tennisnet.com Kolumne

Ist Tennis die härteste Sportart der Welt?

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 20.08.2016, 11:35 Uhr

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RIO DE JANEIRO, BRAZIL - AUGUST 13: Juan Martin Del Potro of Argentina reacts after defeating Rafael Nadal of Spain in the Men's Singles Semifinal Match on Day 8 of the Rio 2016 Olympic Games at the Olympic Tennis Centre on August 13, 2016 in Rio de...

"Ich glaube, dass Tennis nach Zehnkampf der athletischste Sport ist. Einfach weil man bestimmte Dinge braucht. Die Matches sind drei oder vier Stunden lang. Es gibt den technischen Aspekt, die Beweglichkeit, die Anforderungen an Geist und Körper. Nicht zu vergessen, dass das Spiel selbst Ähnlichkeiten mit einer Schachpartie hat." Das sagte Ashton Eaton, der in Rio de Janeiro zum zweiten Mal Olympiasieger im Zehnkampf wurde, gegenüber "Business Insider". Hat Eaton mit seinen Aussagen Recht? Ja, absolut! Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass Tennis zu den härtesten Sportarten der Welt gehört, weil viele Faktoren eine Rolle spielen. Um überhaupt ein Tennisprofi zu werden, braucht es Tausende von Trainingsstunden. Wer früh mit dem Tennissport anfängt, ist klar im Vorteil. Tennisprofis, die erst im Alter von zehn Jahren oder später angefangen haben, sieht man selten, vor allem nicht in der Weltspitze. In vielen anderen Ballsportarten, zum Beispiel Basketball, oder auch in der Leichtathletik gibt es zahlreiche Athleten, die erst recht spät zu ihrer Sportart gefunden haben.

Geduld, Fitness und klarer Kopf

Im Tennis brauche ich eines in ganz großer Menge: Geduld. Denn wenn ich mit Tennis beginne, geht es zunächst in Babyschritten voran. Bis ich zu einem kompletten Spieler gereift bin, vergeht sehr viel Zeit, da Tennis zu den komplexesten Sportarten gehört. Und manchmal reicht jahrzehntelanges Training dann trotzdem nicht aus, um einen vernünftigen Aufschlag oder Volley schlagen zu können. Auch wenn Tennis gerne als eine Schwungsportart betrachtet wird, ist die Athletik in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Wer nicht vollständig fit ist, hat derzeit kaum eine Chance, in der Weltspitze mitzumischen, auch wenn er ein begnadetes Händchen hat. Während man bei den Damen noch einige nicht austrainierte Spielerinnen in den Top 100 sieht, ist das bei den Herren nicht mehr der Fall.

Als Tennisprofi ist man ein Unternehmer. Denn anders als in Mannschaftssportarten bekomme ich nur Geld, wenn ich Leistung bringe und Erfolge liefere. Das kann dazu führen, dass ich etliche Trainingsstunden und Stunden im Match investiere, um trotzdem, wenn der Erfolg ausbleibt, nur mit sehr wenigen Euros im Portemonnaie dazustehen. Das kann für den Kopf anstrengend sein, wenn ich auf mich selbst gestellt bin und keine Mannschaft um mich herum habe, die mich unterstützt. Der Kopf, also der mentale Aspekt, spielt im Tennis seit Jahrzehnten die größte Rolle. Ich muss im Oberstübchen klar und fokussiert sein und muss die negativen Gedanken, die immer wieder vorkommen, ausblenden. Denn Tennis ist oft eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Wie in anderen Sportarten reicht es nicht aus, für einige Sekunden oder Minuten gut zu sein, ich muss meine Leistung über mehrere Stunden abrufen, und das Tag für Tag, Woche für Woche.

Ich muss es zu Ende spielen können

Die Schwierigkeit besteht auch darin, dass ich eine erspielte Führung wie im Fußball oder anderen Sportarten, die eine zeitliche Befristung haben, nicht verwalten kann. Als Läufer kann ich bei einem großen Vorsprung das Tempo etwas rausnehmen, als Tennisspieler muss ich stets mit dem Fuß das Gaspedal durchdrücken, um zu gewinnen. Auch wenn ich 5:0, 40:0 im entscheidenden Satz führe, heißt es nicht, dass ich auch als Sieger den Platz verlasse. Im Tennis gab es zahlreiche denkwürdige Aufholjagden oder auch mentale Einbrüche nach klaren Führungen: Fragt mal bei Jana Novotna nach! Und selbst wenn ich richtig gut spiele, den Ball exzellent treffe und spüre, heißt es nicht automatisch, dass ich auch gewinne, denn es steht zudem noch ein Gegner auf der anderen Netzseite. Ich kann zwar viel mehr Punkte machen als mein Gegner, aber am Ende trotzdem als Verlierer vom Platz gehen wegen der besonderen Zählweise im Tennis. Oft kommt es vor, dass sich Spieler zu Höchstleistungen hochschaukeln, dass der eine umso besser spielt, umso besser sein Gegner den Ball trifft. Das ist häufig zu beobachten, wenn Defensivkünstler wie Novak Djokovic auf Offensivspieler wie Roger Federer treffen. Andersrum ist es dann aber auch immer wieder zu sehen, dass selbst Spitzenspieler mit einfachen Bällen oder vom Gegner unsauber getroffenen Bällen rein gar nichts anfangen können und Fehler produzieren. Solche Situationen werden im Training auch so gut wie nicht simuliert, auch wenn sie manchmal über Sieg oder Niederlage entscheiden können.

Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro waren 36 Sportarten im Programm. In keiner Sportart musste man so viel Zeit investieren, um eine Medaille zu gewinnen wie im Tennis. Juan Martin del Potro stand im Einzel innerhalb von sieben Tagen insgesamt knapp 16 Stunden auf dem Platz, Rafael Nadal mit Einzel und Doppel weit über 20 Stunden. Das Match zwischen Andy Murray und del Potro war mit 4:02 Stunden Spielzeit nach dem Radrennen auf der Straße die längste Finalentscheidung. 1992 in Barcelona wurde im Tennis sogar von Beginn an im Einzel und Doppel über drei Gewinnsätze gespielt - und das bei hochsommerlichen Temperaturen. Tennis ist eine Weltsportart, was es noch umso schwerer macht, um richtig erfolgreich zu sein. Ist Tennis also die härteste Sportart der Welt? Vieles spricht dafür, aber man wird auch Aspekte dagegen finden. Gehören Tennisspieler zu den besten Athleten? Definitiv! Sind sie die besten Athleten? In dieser Hinsicht würde ich auch die Triathleten auf der Langdistanz mit nach vorne reihen. Triathlon ist ebenfalls eine Weltsportart und im Gegensatz zu den Zehnkämpfern und Tennisspielern gibt es keine Verschnaufpause. Demnach könnte man also Iron-Man-Sieger und Weltrekordler Jan Frodeno als den derzeit besten Athleten bezeichnen.

von Christian Albrecht Barschel

Samstag
20.08.2016, 11:35 Uhr