Stan oder Roger - Wer kommt ins Finale?
Im ersten Herren-Halbfinale der Australian Open kommt es am Donnerstag zum Schweizer Duell zwischen Stan Wawrinka und Roger Federer. Eine Gegenüberstellung von Stärken, Schwächen, Form sowie Psyche und Publikumsgunst zeigt, wer die Nase vorn haben könnte.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
25.01.2017, 19:34 Uhr
STÄRKEN
ROGER FEDERER
Federer ist der Mann, der eigentlich alles kann. Gegen den Deutschen Mischa Zverev, den Überraschungsspieler dieser Australian Open, zeigte er idealtypisch das ganze Repertoire seines Könnens - sowohl als stürmischer Attackierer wie auch als Kontrolleur aus der Defensive. Ein ums andere Mal punktete der 35-jährige am Netz und mit seinen präzisen Turbo-Passierbällen. Federer hat den Vorteil, dass er sich immer auch von Instinkt und Intuition leiten lassen kann, er spielt halt nicht nur mit strategischer Klasse, sondern auch unterbewusst meistens richtig.
STAN WAWRINKA
Jahrelang galt er als Weltmeister der verpassten Möglichkeiten. Als einer, der in entscheidenden Momenten nicht die zupackende Attitüde der absoluten Elitespieler hatte - etwa auch wie Roger Federer. Doch die Ära des Chancentods Wawrinka ist vorbei, drei Grand Slam-Titel in den drei zurückliegenden drei Spielzeiten sind ein unwiderlegbarer Beweis. Wawrinka kann sich steigern auf der Zielgeraden eines Grand Slams, besonders mit der Wucht seiner Schläge, einer unvergleichlichen Power und Dynamik. Spielt er in den Grenzbereichen, am Limit, ist ihm kaum beizukommen. Er ist im Moment Turnierfavorit Nummer eins. Und er hat die unwiderstehlichste Rückhand der Branche, eine Wunderwaffe mitunter.
Stan gegen Roger - Duell auf Augenhöhe
SCHWÄCHEN
ROGER FEDERER
Federer jagt seit dem Siegeszug bei den Championships in Wimbledon im Jahr 2012 vergebelich einem Grand Slam-Titel nach - das führte in den letzten Jahren zuweilen zu einer mentalen Verkrampftheit in den Topmatches. Dazu, dass er nicht wie gewohnt der Meister der Big Points war, der Herrscher in der Hitze des Gefechts. In der Vorsaison ließ ihn sein Körper wie nie zuvor in seiner Karriere im Stich. Bisher brilliert er als fitter Fighter bei seinem Comeback, aber gegen Stan Wawrinka dürfte er physisch enorm herausgefordert werden. Ist er schon reif für diese Belastungsprobe, im inzwischen sechsten Melbourne-Match?
STAN WAWRINKA
Wawrinka ist - bei aller hinzugewonnenen Reife - kein Konstanz-Champion. Er ist eher der Mann für gewisse Stunden bei gewissen Turnieren. Welches Turnier das dann jeweils ist, weiß auch Wawrinka nicht so genau. Oft folgten Grand Slam-Höhenflügen ernüchternde Alltagsreisen im Wanderzirkus, das ist alles in allem auch der Grund, warum "Stan, the Man", bisher noch keinen Angriff auf den Gipfelplatz der Weltrangliste lancieren konnte. Er sagt selbst von sich, er solle nicht mit Spielern wie Federer, Murray, Nadal oder Djokovic verglichen werden. Fühlt sich an der Grundlinie wohler als am Netz. Und ist mit der Rückhand deutlich zielgenauer und punktestärker als mit der Vorhand.
PSYCHE
ROGER FEDERER
Federer hatte über viele Jahre ein automatisches Plus gegen Wawrinka, dem er in jungen Jahren als Tennis-Flüsterer beigestanden hatte. Der Maestro hat per se eine größere Ausstrahlung als der freundschaftliche Rivale auf der anderen Seite des Netzes, aber neuerdings kann er sich keineswegs mehr darauf verlassen, dass "Stan, the Man" vor ihm in Ehrfurcht erstarrt. Aufgetankt fürs Ego hat Federer gleichwohl, eigene Zweifel, wie es nach der langen Zwangspause weitergehen würde, hat er in Melbourne kräftig beiseite geräumt.
STAN WAWRINKA
Federer war für Wawrinka in den Anfangszeiten der eigenen Karriere so etwas wie ein Nebencoach, ein Tennisflüsterer der prominenten Sorte. Gegen den Älteren, den Spieler mit der größten Aura sowieso, hatte der Romand lange Zeit Beklemmungen - er wirkte blockiert gegen das Idol, den väterlichen Weggefährten. Im persönlichen Vergleich liegt Wawrinka immer noch mit 3:18 im Hintertreffen, diese Kopf-zu-Kopf-Bilanz scheint eine klare Sprache zu sprechen. Doch Wawrinka hat sich mittlerweile von King Roger emanzipiert, ist ein unabhängiger, frei schwebender Weltklassespieler geworden.
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FORM
ROGER FEDERER
Federer wehrt sich zwar gegen die Behauptung, ihm sei eine Traumauslosung für diese Grand Slam-Festivitäten beschwert worden. Aber in der Australian Open-Lotterie zog er keineswegs eine Niete. Gegen Melzer und Rubin spielte er sich in den Auftaktrunden warm und frei, gegen Rivalen, die auf Platz 300 und 200 der Rangliste standen. Mit Rückenwind und neuem Selbstbewusstsein nahm er anschließend die Hürden in Gestalt zweier Top-Ten-Rivalen, Berdych und Nishikori. Eine Machtdemonstration und Kampfansage war schließlich der Auftritt gegen Zverev. Federer geht in Topverfassung in das Schweizer Duell.
STAN WAWRINKA
Für Wawrinka lief das Turnier so, wie es bisher bei vielen seiner ganz großen Erfolge verlief. In der Auftaktrunde strauchelte der 31-jährige gegen den Slowaken Martin Klizan, er wankte beträchtlich, aber er fiel nicht. Danach ließ der Weltranglisten-Vierte kaum noch etwas anbrennen, er bewährte sich beispielsweise auch kühl in drei Tiebreak-Sätzen gegen den Südtiroler Andreas Seppi. Ähnlich wie Federer gegen Zverev lieferte Wawrinka sein bestes Match im Viertelfinale ab, gegen Frankreichs Star Jo-Wilfried Tsonga. Wawrinka ist gerüstet für den Schweizer Showdown, daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen.
PUBLIKUM
ROGER FEDERER
Schon vor dem ersten Ballwechsel in Melbourne hatte Federer gesagt, er vermisse nichts so sehr wie die großen Matches bei den großen Turnieren - diese besonders prickelnde Atmosphäre. Und wie wiederbelebt wirkte er dann auch gleich bei seiner Comeback-Mission, er, der umjubelte, verehrte Altmeister. Schon nach dem Auftaktmatch feierten ihn die Australier wie einen Turniersieger, Federer wirkte da mehr als gerührt. Er dürfte auch im Match gegen Wawrinka die klaren Sympathievorteile haben, eigentlich so wie überall und immer.
STAN WAWRINKA
Wawrinka weiß, dass er nicht nur gegen Federer anspielen muss. Sondern auch gegen die Hoffnungen des Centre Court-Publikums, eine sentimentale Titelmission des alten Meisters miterleben zu können. Es wäre schön, scherzte Wawrinka, wenn wenigstens ein paar Fans ihm ausreichend Applaus spenden würden. Andererseits: Aus dieser gefühlten Einer-gegen-Alle-Situation könnte "Stan, the Man", auch trotzige Kraft schöpfen. Man denke nur an seine Auftritte beim Davis Cup-Finale 2015 in Lille.
Die Australian Open im Überblick