiß, ob man noch eine Einheit dranhängen kann oder lieber aufhören sollte. Wenn man das alles plötzlich nicht mehr weiß, ist das ein äußerst unangenehmes und belastendes Gefühl für einen Athleten. Gleichzeitig muss man sich auch als Spieler wieder finden. Dieser Spagat zwischen Geduld und Erwartung war eine große Herausforderung. Aktuell bin ich sehr gut drauf, habe mich gefunden, weiß, was ich kann und will. Und das ist cool. Jetzt noch mal zwei Jahre geschenkt zu bekommen, das wäre das Größte! Aber Zeit ist eben wie ein Fluss: Was einmal vorbeigeflossen ist, kommt nicht wieder. Von dem her bin ich einfach dankbar, dass ich wieder spielen kann und versuche ab jetzt, das Beste draus zu machen.
Aktuell sind Sie aufgrund der Corona-Krise wie alle Profis zu einer Auszeit verdonnert. Wie haben Sie die vergangenen Wochen verbracht?
Ich bin aktuell in den USA, ich habe gute Bekannte in Florida. Auch Trainer, die ich über die Jahre kennenlernt habe. Ich habe vor der Indian-Wells-Absage bereits das kleinere Turnier dort gespielt. Dann haben wir entschieden, zu bleiben. Die Tennisclubs haben zwar alle zugemacht, aber bei meinen Bekannten kann ich auf einen Platz im Garten trainieren.
Trainieren Sie in dieser Zeit durch?
Ich trainiere voll. Nicht am Limit – wenn schlechtes Wetter ist, stehe ich nicht am Fenster und hoffe, dass es mal für zwei Stunden aufhört zu regnen (lacht). Sondern dann gehe ich halt ins Gym. Aber ich habe eine gute Intensität. Eine, die ich für längere Zeit aufrechterhalten kann. Das Schöne ist: Man kann zurzeit etwas freier trainieren, auch mal eine weniger ergebnisorientierte Spaß-Einheit einlegen, was sonst einfach aus Effizienzgründen nicht geht. Das genieße ich sehr.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute!
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