"Die Spieler müssen mehr von sich geben"

Er gewann 1991 das Wimbledon-Finale gegen Boris Becker und war einst die Nummer 2 der Welt: Michael Stich. Im Interview spricht der 48-Jährige über die rasante Entwicklung von Alex Zverev, das Comeback von Roger Federer, Probleme mit der Identifikation der Fans und die Herausforderungen eines Turnierdirektors. Stich fordert zudem, in Zukunft wieder größere Unterschiede zwischen den Belägen zu schaffen.

von Interview: Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 27.12.2016, 13:53 Uhr

Michael Stich hat sich 1991 zum Wimbledon-Champion gekrönt

tennisnet.com: Herr Stich, der letzte Eindruck des Tennisjahres 2016 war das dramatische Davis-Cup-Finale in Zagreb. Dennoch gibt es Bestrebungen, etwas am bekannten Format zu ändern. Wie sehen Sie den aktuellen Zustand des Davis Cups, was würden Sie ändern?

Michael Stich: So ein Davis-Cup-Finale zeigt natürlich genau, was für Geschichten dieser Wettbewerb schreibt. Das ist es, was ihn ausmacht. Die Belastung, die die Spieler monieren, die dafür vier Wochen im Jahr opfern müssen, um für ihr Land zu spielen, kann ich bedingt nachvollziehen. Da ging es uns nicht anders. Für uns war der Davis Cup aber immer eine der wichtigsten Veranstaltungen, weil wir für unser Land spielen konnten. Ich persönlich habe das selten als Mehrbelastung empfunden. Wenn man natürlich über das Jahr hindurch sehr erfolgreich und damit auch viel gespielt hat, war es eine größere Herausforderung. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es möglich ist, den Modus nachhaltig zu verändern, ohne die Historie zu verwässern.

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tennisnet.com: Bis 2015 hat es für Siege im Davis Cup Weltranglistenpunkte gegeben. Könnten Sie einer Rückkehr dazu etwas abgewinnen?

Stich: Von dieser Idee bin ich kein Freund, weil ich das aus der Sicht des Turnierveranstalters sehe. Und ich sehe, dass, wenn die Spieler überall wie bei Olympischen Spielen und im Davis Cup Punkte bekommen können, natürlich die Notwendigkeit immer mehr abnimmt, die großen Turniere zu spielen. Ich wäre für etwas ganz anderes, nämlich dafür, dass es bei Turnieren wieder Bonuspunkte dafür gibt, wenn ein Spieler, der an Position 30 steht, die Nummer zwei der Welt schlägt. So, wie es früher der Fall war. Bonuspunkte für Siege gegen Top-Spieler, das ist ein zusätzlicher Anreiz und Motivation für die Spieler, die etwas niedriger stehen.

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tennisnet.com: Sie haben als Turnierveranstalter der German Open in Hamburg 2016 unter der gleichzeitigen Ansetzung des Davis-Cup-Viertelfinales aufgrund der Olympischen Spiele sehr gelitten. Wie lassen sich derartige Terminkonflikte in den kommenden Jahren vermeiden?

Stich: Ich habe versucht, mit allen Beteiligten zu sprechen und meine Sichtweise darzulegen. Die Probleme wären sicherlich vermeidbar gewesen, weil man vier Jahre lang Zeit hatte, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Das heißt, es wäre eine grundsätzliche Überlegung, ob man in Jahren mit Olympischen Spielen den Davis Cup überhaupt spielt oder ob man aussetzt. Ich weiß allerdings nicht, ob das nicht einen zu großen Einschnitt bedeuten würde. Nur: So, wie es in diesem Jahr für uns war, sollte es sich auf keinen Fall wiederholen. Bei uns haben von 24 Spielern, die gemeldet hatten, zwölf kurzfristig abgesagt. Und das ist für ein ATP-500-Turnier und für das, was wir investieren, inakzeptabel. Ich glaube auch, dass die ATP-Regeln so ein Verhalten nicht hergeben. Aber da gibt es unterschiedliche Interpretationen. Grundsätzlich sollte ein Spieler nicht ein Turnier melden können, um dann zwei Tage vor Turnierbeginn wieder rauszuziehen - und dann ein anderes Turnier zu spielen. Diese Regel muss definitiv geändert werden. Zumal die meisten Spieler sechs Wochen vor dem Davis Cup höchstwahrscheinlich ja auch schon wissen, ob sie nominiert werden oder nicht.

tennisnet.com: Wie sehen Sie denn die mittelfristige Zukunft der German Open in der Sportstadt Hamburg - gerade auch in Hinblick auf die vielen Probleme finanzieller Natur, die etwa den Hamburg Freezers oder dem HSV Handball zum Verhängnis geworden sind?

Stich: Man kann natürlich jetzt alle Probleme nennen. Man kann aber auch sagen: es gibt die German Open am Rothenbaum, das Spring- und Dressur-Derby, es gibt den Triathlon, es gibt den Marathon, es gibt die "Cyclassics", es gibt so viele Sportevents in dieser Stadt, die toll und erfolgreich sind. Wir dürfen uns nicht immer nur an den zwei, drei Negativbeispielen aufhängen. Es gibt ein ganz klares Bekenntnis der Stadt Hamburg zum Tennisturnier und auch zur Sportart Tennis. Ich glaube auch, dass wir mit unserer langen Tradition und Geschichte, 2017 ist es die 111. Auflage, auch ein großes Alleinstellungsmerkmal haben. Wir tragen die Marke Hamburg nach außen in die Welt, von daher stellen wir auch für die Menschen in unserer Stadt eine große Bereicherung dar.

tennisnet.com: Alleine der Austragungszeitpunkt ist ein Problem.

Stich: Der Kalender ist, wie er ist. Dadurch, dass Wimbledon eine Woche zurückgegangen ist, wurde die historische Sommer-Sandplatz-Saison verkürzt. Das ist sehr schade. Alle wissen aber, dass sich bei weitem nicht alle europäischen Spieler in Washington auf die Hartplatz-Saison vorbereiten. Von den Top-Leuten spielen die wenigsten in Washington. Wir stehen also gar nicht in direkter Konkurrenz zu diesem Turnier. Es ist einfach ganz allgemein eine Frage des Kalenders.

tennisnet.com: In den letzten Jahren haben mit Roger Federer und Rafael Nadal zwei der ganz großen Superstars am Rothenbaum aufgeschlagen. Sehen Sie in der kommenden Generation Spieler, von denen Sie als Turnier-Veranstalter sagen können: die bringen garantiert Zuschauer in die Ränge?

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Stich: Das ist ganz schwer zu sagen, weil die arrivierten Spieler in der Weltrangliste immer noch ganz vorne stehen. Kei Nishikori etwa liegt genau mitten drin: Er ist nicht mehr ganz jung, aber auch keiner von den Älteren. Milos Raonic gehört auch zu dieser Generation, Gael Monfils und Jo-Wilfried Tsonga hingegen sind schon älter. Das heißt, dass ein Nick Kyrgios, ein Grigor Dimitrov, logischerweise Alexander Zverev und natürlich auch Dominic Thiem in die Fußstapfen treten müssen. Das wird auch passieren, wenn die anderen abtreten. Aber Novak Djokovic und Andy Murray werden sicher noch eine Weile spielen, bei Rafael hängt es von der Gesundheit ab. Aber es wird wie so oft in der Geschichte des Tennissports ein fließender Übergang zwischen den Generationen werden.

tennisnet.com: Nishikori ist in Asien ein Held, weltweit besitzt er nicht so großen Star-Appeal. Was fehlt ihm, was fehlt vielleicht mehreren Spielern dieser Generation?

Stich: Die Spieler müssen von sich einfach ein bisschen mehr geben. Das gilt für alle. Natürlich sind sie jetzt in einem Dilemma, dass es drei, vier Top-Spieler gibt, die das Tennis seit zehn, zwölf Jahren beherrschen - und niemanden "reingelassen" haben. Nishikori war kurz davor. Wenn er die US Open gewonnen hätte, dann hätte er diesen Schritt gemacht. Aber die Jungs müssen sich insgesamt interessanter machen. Es reicht heutzutage aus meiner Sicht nicht, nur gut Tennis zu spielen. Man muss schon auch außerhalb des Platzes Geschichten erzählen. Man muss auch einmal ein kritisches Auftreten haben. Deshalb ist Nick Kyrgios jemand, über den die Menschen berichten und schreiben. Weil er auch eine Meinung äußert, weil er nicht so kompatibel ist mit den anderen. Diese Unterschiede gilt es herauszuarbeiten, damit sich die Fans jemanden aussuchen können, mit dem sie sich identifizieren. Aber das fällt ja bei Federer, Djokovic, Nadal und Murray schon schwer. Sie sind allesamt herausragende Tennisspieler und Sportler. Aber dass man sich an ihnen reiben kann, das haben sie alle nicht.

tennisnet.com: Alexander Zverev ist auch ein Mann, der von der Norm abweicht. Er hat in Hamburg mit dem Halbfinaleinzug 2014 eine erste Duftmarke gesetzt. Wie sehen Sie seine Perspektiven 2017?

Stich: Um das zu beurteilen, bin ich nicht nah genug an ihm dran. Alexander hat ein tolles Jahr 2016 gespielt, das steht völlig außer Frage. Er hat eine sehr konstante und dennoch rasante Entwicklung genommen. Ich hätte ihm das in dieser Geschwindigkeit nicht ganz zugetraut, aber er arbeitet in einem extrem professionellen Umfeld. Er ist sehr fokussiert, wird sich aber 2017 auch erstmals beweisen müssen. Er ist jetzt nicht mehr der Newcomer, jeder will gegen ihn gewinnen. Und es weiß jetzt jeder, was auf einen zukommt. Zverev muss mit der eigenen Erwartungshaltung zurechtkommen. Nach oben zu kommen, ist vergleichsweise einfach, oben zu bleiben, das ist das Schwierige. Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass er den Schritt unter die Top 20 macht.

tennisnet.com: Sehen Sie spielerisch ein Limit bei Zverev?

Stich: Dafür habe ich ihn dann doch zu selten gesehen, da möchte ich mir kein Urteil erlauben. Ich glaube immer noch, dass er körperlich Potenzial hat, sich weiter zu entwickeln. Er ist extrem groß und schlaksig, da erinnert er mich ein wenig an mich in dem Alter. Aber er ist sehr professionell und hat dafür seinen Fitness-Trainer. Am Aufschlag kann man sicherlich noch arbeiten und am Volley - es ist ja auch bei Roger Federer oder Rafael Nadal trotz aller Erfolge noch Luft da, sich zu verbessern. Also sicherlich auch bei Alexander Zverev.

tennisnet.com: In einer Ära der "Super-Coaches" fragt man sich, ob Sie sich von vornherein aus der Verlosung genommen haben. Oder ist einfach noch nicht das richtige Angebot gekommen?

Stich: Es gab ja mal ein Projekt, als Andy Roddick noch gespielt hat. Da hatten wir Gespräche. Aber ich muss ehrlich sagen, ich wäre nicht in der Lage und hätte auch keine Lust, 25 Wochen im Jahr um die Welt zu reisen. Das ist nicht mein Lebensweg. Ich habe sehr viel mit Mischa Zverev und Tobias Kamke in Hamburg trainiert. Da habe ich schon eine Form der Förderung wahrgenommen und mich eingebracht.

http://tennisnet.comtennisnet.com: Andy Roddick ist ein Jahr jünger als Roger Federer. Der kommt jetzt nach einem halben Jahr Pause zurück. Was trauen Sie ihm zu?

Stich: Ich kann nicht beurteilen, wie er jetzt drauf ist. Aber man hat ihn schon einige Male abgeschrieben und gesagt, die Federer-Zeit sei vorbei. Aber dann hat er doch wieder Halbfinals oder Finals bei den Grand Slams gespielt, auch wenn er sie nicht gewonnen hat. Wer so weit kommt, der kann auch einen Majortitel holen. Aber das hängt davon ab, wie Roger physisch und mental in Form ist. Hier jetzt Prognosen abzugeben, wäre ungerecht. Aber es ist auf der anderen Seite natürlich sehr spannend, zu sehen, wie er zurückkommt.

http://tennisnet.comtennisnet.com: Sie haben als Turnier-Direktor im letzten Jahr Marvin Möller und Louis Wessels mit Wild Cards gefördert. Welche Schritte müssen diese Teenager nun als nächstes nehmen, um im Profitennis Fuß zu fassen?

Stich: Erstmal muss man sagen, dass Alexander Zverev auch in dieser Hinsicht eine absolute Ausnahme ist. In so jungen Jahren schon so weit vorne zu stehen, ist heutzutage eigentlich nicht mehr möglich, weil das Spiel so physisch geworden ist, dass die jungen Spieler diese Fähigkeiten noch nicht haben können. Und es gibt nur sehr wenige Teenager, die über die spielerischen Elemente und das Spielverständnis verfügen, um das ausgleichen zu können. Ich glaube, die Jungs müssen noch härter und professioneller arbeiten. Dennoch muss man ihnen Zeit geben, weil der Eintritt in die Top 100 heutzutage nicht mehr mit 18, 19 Jahren, sondern mit 22 oder 23 üblich ist. Sie dürfen sich nicht verrückt machen lassen. Aber die Konkurrenz da draußen ist groß. Und: man muss auch in sich selbst investieren und kann nicht immer nur nach Förderung von draußen schreien.

tennisnet.com: Die Australian Open stehen an, gespielt wird auf Hardcourt. Einem Belag, der sich von der Spielweise her nicht so eklatant von anderen unterscheidet wie noch zu Ihrer Zeit. Wie sieht da die Zukunft aus Ihrer Sicht aus?

Stich: Wenn wir Tennis wieder interessanter machen wollen, muss es wieder mehr in Richtung Unterschiede zwischen den Belägen gehen. Sagen wir es einmal so: Ein Rafael Nadal hätte zu unserer Zeit niemals Wimbledon gewonnen. Nicht, weil er ein schlechter Tennisspieler ist, sondern weil der Belag viel schneller war und seinem Spiel einfach nicht entgegen gekommen wäre. Deswegen sind damals Thomas Muster oder Sergi Bruguera gar nicht nach Wimbledon gefahren, weil sie wussten, sie haben eh keine Chance, dort zu gewinnen. Ganz so weit muss man ja nicht gehen, aber ich finde, man sollte schon wieder Unterschiede erkennen. Die Beläge sind viel zu ähnlich. Und damit auch das Tennis: Es wird überall von hinten gespielt. Man kann an den Bällen arbeiten, am Untergrund. Gerade weil sich auch das Material über die letzten Jahre so verändert hatte, sollte man die verschiedenen Spielstile wieder fördern. Und das geht nur durch unterschiedliche Beläge.

http://tennisnet.comtennisnet.com: Was erwarten Sie abschließend vom ersten Grand-Slam-Turnier 2017 in Melbourne?

Stich: Wir sagen immer gerne, warum nicht ein Außenseiter? Aber das hat in den letzten zehn Jahren nicht funktioniert. Von daher wünsche ich mir schon, dass ein Nishikori, ein Raonic, selbst ein Kyrgios in seinem Heimatland eine Überraschung zustande bringt. Aber sicherlich sind die Etablierten wieder die großen Favoriten. Federer und Nadal sind die großen Unbekannten, Murray und Djokovic der engste Favoritenkreis. Ich würde mir wünschen, dass Nick Kyrgios ins Halbfinale käme, weil das gut für das Tennis wäre, gut für Australien, mal wieder einen Spieler weit vorne in einem Grand-Slam-Turnier zu haben.

Die Weltrangliste im Überblick

von Interview: Jens Huiber

Dienstag
27.12.2016, 13:53 Uhr