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Nick Kyrgios in Wimbledon: Noch keiner wie Rudi Carrell

Es war mal wieder eine absurde Vorstellung, die Nick Kyrgios am Dienstagmittag gegen Jordan Thompson ablieferte. Aber: Wimbledon bekommt es nun, das Knaller-Duell Kyrgios gegen Nadal.

von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet: 02.07.2019, 21:00 Uhr

Nick Kyrgios
© Getty Images
Nick Kyrgios

Braucht das Tennis wirklich Nick Kyrgios? Es ist die oft gestellte Frage - mit verschiedenen Ansichten. Tatsache ist: Mehr Unterhaltung als in einem Kyrgios-Match geht kaum. Die Frage sollte vielleicht eher lauten: Braucht Kyrgios das Tennis, die Bühne?

Im Spiel gegen Landsmann Thompson hatte man fast den Eindruck. Kyrgios spielte sich recht lustlos ein, er wirkte, als sei er gerade erst aufgestanden, sei widerwillig geweckt worden von einem pflichtbewussten Wimbledon-Mitarbeiter, der ihn daran erinnerte, dass da gleich ein Match ansteht.

Mehr Glück als Verstand - zu Beginn

Kyrgios ("Ich war heute sehr motiviert") wirkte fast den kompletten ersten Satz, als suche er den Spaß, irgendeine Art der Lust am Tennisspiel, und er fand beides zunächst nicht. Sinnfreie Frontal-Tweener fielen tief ins Netz, und die Versuche des hoffnungsfrohen Publikums, Kyrgios irgendwie zu wecken, wollten nicht fruchten. Weder die Zuschauer noch Kyrgios selbst kamen an Kyrgios ran, 5:2 führte schließlich der Gras-Arbeiter Thompson, der gar nicht erst zu zaubern versuchte, sondern humorloses Hausmannskost-Tennis spielte, Stopps geduldig ausgrub, die Bälle simpel verteilte und ab und an ans Netz aufrückte und abvollierte.

Beim Satzball drehte sich das Match. Kyrgios rettete sich zunächst mit einem Netzroller beim zweiten Aufschlag zu einer Wiederholung, diese feuerte er mit einem 210 km/h-Ass rüber zum Einstand – und zum Entsetzen Thompsons. Kurz darauf stand es 5:5. Den restlichen Satz bespielte Kyrgios das Publikum mit Gesprächen, Witzen und Verrenkungen und schnappte sich den Tiebreak mit 7:4. Und fing dann endlich an, Tennis zu spielen.

Kyrgios wollte plötzlich gewinnen, die Kyrgios-Show hatte endlich begonnen – und ließ wenig vermissen. Kyrgios gab mal den sterbenden Schwan, im nächsten Moment feierte er einen Punktgewinn wie einen Homerun, kurz später schoss er einen Ball aus dem Stadion und diskutierte mit dem Schiedsrichter über eine zu laute Frau mit einer zu großen Kamera.

Nach dem Hardcore-Tiebreak in Satz drei, den Kyrgios mit seinem achten (!) Satzball zum 12:10 für sich entschied, wirkte er komplett platt, schwach wie eine Flasche leer, das folgende 0:6 in Satz vier dauerte gerade mal 20 Minuten (Kyrgios verkaufte diese Auszeit im Anschluss als Taktik). Das Schöne: Kyrgios wollte nun gewinnen, die ehrliche Faust, sie kam beim Break zum 3:1 im fünften Satz, und nach dem verwandelten Matchball lagen sich Kyrgios und Thompson in den Armen, gezeichnet vom letztlich dreieinhalb-stündigen Highlight des bisherigen Turniers.

Beruf verfehlt – oder kann man da was verbinden?

Was aber soll man davon halten? Kyrgios bezeichnete sich kürzlich erst als Entertainer, und vielleicht passt diese Jobbeschreibung besser auf ihn als die des Tennisprofis. Denn Kyrgios wirkte heute tatsächlich wie ein Showmaster: Zu Beginn wie einer, dem der Auftakt gründlich misslungen war, Mikrofon-Ausfall und miserable Gäste inklusive. Der dann mit einem glücklichen Gag die Kurve bekam, die Laufzeit der Show aber konditionell fast nicht durchhielt.

„Showmaster ist mein Beruf, ein Beruf, ein Beruf, den der Teufel schuf“, sang schon der große Rudi Carrell, der harte Arbeiter des Fernsehens, der nur auf der Bühne wie ein entspannter Onkel Lustig daherkam. Aber von dem sich Entertainer Kyrgios eben genau das abschauen kann, sollte er es ernst meinen: die harte Arbeit eben. "Willst du ein Ass aus dem Ärmel ziehen, musst du zuvor erst eines hineinstecken", hatte Carrell einst gesagt.

Auf's Tennis bezogen: Auch ein Akteur wie Roger Federer pflegt die harte Drecksarbeit hinter den Kulissen, wenn die Kameras aus sind – um auf dem Court den Maestro zu geben. Ob Kyrgios diese Aufgabe irgendwann annehmen wird? Es ist unwahrscheinlich.

Klar ist aber auch: Wimbledon hat nun, was es wollte – den Zweitrunden-Hammer Kyrgios gegen Nadal. Vermutlich zur Prime Time am Donnerstag, im ganz großen Freiluft-Studio, auf der bekanntesten Showbühne der Tenniswelt: dem Centre Court.

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von Florian Goosmann aus Wimbledon

Dienstag
02.07.2019, 20:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 02.07.2019, 21:00 Uhr

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