Mats-Merkel-Serie, Teil 5: Nur im Wörterbuch steht Erfolg vor Fleiß
Mats Merkel ist für Adidas als Scout und Coach unterwegs. Bei den US Open hat sich der 33-jährige Deutsche neben seinen Aktivitäten für adidas auch um den Taiwanesen Chun Hsin Tseng gekümmert. Im fünften Teil unserer Serie geht es um den Unterschied zwischen Talent und Potenzial.
von tennisnet
zuletzt bearbeitet:
13.11.2018, 14:09 Uhr
tennisnet: Herr Merkel. Vor vielen, vielen Jahren hieß es, dass Thomas Muster weniger Talent gehabt hätte als Horst Skoff. Dennoch ist der eine, Muster nämlich, die Nummer eins der Welt geworden. Skoff aber nicht. Was bedeutet für Sie Talent im Tennissport? Und was Potenzial?
Mats Merkel: Ich kann mich sehr wohl noch an Thomas Muster erinnern und auch an Horst Skoff, das vorneweg. Talent kann sicherlich über verschiedenste Arten und Weisen definiert werden. Ich bin der Meinung, Talent bedeutet nicht nur, einen guten Touch zu haben. Das bedeutet auch motorische Intelligenz, Lösungen zu finden, für gewisse Spielsituationen Gespür zu haben. Aber auch zu spüren, wann die Belastung für den Körper vielleicht zu hoch ist. Aber Talent kann nicht gleichgesetzt werden mit Erfolg. Ganz viele Spieler, die angeblich talentiert waren, haben es nie geschafft, noch nicht einmal in die Top 100 bei den Herren. Und auch nicht bei den Damen.
tennisnet: Was braucht es dann?
Merkel: Ich glaube, dass Talent im Tennis und auch im Leistungssport überhaupt ein ganz komischer Begriff ist. Ich hatte dieses Jahr das angenehme Vergnügen, mit Michael Berrer ziemlich zusammenarbeiten zu können. Ich schätze ihn sehr, als Mensch und auch als Spieler. Ich finde, dass das Wort Potenzial viel besser passt als Talent. Potenzial bedeutet: Ist jemand perspektivisch oder nicht? Das heißt, hat der Athlet die Fähigkeiten und Fertigkeiten, um im Profisport zu überleben. Und damit meine ich nicht finanzielle, sondern einfach sich weiterzuentwickeln. Und dann natürlich nach oben zu klettern auf der Leiter.
"Dieses Bauchpinseln ist nicht immer das Beste"
tennisnet: So wie Michael Berrer?
Merkel: Mit ihm habe ich darüber diskutiert, wie man Potenzial maximieren könne. Was bedeutet es eigentlich, einem jungen Spieler zu erklären: "Hey, Du hast Potenzial, aber ...". Gerade junge Spiele sind sehr schnell angefressen, wenn man "aber" sagt. "Du spielst gut, aber ..". Nur dieses Bauchpinseln aber ist nicht immer das Beste für Athleten. Weil es gibt viele Spieler, die hart arbeiten, auch abseits des Platzes. Tennis hat sich total professionalisiert. Auch über die letzten sechs bis acht Jahre noch einmal durch die sportmedizinischen Erkenntnisse. Die Teams der Topspieler sind größer geworden, die halten sich einfach länger da oben.
tennisnet: Mit welcher Konsequenz?
Merkel: Man muss den jungen Spielern vermitteln, was es eigentlich bedarf, um überhaupt di e Möglichkeit zu haben, nach oben zu klettern. Und Michael Berrer hat gesagt: "Nur im Wörterbuch steht Erfolg vor Fleiß." An diesen Spruch denke ich ganz, ganz oft, weil er einfach treffend beschreibt, wie die Wirklichkeit aussieht. Du kannst so viel Potenzial haben, wie Du willst - wenn Du nicht die Stunden auf dem Platz verbringst, um gewissen Automatismen zu erstellen, dann wird es einfach schwierig. Und man sagt ja, bis sich ein Bewegungsablauf perfektioniert hat, braucht man 10.000 Wiederholungen. Nur mal angenommen, man spielt 10.000 Vorhand-Volleys in Hüfthöhe, 10.000 Vorhand-Volleys über Schulterhöhe, und so weiter. Da kommen schon einige Schläge zusammen. Dafür braucht man Zeit, Zeit auf dem Platz. Und man braucht Tennislehrer, die einem das wirklich vermitteln. Und die Spaß haben, dies auch zu tun. Man braucht viel mehr als Talent und Potenzial. In erster Linie ein gutes Team, das einen immer wieder daran erinnert, was das Ziel ist, und wie hart dafür gearbeitet werden muss.