Wimbledon: Bestes Match des Turniers? Tatjana Maria und Jule Niemeier begeistern den Erfinder des Tennis!
Tatjana Maria steht im Halbfinale des Wimbledon-Turniers 2022 - nach einem famosen Match gegen Jule Niemeier. Gewonnen haben beide, ihr Duell war Werbung für feines, klassisches Tennis.
von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet:
05.07.2022, 22:11 Uhr
Der Tenniserfinder, wie gerne würde man mit ihm mal kurz plaudern. Was er sich so vorgestellt hatte unter einem guten Tennismatch, könnte man ihn fragen, was alles drin sein sollte, was nicht. Es ist nun mal nicht mehr möglich, der gute Walter Clopton Wingfield, ohne den wir alle nicht hier wären, weilt leider nicht mehr unter uns. 1874, die Älteren werden sich erinnern, hatte er sich sein neues Spiel patentieren lassen.
Wir können hernach nur spekulieren. Slicebälle wird er sich recht sicher vorgestellt haben, Volleys wohl auch, einen gut angesetzten Stoppball ebenso. (Dass er damals schon an den Topspin gedacht hat, mögen wir hingegen bezweifeln.) Fair sollte es zugehen, schließlich sind wir in England, Tennis auf Rasen war ohnehin seine Idee, das erste Wimbledon-Turnier in 1877 hat er sicher verfolgt.
Tatjana Maria und Jule Niemeier: Himmlisches Tennis
Man weiß ja nicht, was da später mal alles kommt, ob die Story stimmt mit dem Nachleben in der Hölle oder im Himmel, aber wir verorten Wingfield mal auf einer Wolke mit dem Blick auf die Erde, und man kann davon ausgehen, dass er Tennis geschaut hat am Dienstag, und er muss begeistert gewesen sein. Denn was Tatjana Maria und Jule Niemeier da abgeliefert haben, das war Tennis!
Ja, Tennis! Kein wildes Rumgeholze. Die beiden haben das Spiel nämlich kapiert, eben als Spiel, in all seinen wundervollen Facetten. Tatjana Maria mit dem Slice und dem Lob (und ab Satz zwei auch mit der durchgezogenen Vorhand), Jule Niemeier mit geduldigem Punktaufbau (der nötig ist gegen Maria), mit erstaunlich sicheren Serve-and-Volley-Einlagen (auf Slice-Returns, das ist nicht einfach, Freunde!).
Das gedankliche Highlight-Reel, es ist prallgefüllt: Wie Maria mal nach einem langen Ballwechsel angriff, Niemeier eine tolle Rückhand-cross traf und Maria aus der Streckung einen bahrami-esken Rückhand-Volleystopp rüberzwirbelte. Wie Niemeier einen Tweener ansetzte, Maria aber vorne am Netz stand (wie man es macht nach einem gelungenen Lob) und wegvollierte, zum Satzausgleich. Und beim 5:5 im dritten Satz wie ein fieser Trainer die Volleys verteilte, immer so, dass der Schüler immer grade noch so drankommt, ohne was mit anfangen zu können, und am Ende dann wieder ein Stöppchen.
119 Netzangriffe bei Maria und Niemeier
Um bei aller Romantik ein paar Zahlen unterzubringen: 119 (!) Mal waren beide insgesamt am Netz (Grüße an Simona Halep), beide mit positiver Quote, Maria machte in 29 von 45 Fällen den Punkt, Niemeier in 42 von 74 Fällen.
Es war Werbung fürs Tennis, nicht fürs Damentennis oder das deutsche Tennis, nein, Blödsinn, fürs Tennis insgesamt; die Zuschauer auf Court 1 hielt es am Ende nicht mehr auf den Sitzen, es gab Standing Ovations für beide Spielerinnen. Die, auch das hat sich Wingfield ja sicher so gedacht, äußerst fair miteinander umgingen. Hin und wieder mal eine Anfeuerung, Tatjana Maria mit einem nicht übertriebenen Jubel nach dem Sieg, und statt einem Handshake gab's eine lange, innige Umarmung.
Es war, und es hat selten so gepasst: großes Tennis!