Wimbledon 1992 - Als Andre Agassi endlich sein erstes Grand-Slam-Turnier gewann
Andre Agassi galt als größte US-Hoffnung - und doch kamen ihm Michael Chang, Pete Sampras und Jim Courier mit den großen Siegen zuvor. Am 5. Juli 1992 sollte sich für den Paradiesvogel aus Las Vegas alles ändern.
von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
05.07.2020, 22:14 Uhr
Andre Agassi und Wimbledon - es war alles andere als die große Liebe. 1987 hatte der US-Boy erstmals im All England Club aufgeschlagen und sich nach seiner Niederlage gegen Henri Leconte geschworen, nie mehr dort anzutreten. "Das Essen, die Busse, die ehrwürdigen Traditionen - alles gibt mir das Gefühl, fehl am Platz zu sein", erinnert sich Agassi in seiner Autobiografie Open. Und dazu die Vorschriften, vor allem die, in Weiß zu spielen. "Was geht es diese Leute an, was für Klamotten ich trage?"
Bis 1991 bleibt Agassi abstinent, dann kehrt er zurück. Komplett in Weiß, er erreicht immerhin das Viertelfinale, wo er sich gegen David Wheaton bei einer 2:1-Satzführung und mit zwei Breaks in Front verletzt.
1992 sollte dann alles anders werden, obwohl Agassi in keiner guten Form anreist. Die Favoriten heißen Becker (Sieger 1985, 1986, 1989), Edberg (1988, 1990), Stich (1991) oder Sampras, Spieler mit guten Aufschlägen und noch stärkeren Volleys. Ein Grundlinienexperte wie Agassi auf dem damals noch pfeilschnellen Rasen? Hatte eben dort seit Ewigkeiten nichts mehr gerissen.
Agassi siegt gegen Becker und McEnroe
Aber Agassi tankt sich durch: Im Viertelfinale schlägt er in fünf Sätzen Becker, der in sechs der letzten sieben Jahre im Finale stand, im Halbfinale gewinnt er gegen John McEnroe, der erstmals seit 1984 wieder in ein Grand-Slam-Finale einziehen wollte. Der Finalgegner: Goran Ivanisevic, der im anderen Halbfinale Pete Sampras besiegt hatte.
Agassi hatte bis dahin drei Grand-Slam-Finals erreicht, 1990 bei den French Open gegen Andres Gomez und bei den US Open gegen Pete Sampras, 1991 wiederum in Paris gegen Jim Courier. In allen Matches galt er als der hohe Favorit - und verlor. Und ein Wimbledonfinale gegen Ivanisevic, den "König der Asse"? "Die einzige Frage ist, ob der Kampf mit einem K.o. oder einem technischen K.o endet", schwant dem damals 22-jährigen Agassi wenig Gutes.
Aber er weiß, dass die zweiten Aufschläge des Kroaten das Match entscheiden werden. Und genau so sollte es kommen. 6:7 (8), 6:4, 6:4, 1:6 steht es, und 5.4 für Agassi im fünften Satz. Ivanisevic schlägt zwei Doppelfehler zum 0:30, beim 30:40 hat Agassi Matchball. Ivanisevic, der bis dato 37 Asse geschlagen hatte (so viele wie Agassi im gesamten Turnier) muss über den zweiten Aufschlag gehen, gegen den besten Returnspieler aller Zeiten. Der in diesem Moment zu sich selbst spricht: "Wenn du diesen Punkt nicht gewinnst, mach ich dir dein ganzes Leben lang die Hölle heiß."
Agassi returniert - und Ivanisevics Rückhandvolley bleibt an der Netzkante hängen...
Champions Dinner mit Steffi Graf
Der einzige bittere Moment des 5. Juli 1992 kommt am Abend, den der traditionelle Wimbledontanz fällt aus. Dabei hatte Agassi unbedingt mit der Gewinnerin der Damen-Konkurrenz über das Parkett schweben wollen, mit Steffi Graf. "Ich bin in Steffi verknallt, seit ich mal im französischen Fernsehen ein Interview mit ihr gesehen habe. Ich war vom Donner gerührt, absolut hingerissen von ihrer bescheidenen Anmut, ihrer natürlichen Schönheit. Sie sah irgendwie aus, als würde sie angenehm duften." Es sollte bis ins Jahr 1999 dauern, dass Agassi und Graf sich näherkommen würden...
Für Agassi war der Wimbledonsieg der erste Majortitel, am Ende seiner Laufbahn waren es insgesamt acht. Und der unterlegene Ivanisevic? Sollte in den kommenden Jahren der unglücklichste Wimbledonspieler überhaupt werden. 1994 und 1998 stand er erneut im Endspiel und verlor jeweils gegen Pete Sampras. Und fand 2001 unverhofft sein Glück: Als Nummer 125 der Welt und auf eine Wildcard angewiesen, spielte sich Ivanisevic, zusammen mit seinen drei Alter Egos "Good Goran", "Bad Goran" und "Emergency Goran", ins Finale, wo er in fünf Sätzen gegen Patrick Rafter gewann und bewies, dass es den Tennisgott offenbar doch gibt...