Große olympische Gefühle und große Diskrepanz
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
15.08.2016, 16:15 Uhr
Was war das für ein emotionales und historisches olympisches Tennisturnier in Rio de Janeiro! Neun Tage großes Tennis und Gefühlskino haben wir am Zuckerhut in Brasilien gesehen. Wer nach diesen Wettkämpfen immer noch meint, dass Tennis nicht ins olympische Programm gehört, dem ist nicht zu helfen. Das war Werbung für den Tennissport. Olympia schreibt immer wieder die schönsten Geschichten und beweist, dass es eigene Gesetze hat. Wer hätte bitteschön mit der sensationellen Olympiasieg für Monica Puig gerechnet?! Dass die 22-Jährige die erste Goldmedaille überhaupt für Puerto Rico gewann, macht diese Geschichte noch schöner. Und der Sieg von Puig war hochverdient, vor allem in der Art und Weise, wie sie im gesamten Turnier gespielt hat, war herausragend. Puigs Märchen wäre beinahe noch getoppt worden durch den Traumlauf von Juan Martin del Potro, der nicht Gold verlor, sondern eine nicht für möglich gehaltene Silbermedaille gewann - und das als Nummer 141 der Welt.
Tränen der Freude und der Enttäuschung
Die Freudentränen von Puig und del Potro bleiben genauso in Erinnerung wie die Tränen von Novak Djokovic, der als klarer Favorit ohne Medaille aus Rio de Janeiro abreiste. Auch dass Serena Williams ohne Edelmetall blieb, ist eine Geschichte, die man nicht erwarten durfte. Im Vorfeld des Turniers wurde viel darüber diskutiert, welchen Stellenwert Olympia für die Tennisspieler hat. Viele Herren blieben dem Turnier fern, teilweise wegen Unlust, weil es keine Weltranglistenpunkte gibt. Einige Spieler und Spielerinnen führten den Zika-Virus als Absagegrund an oder gaben Verletzungen an, die sich nun als nicht allzu schlimm herausstellen. Schade darum, dass diese Spieler und Spielerinnen ihre ganz persönlichen olympischen Momente verpasst haben.
Wenn man sich die Freude von den Spielern während des olympischen Tennisturniers ansieht, dann muss man festhalten: Tennis ist ein großer Bestandteil von Olympia und muss es auch bleiben. Rafael Nadal strahlte um die Wette, als er als Fahnenträger von Spanien ins legendäre Maracana-Stadion einlief. Und er strahlte erst recht, als er mit seinem Kumpel Marc Lopez die Goldmedaille im Doppel gewann. Wie wichtig diese Olympischen Spiele für Nadal waren, sah man ihm jederzeit an. Für die Russinnen Ekaterina Makarova und Elena Vesnina ging ein Kindheitstraum in Erfüllung, als sie die Goldmedaille gewannen. Die "Notkombination" Martina Hingis und Timea Bacsinszky holte sich Silber. Für die erfolgsverwöhnte Hingis war dies ein ganz besonderer Moment. Und schaut man sich auch die Medaillengewinner im Mixed an, dann war in den Gesichtern nur die pure Freude und Stolz zu sehen.
Spieler lieben Olympia, Medien nicht
Olympia hat für die Tennisspieler nur wenig Bedeutung, diese These wird immer wieder herausgekramt. Doch diese Olympischen Spiele in Rio de Janeiro haben gezeigt, wie wichtig den meisten Spielern und Spielerinnen diese olympischen Momente sind. Vielleicht ist es auch ein von den Medien hochgepushtes Thema, dass olympisches Tennis nur wenig Glanz versprüht. Man hat während der letzten neun Tage den Eindruck gewonnen, dass es umgekehrt ist. Während die Spieler Tennis bei Olympia lieben, interessieren sich die Medien nicht allzu groß für den "weißen Sport" bei Olympischen Spielen. Die internationale Berichterstattung über Tennis war sehr mau, dabei schrieb dieses Turnier so viele schöne, emotionale und skurrile Geschichten, weitaus mehr als bei manchen Grand-Slam-Turnieren. Bei olympischen Tennisturnieren ist das Presseaufgebot nicht so groß wie den Grand-Slam-Turnieren, viele Tennisjournalisten können und dürfen aus diversen Gründen bei Olympia nicht dabei sein. Das darf aber kein Grund dafür sein, so wenig über dieses Turnier zu berichten.
Was auch aufgefallen ist: Das Turnier fand in den sozialen Medien kaum statt. Wer die vielen dramatischen und hochklassigen Spiele verpasst hat und sich später einige Höhepunkte anschauen wollte, der sah in die Röhre. Versucht mal, euch die Höhepunkte vom Halbfinale zwischen del Potro und Nadal anzuschauen! Es wird ein schwerer Weg, überhaupt etwas zu finden, vor allem offizielle Quellen. Aufgrund der Rechtesituation gab es nach den Matches im Internet keine bis kaum Bewegtbilder vom Turnier zu sehen, sodass man diese emotionalen und historischen Momente nicht noch mal genießen konnte, so oft man möchte. Das ist sehr schade, vor vier Jahren bei den Olympischen Spielen in London war dies noch möglich.
Respetkloses Publikum und oft leere Ränge
Insgesamt wurde das olympische Tennisturnier medial schlecht in Szene gesetzt, worunter die Spieler dann leiden mussten, die teilweise nicht genügend Wertschätzung bekamen. Jedes kleinere ATP- und WTA-Turnier macht da einen besseren Job als Olympia. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Zuschauerinteresse in Rio de Janeiro. Bei vielen Matches, vor allem bei den Finals im Damen-Doppel und Mixed, wirkte das Stadion gespenstisch leer. Auch beim hochklassigen Damenfinale zwischen Monica Puig und Angelique Kerber blieben zahlreiche Plätze leer. Das war jedoch kein Tennisproblem, sondern eine allgemeine Beobachtung in Rio de Janeiro. Was sauer aufgestoßen ist, sind auch die brasilianischen Zuschauer, die sich bei Matches von Brasilianern gegenüber den Gegnern sehr respektlos verhalten haben, das mussten unter anderem Dustin Brown und Rafael Nadal erfahren, als sie gegen Thomaz Bellucci spielten. Aber auch Juan Martin del Potro wurde gnadenlos ausgepfiffen, nur weil er Argentinier ist. Das brasilianische Publikum war sogar noch schlimmer als das Pariser Publikum bei den French Open.
In Erinnerung sollten aber die vielen schönen olympischen Momente in Rio de Janeiro bleiben. Die neun Tage am Zuckerhut haben Lust auf das olympische Tennisturnier 2020 in Tokio gemacht, wo es mit Lokalmatador Kei Nishikori vielleicht ähnlich emotional zugeht. Bis es so weit ist, geht noch viel Zeit ins Land. Viel Zeit, um darüber nachzudenken, wie man das olympische Tennisturnier noch besser, noch interessanter machen kann. Wie wäre es denn mit einem Teamwettbewerb, ähnlich zum World Team Tennis in den USA oder der International Premier Tennis League, um das olympische Tennisturnier einzigartig zu machen und den Teamgedanken zu fördern? In vier Jahren könnte der Turnierkalender anders aussehen, vielleicht ist sogar mehr Zeit für Olympia, denn derzeit wird das Turnierprogramm wegen der Folgeturniere extrem schnell durchgeprügelt. Die Spieler und Spielerinnen können den Gewinn ihrer Medaillen gar nicht so intensiv genießen, da sie gleich weiter nach Cincinnati zum nächsten Turnier reisen. Der Genuss des olympischen Flairs und der Besuch der Abschlussfeier sind für Tennisspieler gar nicht mehr möglich. Auch irgendwie schade.