Sharapova-Comeback: Sturm über Stuttgart

Maria Sharapova gibt ausgerechnet beim Heimturnier eines Ihrer Sponsoren, dem WTA GP in Stuttgart (ab Dienstag 12 Uhr live auf DAZN), das Comeback nach 15 monatiger Dopingsperre - dank einer umstrittenen Wildcard. Dafür kritisieren Berufskollegen den Turnierdirektor und die Russin gleichermaßen. Dabei ist Sharapova nicht die Einzige im Tenniszirkus mit einem Dopingmakel.

von Jannik Schneider
zuletzt bearbeitet: 24.04.2017, 10:54 Uhr

Maria Sharapova profitiert bei ihrem Comeback von einer umstrittenen Wild Card

Eigentlich war Händereiben angesagt bei den Verantwortlichen der Women's Tennis Association (WTA). Maria Sharapova kurz vor ihrem Comeback, Victoria Azarenka nach Babypause eifrig am Arbeiten für selbiges und Serena Williams nach ihrem Australian-Open-Titel, der anschließenden üblichen Auszeit und einigen Wehwechen bestimmt bald zurück im Turnierzirkus.

Zwei ehemalige Weltranglistenerste und die aktuelle Nummer eins als Booster, um der Damentour mit einer strauchelnden Angelique Kerber und ihren zumeist wenig polarisierenden Kontrahentinnen schon zeitnah neuen (oder alten?) Glanz zu verleihen. Sportlich, aber vor allem marketingtechnisch ein sicherlich gutes Rezept, ohne, dass die Offiziellen großartig an den Zutaten hätten feilen müssen - ein günstiges Szenario.

Mit einem eindeutigen Snapchatfoto verabschiedete sich Serena Williams am vergangenen Mittwoch jedoch mit 35 Jahren und 23 Grand-Slam-Titeln im Gepäck als erfolgreichste Tennisspielerin aller Zeiten in ihre erste Babypause. Der US-Star peilt für 2018 zwar ein Comeback an. Doch die Wucht einer Rückkehr darf ob des dann für eine Leistungssportlerin mehr als respektablen Alters zumindest mal in Frage gestellt werden.

So ist ein erfolgreiches Comeback von Maria Sharapova beim Turnier diese Woche in Stuttgart für die WTA ein ganzes Stück wichtiger geworden. Dabei waren die Nebengeräusche um die Vergabe einer der beiden Wildcards für das unter den Spielerinnen so beliebte, weil toporganisierte Turnier auf Sand, an Sharapova schon vor Williams' Krachermeldung hoch umstritten.

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Positive Probe: Die Pressekonferenz, die alles veränderte

Die zweimalige Paris-Siegerin war bei den Australian Open 2016 positiv auf das Herz- und Kreislaufanimierende Mittel Meldonium getestet worden. Das Mittel stand lange Zeit auf der Beobachtungsliste der Weltantidopingagentur (WADA), seit Januar 2016 war der Gebrauch offiziell verboten.

Sharapova gab im März vergangenen Jahres auf einer Pressekonferenz, die ein mittelschweres Medienbeben auslöste, den jahrelangen Gebrauch Meldoniums aus gesundheitlichen Gründen zu und verzichtete auf die Öffnung der B-Probe. Die fünffache Grand-Slam-Siegerin wurde anschließend von der ITF zunächst für zwei Jahre gesperrt. Sie legte Einspruch vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) ein und erwirkte eine Reduzierung um neun Monate.

Turnierchefin Huber: "Für Maria wird es nicht leicht"

Nun neigt sich die 15-monatige Sperre dem Ende entgegen. Die Damen-Tour ist mehr denn je auf die bestverdienende Sportlerin der Welt angewiesen. Denn im Gegensatz zu Sharapovas desaströser Einzelbilanz gegen Serena (2:19) ist der Markenwert der Russin ein ganzes Stück höher als der der US-Amerikanerin.

Aufmerksamkeit garantiert: Für Masha hagelt es Wildcards

Dass die Sperre in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, ausgerechnet während jenem Turnier abläuft, bei dem einer ihrer größten Sponsoren der Hauptgeldgeber ist und für den sie zeitgleich Markenbotschafterin ist, bleibt Zufall.

Denn auch bei den kommenden Turnieren wird Sharapova der Hof gemacht. Für Madrid wie auch Rom wurden der 30-Jährigen bereits Wildcards zugesagt. Von den Verantwortlichen der French Open wird dasselbe Vorgehen erwartet. Der Name Sharapova garantiert Glamour, sportlichen Anreiz und jede Menge Aufmerksamkeit.

Alleine in Stuttgart haben sich mit 250 doppelt so viele Journalisten wie in den Vorjahren akkreditiert. Der Turnierdirektor Markus Günthardt spricht nicht erst in diesem Jahr von Sharapova als Publikumsanreiz und Ticketbeschleuniger. Doch eben jener Günthardt wird für die Vergabe der Wildcard in diesen Tagen kritisiert.

"Kann mich nicht mal an Sharapova erinnern"

Angelique Kerber, die Vorjahressiegerin von Stuttgart, fand die Vergabe "etwas seltsam". Andy Murray erklärte, Dopingsünder wie Sharapova dürften keine Hauptfeld-Garantie für die Grand Slams erhalten: "Sie sollten sich das im Vorfeld wirklich erarbeiten müssen." Die French-Open-Siegerin von 2010, Francesca Schiavone, klagte öffentlich mit Blick auf das Prozedere bis zu den French Open an: "Einige Leute bekommen Wildcards. Aber ich habe wohl nicht so ein Gewicht. Ich zähle nichts."

Spielerinnen wie die ehemalige Nummer eins Caroline Wozniacki oder French-Open-Champ Garbine Muguruza ätzen ohnehin in schöner Regelmäßigkeit gegen Sharapova. "Ich persönlich kann mich nicht einmal an Sharapova erinnern", erklärte die Spanierin, die auch in Stuttgart aufschlägt. Und als die WTA den Tweet "Das Tennis braucht Maria!" absetzte, liefen einige Profis prompt dagegen Sturm. Alice Cornet retweetete vielsagend: "Excuse me?". Beide Tweets wurden im Anschluss wieder gelöscht.

Fakt ist: Masha, der aufgrund ihrer unnahbaren Art von den Kolleginnen schon vor dem Dopingskandal nicht unbedingt gerade die Herzen zuflogen, erhält nun ordentlich Gegenwind. Im Stern äußerte sich Sharapova unlängst zu den Anfeindungen. "Das ist meine geringste Sorge. Daran habe ich keinen einzigen Gedanken vergeudet. Ich weiß, dass ich in meinem Bereich respektiert werde. Ich sehe es, wie sie gegen mich spielen."

Mehr Spieler nahmen Meldonium

Im Times Magazin fragte Sharapova diese Woche dennoch: "Ich habe meine Strafe abgesessen. Also warum lassen sie nicht locker? Gibt es einen Grund, mich weiter zu bestrafen?"

Als der Fall und die Details noch ein bisschen unklarer gewesen seien, habe sich jeder das Recht genommen, sie zu verurteilen. "Aber jetzt, da ich vom CAS, das neutral ist, verurteilt wurde, sage ich stopp. Wenn die Spieler mich weiter kritisieren, dann ist das nicht korrekt."

Das CAS kritisierte in seiner damaligen Begründung, dass der Tennisweltverband den veränderten Status von Meldonium nicht klar genug kommuniziert habe. Sharapova trage dennoch eine Teilschuld, auch wenn die Einnahme des Medikaments kein schwerwiegender Fehler sei. Günstig wurde berücksichtigt, dass sie direkt die Verantwortung übernommen habe.

Wer die mehrseitigen Entscheidungspapiere der CAS durchforstet, stellt fest, dass mehrere Tennisspieler Meldonium zu sich genommen haben. Die US-Amerikanerin Varvara Lepchenko etwa wurde Anfang 2016 gleich viermal positiv auf die nun verbotene Substanz getestet. Lepchenko konnte den Tennis-Weltverband allerdings im Zuge ihres Einspruchs davon überzeugen, dass sie das Herzmittel zuletzt "rund um den 20. Dezember 2015" in Form von Mildronat-Tabletten zu sich genommen hatte.

Sharapova kritisiert ITF

Kurz vor Ablauf der Sperre jedenfalls kritisiert Rückkehrerin Sharapova im Interview mit der Times die Offiziellen der ITF: "Ich bin zwar komplett verantwortlich für die positive Probe und war zu diesem Zeitpunkt etwas selbstgefällig. Aber die Verantwortlichen haben nicht genug getan, um mich aufzuklären und zu warnen. Die ITF wusste von der Einnahme, als ich im November 2015 Fed Cup für Russland spielte. Damals war es ja noch legal. Warum ist da niemand von den Verantwortlichen mal zu mir gekommen?"

Generell sollte einer Weltklasse-Athletin samt Multifunktionsteam zuzutrauen sein, dass sie eine Änderung der Dopingliste selbständig bemerkt. Dennoch sind Sharapova und Lepchenko längst keine Einzelfälle. Marin Cilic war 2013 für neun Monate gesperrt worden, nachdem in einer Probe des damaligen Weltranglisten-24. vom ATP-Turnier in München im April die Psychostimulans Nikethamid festgestellt worden war.

Im Zuge der Ermittlungen kam sogar heraus, dass er in Wimbledon eine Knieverletzung vortäuschte, um nachteilige Berichterstattung zu vermeiden. Der Kroate erklärte damals, das Mittel unwissentlich über Tabletten aus der Apotheke eingenommen zu haben. Nach Ablauf der Sperre gewann er 2014 die US Open.

Tennis und Doping: Wirbel um Cilic und Troicki

Solch einen Erfolg kann Victor Troicki nicht vorweisen. Der exzentrische Serbe sorgte 2013 in Monte Carlo für Wirbel, als er eine Blutprobe verweigert haben soll. Der Internationale Sportgerichtshof reduzierte die Sperre später von 18 auf zwölf Monate. Troicki soll von der zuständigen Ärztin falsch informiert worden sein. Auch Jahre später steht in diesem Fall noch Meinung gegen Meinung.

Als Martina Hingis die Nummer eins wurde

Auch Rafael Nadal sah sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit losen Dopinganschuldigungen konfrontiert. Sei das in der Operation Fuentes, in der der spanische Dopingarzt Eufemiano Fuentes trotz Nadals Aufforderung nicht mit den Namen herausrücken wollte. Oder zuletzt im vergangenen Jahr.

"Wir wissen, dass die Verletzung von Rafael Nadal, wegen der er sieben Monate lang pausiert hat, darauf zurückzuführen war, dass er bei einer Dopingkontrolle positiv getestet wurde", sagte die ehemalige französische Sportministerin Roselyn Bachelot 2016 dem TV-Sender D8. 2012 hatte Nadal wegen einer Knieverletzung über ein halbes Jahr ausgesetzt.

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Die 69-Jährige ging sogar noch einen Schritt weiter und griff den Tennis-Weltverband ITF an. "Wenn ein Tennisspieler mehrere Monate lang aussetzen muss, liegt das daran, dass er positiv auf Doping getestet wurde und dies vertuscht werden soll." Das sei laut Bachelot nicht immer so, aber schon einige Male vorgekommen. Nadals Trainer und Onkel Toni Nadal kündigte an, rechtliche Schritte gegen die Französin prüfen zu lassen.

Turnierdirektor: "Wurde keine Regel für Maria verbogen"

Bei Sharapova blieb es jedoch nicht bei Vorwürfen, sie hat nun eine offizielle Sperre abgesessen, ihren Fehler eingestanden. Darauf und auf das Urteil des CAS berufen sich nun auch die Stuttgarter Verantwortlichen.

"Das CAS befand, sie habe einen Fehler gemacht. Sie ist in diesem Sinne ausdrücklich nicht als Betrügerin bezeichnet worden", erklärte Turnierdirektor Günthard der SZ. Sie habe ihre Schuld öffentlich sofort eingestanden und die Verantwortung dafür übernommen: "Diese Punkte sind Gründe genug, dass sie zurückkommen darf."

Dass Sharapova das Turniergelände erst nach Ablauf ihrer Sperre am Mittwoch betreten darf, sei kein Problem. "Im letzten Jahr hatten wir am Mittwoch fünf Erstrundenspiele. Es wurde keine Regel für Maria verbogen."

Auch die Wildcard-Vergabe sei stichhaltig. "Barbara Rittner selbst hat ja etwas angesprochen, was so falsch nicht ist. Sie sagte, vielleicht hätten die Deutschen besser spielen sollen, dann hätten sie keine Wildcard gebraucht. Wir haben noch eine zweite Wildcard. Diese wird eine Deutsche erhalten."

Rittner gibt Wildcard zurück

Genau um die gab es vergangene Woche im Vorfeld des Fed Cups Wirbel. Bundestrainerin Rittner gab die Wildcard offiziell zurück, weil sie nicht den Richter über ihre Schützlinge spielen wollte. Bei der Pressekonferenz zum Match gegen die Ukraine, das am Wochenende als Großereignis vor dem Großereignis auf dem Centre Court des Porsche Grand Prixs dank einer bockstarken Julia Görges gewonnen wurde, erklärte sie: "Das ist absurd, dass ich mich zwischen Julia Görges und Laura Siegemund entscheiden soll."

Anders als in der Vergangenheit wollte sie nicht über die zweite verfügbare Wildcard entscheiden. "Das sollen Anke Huber und Markus Günthardt machen", sagte Rittner, die sich bereits vor Wochen kritisch zum Umgang mit Sharapova in Stuttgart geäußert hat.

Die gaben Lokalmatadorin und Vorjahresfinalistin Laura Siegemund den übrig gebliebenen Startplatz. Dass Görges, die sich für ihre Nationalmannschaft opferte und zur gefeierten Heldin wurde, keine Qualifikation spielen durfte und als Siegerin von 2011 nun komplett fehlt, stößt einigen Fans übel auf - wird von den Verantwortlichen ob der Strahlkraft Sharapovas aber einkalkuliert.

Sharapova spricht wenig, trainiert viel

Sharapova selbst scheint sich, zumindest nach außen hin, wenig bis gar nicht von diesen Diskussionen beeindrucken zu lassen. Sie spricht wenig, trainiert viel. Im Hintergrund läuft die Marketingmaschinerie fleißig auf Hochtouren. Nur wenige Sponsoren sind abgesprungen. Auch während ihrer Sperre war sie auf ihren sozialen Kanälen präsent. Letzte Woche feierte sie ihren 30. Geburtstag glamourös vor.

Im September erscheint ihre viel beworbene Biographie "Unstoppable", in der sie auch das Thema Doping thematisiert hat. Jetzt richtet sich der Fokus aber aufs Sportliche. Darauf angewiesen wäre sie nicht, die WTA-Tour schon eher.

Eine Gallionsfigur wird nach dem Rückzug von Williams dringend gesucht. Und mit einem langfristigen Duell zwischen Sharapova und Azarenka würden sich die Verantwortlichen der Damen-Tour sicherlich anfreunden können - trotz der dann steigenden Dezibelzahlen.

Maria Sharapova im Steckbrief

von Jannik Schneider

Montag
24.04.2017, 10:54 Uhr