US Open 2021: Der Gang zum stillen Örtchen als leidiges Streitthema
Nach dem Match zwischen Andy Murray und Stefanos Tsitsipas beschäftigte die Tenniswelt vor allem ein Thema: der Umgang mit sogenannten Toilettenpausen. Eine Einschätzung.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
31.08.2021, 20:16 Uhr
Der Schlussakt des ersten großen US Open-Dramas stand gerade bevor, da saß Andy Murray plötzlich ganz einsam auf der Wettkampfbühne des Arthur Ashe-Stadions. Stefanos Tsitsipas, sein Gegner, die Nummer 3 der Welt, war vor dem Start in den fünften Satz erneut zu einer sogenannten Toilettenpause in den Tiefen der Arena verschwunden. Zwei Minuten verstrichen, dann vier Minuten, schließlich sechs Minuten, aber der 23-jährige Grieche war noch immer nicht zurückgekehrt. Erst nach mehr als sieben Minuten tauchte Tsitsipas dann wieder aus den Katakomben auf, ungerührt vertrödelte er danach noch weitere Zeit mit der Beschaffung von Wasserflaschen und dem Zurechtrücken seiner Handtücher. „Finden Sie das in Ordnung. Ist das okay?“, fragte Murray wütend beim deutschen Schiedsrichter Nico Helwerth nach, bevor er sich in Richtung seiner Crew bewegte und der Truppe entgegenschleuderte: „Das ist doch Betrug.“
Tatsächlich sind die taktischen Spielereien und Mätzchen, für die Tsitsipas als eine der prominentesten Figuren steht, inzwischen zu einem der größten Ärgernisse im professionellen Tennis geworden. „Das ist alles absoluter Unsinn, was er da veranstaltet. Und er weiß es auch“, grantelte Murray später, als einer der stärksten Auftritte seit seinem Verletzungscomeback gleichwohl mit einem Fünf-Satz-Knockout gegen Tsitsipas beendet war. Er habe schlicht „den Respekt verloren“ vor dem Hellenen, bekannte Murray nach dem knapp fünfstündigen Fight, fast immer habe der sich Auszeiten in Augenblicken genommen, wo es kritisch geworden sei: „Das bricht vorsätzlich den Rhythmus des Gegners, und niemand schreitet da ein.“ Amerikas früherer Spitzenspieler Brad Gilbert, selbst für allerlei fragwürdige Tricksereien bekannt, nannte das gegenwärtige Regelwerk „furchtbar“: „Es öffnet Tür und Tor für Schummeleien“, so Gilbert, „wenn dir ein Spielstand nicht paßt, gehst du aus dem Stadion und machst Pause fast so lange, wie du willst.“
Die „Toilet breaks“ sind längst zur Gerechtigkeitslücke im Regelwerk der Tourorganisationen und der Grand Slams geworden. Tsitsipas, eine ohnehin polarisierende Erscheinung im Wanderzirkus, war diesbezüglich schon beim Masters in Cincinnati aufgefallen, dort hatte sich der Grieche für eine zehnminütige Pause sogar seine Tennistasche und das Smartphone geschnappt und war in Richtung Umkleidekabine losgezogen. Gegner Alexander Zverev unterstellte ihm hinterher, er habe aus der Kabine Kontakt zum Trainervater Apostolos Tsitsipas aufgenommen. Das wies Tsitsipas zwar zurück, aber nur wenige der Kollegen schenkten seinen Beteuerungen allzuviel Glauben. In New York pflaumte Murray den 23-jährigen nach dem Aus noch einmal heftig an: „Ich habe noch niemals sieben Minuten gebraucht, um zur Toilette zu gehen. Es wird Zeit, dass sich etwas ändert in diesem Sport. Das ist absoluter Mißbrauch der Regeln.“
"Ein absolutes Durcheinander"
Experten bemängeln schon länger einen Graubereich in den Vorschriften der Tennistouren. Spielerinnen und Spieler wandern inzwischen ständig vom Platz, um Bekleidung auszutauschen oder das stille Örtchen aufzusuchen, allerdings auffällig oft, wenn sie sich in bedrängter sportlicher Lage befinden. Zuweilen dauern diese Pausen mehr als zehn Minuten, vor allem, wenn sich die Wettkampfcourts an der Peripherie der jeweiligen Turnieranlage befinden. „Der Spielfluss geht zu oft verloren. Es ist ein Ärgernis für die Fans, aber auch für den Geist eines Duells“, sagt Pam Shriver, die frühere Chefin der WTA-Tour. Auch Ex-Genius John McEnroe macht sich stark für klare Grenzen: „Im Moment ist es ein absolutes Durcheinander. Jeder macht, was er will.“ McEnroe ärgert sich auch über manches „Medical Time Out“, also über nur vermeintliche Verletzungspausen: „Da wird ein Spieler minutenlang untersucht, der einfach nur erschöpft ist oder einen Krampf hat. Und dann geht es wieder weiter. Das ist respektlos gegenüber dem Gegner.“
Murray, seit Jahren auch Repräsentant der Spieler in wichtigen Gremien, schlug am Montagabend vor, die Profis sollten in einem Match schlicht zwei Mal eine Fünf-Auszeit nehmen können – „und das war es dann auch, dann weiß jeder Bescheid und kann sich darauf einstellen.“ Es sei doch absolut ärgerlich, dass er nach einem so starken Auftritt und nach so vielen Rückschlägen zuvor nun hier herumsitze und „über Toilettenpausen und Verletzungspausen reden muss“: „Das klingt ja, als wäre ich ein beleidigter Verlierer, und das mag ich gar nicht.“