Mentale Blockade beim Tennis: Warum Erwartungen der kniffligste Gegner sind
Leidet ihr auch manchmal unter einer mentalen Blockade? Vielleicht helfen die Tipps unseres Tennis-Insiders!
von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet:
05.08.2024, 20:25 Uhr
Er war einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Seine Beiträge zur Logik wurden Bausteine philosophischer Schulen. Man kann natürlich darüber diskutieren, aber Ludwig Wittgenstein hätte meiner Nase nach einen verdammt guten Job als Tennis-Mentaltrainer gemacht.
Auf die Frage, was er mit seiner Philosophie bezwecken wolle, antwortete er: “Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen!”. Das trifft es auch für den Wahnsinn eines Tennismatches ganz gut. Er setzte aber noch einen drauf. Der vielleicht berühmteste Satz von Wittgenstein lautet: “Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.”
Auf dem Tennisplatz passieren viele Dinge, die man einfach nicht in Worte fassen kann. Eine Sache, die uns alle von großartigem Tennis abhält und über die man nur schwerlich sprechen kann, ist die mentale Blockade.
Was ist eine mentale Blockade?
Du startest wie Carlos Alcaraz ins Match. Du führst nach sieben Minuten mit 3:0. Beim Schlag hast du keinen Gedanken im Kopf. Alles läuft. Sogar die Vorhand die Linie entlang sitzt wie ein Maßanzug. Du sitzt auf der Bank, lächelst, entspannst deine Schultern und nippst zuversichtlich von deiner Apfelschorle. Keine 45 Minuten später sitzt du wieder auf der Bank. Es steht 3:6 und 1:4 aus deiner Sicht. Du schaust apathisch Richtung Anzeigetafel. Du hast keine Lust mehr auf Apfelschorle. Du hast auch keine Lust mehr, nochmal von der Bank aufzustehen und weiterzuspielen. Kommt dir das bekannt vor? Keine Sorge, du bist nicht allein. Wir werden uns jetzt mal anschauen, warum du solche Leistungsschwankungen hast und welchen Grund es dafür gibt.
Eine mentale Blockade blockiert das Zusammenspiel zwischen deinen Gedanken und deinen Bewegungen. Du kannst vielleicht noch im Ansatz darüber nachdenken, was du tun solltest. Zum Beispiel einen Aufschlag spielen oder eine Vorhand. Aber eine ideale und fehlerfreie Umsetzung wird durch die Blockade zwischen Kopf und Körper verhindert. Stell dir vor, du stehst an einem Fluss vor einer Brücke. Du willst die Brücke überqueren, weil du auf der anderen Seite des Flusses einen Bierstand mit Freibier siehst. Wenn die Brücke in der Mitte gerissen ist, dann ist der Übergang vom einen Ufer zum Freibier blockiert. Du kommst nicht hinüber. Ähnlich ist das Zusammenspiel zwischen Kopf und Körper beim Tennis. Dein Kopf sendet die Signale an deinen Körper. Zum Beispiel: Ball anschauen, früh ausholen, zum Ball bewegen, Schlag. Wenn diese Übertragung einwandfrei funktioniert, dann funktionieren auch deine Schläge einwandfrei. Das sind dann die Momente im Match, in denen dir alles gelingt. Du aber keine Ahnung hast, warum. Du denkst beim Schlag nicht nach, du spielst einfach.
Liegt allerdings eine mentale Blockade vor, dann ist diese Übertragung zwischen Kopf und Körper entweder gestört oder komplett gerissen. Ein Riss in der Brücke entsteht oft vor dem Match. Bevor du überhaupt den Platz betreten hast. Ein Riss in dieser Brücke entsteht durch viel zu hohe Erwartungen des Spielers an seine eigene Performance im Wettkampf. Es ist nicht selten, dass diese Erwartungen durch sehr gute Trainingsleistungen gerechtfertigt werden. Der Spieler denkt dann zu rational und sagt sich: “Na prima, im Training lief diese Woche alles. Da muss es ja morgen im Meisterschaftsspiel mindestens ähnlich gut laufen - wenn nicht besser!”. Das ist aber ein Trugschluss, der zu maximaler Frustration und zum Karriereende (Zwinkersmiley) führen kann. Training und Match sind zwei komplett verschiedene Sportarten. Diese beiden Sportarten zu vergleichen wäre so, als würdest du beim Basketball ein echtes Ass sein, dich aber für deine Leistungen beim Curling schlechtreden. Curling und Basketball haben ungefähr so viel miteinander zu tun wie eben Tennis im Training und Tennis in einem Wettkampf.
Lass uns das Thema Erwartungen mal genauer betrachten.
Wie entsteht eine Blockade durch Erwartungen im Match?
Stell dir vor, es ist Samstag und du willst all das nachholen, was du in der Woche nicht geschafft hast. Rasenmähen, Einkaufen, mit Freunden und Bekannten einen Grillabend unternehmen. Du planst am Freitag, während du von der Arbeit in deinem Golf nach Hause fährst, was du am Samstag alles machen willst. Du packst dir deinen Samstag so voll, dass du dann am Samstagmorgen vollkommen apathisch vor deiner Kaffeemaschine stehst und gar keinen Plan mehr hast, womit du jetzt überhaupt anfangen sollst. Rasenmähen? Doch lieber erst Einkaufen, weil es sonst zu warm wird? Ach, Rasenmähen sein lassen, um Zeit zu sparen?
Ein ähnliches Phänomen erleben wir beim Tennis. Vor einem Meisterschafts- oder LK-Turnier-Match packst du deine Tennistasche voller Erwartungen an deine Performance. Das ist verständlich. Denn wer will schon schlechtes Tennis spielen und sich vor Publikum mit einem 0:6 und 1:6 blamieren? Es ist menschlich und wichtig, sich vor einem Match gründlich vorzubereiten. Die Geschichte geht allerdings nach hinten los, wenn du deine Tennistasche mit zu vielen und meist auch unrealistischen Erwartungen füllst. Dann passiert dir im Match exakt dasselbe wie am Samstagmorgen vor der Kaffeemaschine. Du weißt nicht mehr, wie du bei der Vorhand ausholen und den Ball anschauen sollst. Dein Aufschlag ist verkrampft. Dein Körper fühlt sich fremd an, weil er wie eingefroren ist. Du bewegst dich wie ein Kühlschrank. Dein gesamter Körper kann keine lockeren Schwungbewegungen mehr ausführen, weil dein Kopf zu voll ist und eine mentale Blockade entstanden ist. Doch warte, da stehst du ja schon auf dem Platz und musst den aussichtslosen Kampf gegen dich selbst führen. Wir überlegen im nächsten Abschnitt, wann eine mentale Blockade einsetzt und was du bereits vor einem Match dagegen tun kannst.
Erwartungen und der Kopf: Wann setzt die Blockade im Match ein?
Weinend saß er auf der Bank im riesigen Arthur-Ashe-Stadium.
Ein Blick Richtung Anzeigetafel verriet ihm: Das Match ist gelaufen. Niemand im weiten Rund hätte auch nur im Traum daran gedacht, dass er scheitern könnte. Aber die Zuschauer wussten zuvor nicht, dass er an diesem Abend selbst zu seinem größten Gegner werden sollte.
Novak Djokovic verlor im US Open Finale 2021 nicht nur gegen einen bärenstarken Daniil Medvedev, der jeden Ball fehlerfrei zwei Millimeter vor die Grundlinie spielte. Der Djoker verlor, vielleicht zum ersten Mal, gegen sich selbst. Genauer gesagt verlor er gegen seine Erwartungen. Er wollte sich zum erfolgreichsten Tennisspieler aller Zeiten krönen. Es war ein großes Match für seine Karriere. Und er zerbrach an seinen Erwartungen.
Die mentale Blockade setzt dann ein, wenn die zuvor geschürten Erwartungen mit der Realität auf dem Platz kollidieren. Viele Clubspieler schustern sich vor ihren Wettkampfspielen einen Matchplan zurecht. Sie wollen wenig Fehler machen, aggressiv spielen, mit einer 85 % Quote servieren, die Chancen im Ballwechsel erkennen und nutzen und obendrein mental stark über 120 Minuten bleiben. Ganz schön viel für einen einzelnen Spieler, oder? Ist ein solcher Matchplan realistisch? Kann man all diese Punkte im Wahnsinn eines Tennismatches perfekt umsetzen? Ich würde sagen: Das wird schwierig. Sobald zwei oder drei Punkte eines solchen Matchplans nicht funktionieren, setzt die mentale Blockade beim Spieler ein. Da die eigenen Erwartungen so exorbitant hoch waren und die Leistung auf dem Platz so stark schwankend ist, setzt im Kopf ein Kurzschluss ein. Das kann auf unterschiedliche Weise passieren. Der Spieler kann in eine gedankliche Negativspirale geraten. Er kann in eine Emotion geraten, in der ihm alles egal ist und er das Match ab schenkt. Der Spieler kann aber auch in einen smoothen Zustand der Apathie geraten, indem er schlicht nicht mehr weiß, was er im Match tun soll. Taktik, Matchplan und zuvor festgelegte Spielzüge sind dann aus dem Kopf gelöscht. Wenn die eigenen Erwartungen so viel Einfluss auf den mentalen Zustand im Match haben, was kannst du dann vor einem Match tun? Lass uns jetzt schauen, wie eine mögliche Lösung für ein mental starkes Tennis ausschauen könnte.
Was kann man gegen eine mentale Blockade tun?
Das entscheidende Werkzeug für ein mental starkes Tennis ist die Einstellung, mit der der Spieler den Platz betritt. Klingt humorlos und furchtbar unerotisch, das stimmt. Aber das ist eines der Geheimnisse. Alles, was auf dem Platz und im Match passiert, liegt nie zu 100 % in der Kontrolle des Spielers. Der Tennissport ist ein Sport, in dem der Spieler nur über ganz wenige Bereiche die volle Kontrolle hat. Das bedeutet, dass du nur ganz wenige Variablen für dich nutzen kannst. Du hast zum Beispiel keinen Einfluss darauf, wie sich dein Gegner verhalten wird. Gibt er dir zu viele Bälle Aus? Ist er unsportlich? Du hast auch keinen Einfluss auf den Wind, Nieselregen oder den Platz. Du hast nicht mal zu 100 % Kontrolle darüber, wie du dich nach den ersten drei Aufschlagspielen oder nach dem ersten Satz fühlen wirst. Du merkst schon, es gibt nur wenige Bereiche, über die du dir wirklich Gedanken machen kannst. Je besser du verstehst, dass du nur wenige Bereiche im Match beeinflussen kannst, desto geringer ist die Chance eine mentale Blockade im Match zu erleiden.
Hier ist eine kleine Liste mit Bereichen, über die du im Wettkampf-Wahnsinn die 100 %-ige Kontrolle hast:
* deine Reaktion auf leichte Fehler
* deine Reaktion auf starke Schläge des Gegners
* deine Reaktion auf Netzroller des Gegners bei 4:4 und 30:30
* Entspannung und positive Selbstgespräche zwischen den Ballwechseln und beim Seitenwechsel
Bereits ein kurzer Blick hat dir verraten, dass du im Kern nur auf deine Reaktionen zu 100 % Einfluss hast. Du hast keinen Einfluss darauf, was dir im Match passieren wird. Aber du hast jederzeit im Match die Wahl, wie du auf diese Umstände reagierst. Das ist ein mächtiges mentales Werkzeug.
Du gehst mit einer gesunden Einstellung auf den Platz, wenn du ärgerliche Fehler, starke Phasen des Gegners und Ups und Downs erwartest. Ich weiß, das ist das komplette Gegenteil von dem, was du normalerweise vor einem deiner Matches denkst. Aber denk nochmal genau darüber nach. Ist es für dein Leistungsvermögen nicht besser, wenn du mit viel weniger Erwartungen und damit auch mit viel weniger Druck ins Match gehst? Den Druck verspürst du eh. Zuschauer, Teamkollegen, Freunde und Verwandte. Du willst all diese Leute nicht enttäuschen und du willst ganz sicher keine Niederlage mit nach Hause bringen. Das heißt, du nimmst in jedes Match einen natürlichen Erwartungsdruck mit. Wenn du jetzt noch beginnst, unrealistische Erwartungen an deine Performance zu stellen, dann kannst du dich in vielen Phasen eines Matches nur wie gelähmt fühlen. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, weil du kein Tennisroboter bist.
Deine Aufgabe ist es, dein kommendes Match gedanklich so realistisch wie möglich durchzugehen. Schmiede Matchpläne, die du in deinen Schwächephasen einsetzen kannst. Überlege dir, auf welche Bereiche du wirklich zu 100 % Einfluss hast und konzentriere dich nur auf diese. Überlege dir, wie du die Pausen zwischen den Ballwechseln und beim Seitenwechsel für innere Ruhe und Konzentration nutzen kannst.
Zusammenfassung
Das war einiges an Tennis-Mentalstoff für das Köpfchen. Damit du vor lauter Informationen nicht orientierungslos dein Smartphone zur Seite legst, gebe ich dir zum Schluss dieses Artikels noch einen kleinen Fahrplan mit.
Hier ist unsere Zusammenfassung:
* eine mentale Blockade stört das Zusammenspiel zwischen Kopf und Körper. Du spielst das nicht mehr das, was du zuvor im Kopf hattest
* jede mentale Blockade hat ihren Ursprung vor einem Match - nicht während des Matches. Im Match wird die Blockade ausgelöst. Sie entsteht aber, bevor du den Court betrittst
* die eigenen Erwartungen an die zukünftigen Leistungen auf dem Platz sind der Ursprung der Blockade, die dann auf dem Platz ausgelöst wird
* fahre deine Erwartungen herunter und akzeptiere, dass du bei einem Tennismatch nur auf ganz wenige Bereiche zu 100 % Einfluss hast
* entwickle einen Matchplan für deine Schwächephasen
Mit diesen fünf Punkten sollte es dir in Zukunft gelingen, mentale Blockaden zu vermeiden und ein Tennis mit einem lockeren Ärmchen zu spielen.
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