Roger Federer im Gespräch: "Es gab noch nie so viele unbeantwortete Fragen wie jetzt"
Roger Federer hat sich in einem Pressegespräch vorm Turnier in Doha zu seinem Comeback, seinem aktuellen Fitnessstand und seinem Wunsch für ein Karriereende geäußert.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
08.03.2021, 14:30 Uhr
Herr Federer, mit welchen Erwartungen gehen Sie in Ihren ersten Turnierstart in Doha - nach langer Verletzungspause und 13 Monaten ohne Wettkampf?
Roger Federer: Ich habe zwangsläufig keine großen Erwartungen. Ich bin froh, wieder dabei zu sein, wieder ein Turnier spielen zu können. Das ist erstmal eine massive Erleichterung, an diesen Punkt gekommen zu sein.
Auch die Tenniswelt hat sich radikal verändert in Zeiten der Pandemie. Wie blicken sie auf den neuen Corona-Wanderzirkus?
Federer: Ich bin sehr neugierig, wie das alles sein wird für mich. Die Bubble-Situation, das Leben zwischen Hotel und Turnieranlage, die Isolation. Ich habe natürlich miterlebt, wie es für die Spieler bei den anderen Topevents war, zuletzt auch in Australien. Aber man muss es auch selbst spüren, erleben, fühlen. Ich bin froh, dass man hier in Doha 2000 Zuschauer auf den Centre Court lässt. Alles außer Null ist schon okay. Selbst 100 Fans können ordentlich Lärm machen.
Wie stehen Sie körperlich da nach den beiden Operationen und der Rehabilitationsphase?
Federer: Sicher noch nicht so gut wie beim Neustart 2017, als ich nach einer Achillessehnenverletzung ins Comeback ging. Das hier, das war schon härter, auch zermürbender manchmal. Um ehrlich zu sein: Die nächsten Tage und Wochen, da steht ein großes Fragezeichen drüber. Ungewissheit auch. Andererseits ist eben auch eine große Vorfreude da. Ich habe das Tennis schon sehr stark vermisst, die Kollegen. Das ist ja auch eine Familie, die man jetzt wiedertrifft.
Gab es denn in all den Monaten, die sie nun mit Verletzungsproblemen und Neuaufbau verbracht haben, auch Momente des Zweifels. Momente, wo sie dachten: Muss es denn noch weitergehen?
Federer: Man hat immer seine Tiefpunkte in so einer Zeit. Nachdem klar war, dass eine zweite Operation nötig würde, war ich schon ziemlich down. Aber meine Karriere, das Weitermachen, das habe ich nicht wirklich in Frage gestellt.
Wie intensiv haben Sie das Geschehen im Tourbetrieb verfolgt?
Federer: Ich bin ein großer Tennisfan und habe sehr viel Tennis geschaut. Nicht alles, aber doch eine ganze Menge. Ich war immer up to date. Sehr gefreut hat mich, dass Dominic Thiem seinen ersten großen Titel in New York gewonnen hat. Und dann war natürlich auch beeindruckend, wie Rafael Nadal in Paris und Novak Djokovic in Melbourne ihre Titel verteidigt haben.
Nadal und Djokovic machen Ihnen mehr denn je den ewigen Grand-Slam-Titelrekord streitig.
Federer: Ich denke nicht jede Sekunde an diese Rekorde. Jede Bestleistung ist dazu da, gebrochen zu werden. Mein großes Ziel war immer, den Rekord von Pete Sampras mit 14 Titeln zu übertrumpfen. Jetzt habe ich 20 – und andere wollen nun an mir vorbeiziehen. So ist die Welt. Ich glaube, wir alle da vorne können ganz gut schlafen mit dem, was wir erreicht haben.
Wie weit haben Sie dieses herausfordernde Jahr denn schon durchgeplant?
Federer: Alles hängt davon ab, wie es meinem Knie geht. Daraus ergibt sich die Antwort. Die nächsten fünf Monate sind noch so eine Art Testphase, ein Herantasten an Normalität. Richtig fit will ich sein, wenn es zu den Turnieren nach Halle und Wimbledon geht. Nach Doha werde ich mich entscheiden, ob ich auch noch Dubai spiele. Dann gibt es einen vier- bis sechswöchigen Trainingsblock. Die Sandplatzsaison? Da gibt es noch keine Festlegung.
Wann wäre dieses Comeback ein Erfolg für Sie?
Federer: Ganz klar in der ersten Zeit, wenn ich wieder schmerz- und sorgenfrei spielen kann. Darum ging es mir sowieso, unabhängig von der Rückkehr auf die Tour – ich wollte meinen Körper wieder in Schuß bringen, auch Basketball, Fußball spielen können, Ski fahren. Operationen und eingehende Reha waren dafür einfach notwendig.
Haben Sie, auch bei zurückliegenden Comebacks, selbst gespürt, wann Sie wieder mit voller Kraft da sind?
Federer: Es ist relativ einfach. Du merkst schnell, wenn du wieder dieses 100prozentige Vertrauen in deinen Körper hast. Wenn du nicht nachdenkst bei einer Bewegung, bei einer Aktion. Umgekehrt ist es ja so: Dein Gegner spürt sofort, wenn du diese 100 Prozent nicht auf den Platz bringst. Der checkt dich aus, nutzt sofort jede Schwäche, jede mentale Unsicherheit.
Wenn Sie in ein Turnier gehen, ist automatisch von Halbfinale, Finale oder Sieg die Rede. Können Sie diese Erwartung, dieses Anspruchsdenken ausblenden?
Federer: Ich bin immer der größte Realist gewesen, was meinen Status angeht. Ich kann nicht verhindern, wie mich Fans und Medien beurteilen. Mir ist aber gerade jetzt klar, welche Herausforderung auf mich zukommt. Ich weiß ja nicht, wie mein Körper, wie mein Knie auf die Strapazen reagieren – viele Spiele hintereinander, lange Flüge über Zeitzonen hinweg, knochenharte Matches gegen die absolute Weltspitze. Es gab tatsächlich noch nie so viele unbeantwortete Fragen wie jetzt.
In Corona-Zeiten ist es auch extrem schwer, professionelle und familiäre Interessen unter einen Hut zu bringen.
Federer: Natürlich. Deshalb wäre ich vor den Australian Open auch zurückgeschreckt, selbst wenn es körperlich schon gegangen wäre. Anreise, zwei Wochen Quarantäne ohne Familie, dann das Turnier. Alles in allem fünf komplizierte, mental anstrengende Wochen für ein einziges Turnier. Ich muss erst noch herausfinden, wie ich das alles einigermaßen optimal lösen kann in der Zukunft.
Sie waren so lange wie nie zuvor aus dem Tennisgeschäft draußen. Wie hat Ihre Familie denn überhaupt reagiert, als es jetzt wieder losging?
Federer: Natürlich waren meine Kinder traurig, als ich aufgebrochen bin. Sie haben gesagt: Kannst Du nicht bleiben? Emotional war es nicht leicht, aber es ist ja auch gut zu wissen, dass sie einen vermissen. Wir halten nun virtuellen Kontakt.
Wenn Sie jetzt auf noch einmal Ihren Neustart blicken: Was ist der entscheidende, wichtigste Impuls, diese ganzen Mühen noch einmal auf sich zu nehmen?
Federer: Ich habe das Gefühl, dass diese ganze Geschichte im Tennis für mich noch nicht vorbei ist. Der Spaß, sich mit den Besten der Welt auf einem der Topcourts zu messen, ist noch immer ein großer Reiz. Ich wünsche mir, dass meine Karriere in einem Augenblick ausklingt, wo die Stadien wieder voll sind mit Fans. Ich bin auch – trotz aller Ungewissheiten - optimistisch für dieses Comeback. Ich fand überraschend, wie gut ich jüngst im Training in Schuss war. Und ich habe früher nicht lange gebraucht, um wieder gutes und erfolgreiches Tennis zu spielen.
Aufzeichnung, Bearbeitung: Jörg Allmeroth